Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Agrarpolitik in Deutschland

Historisch läßt sich die deutsche Agrarpolitik seit dem 19. Jahrhundert in folgende Etappen gliedern:

Zeitraum Entwicklungen
bis 1870 Agrarreformen, Übergang von der feudalen zur liberalen Agrarordnung, Bauernbefreiung
1871-1914 Phase der Agrarschutzpolitik wegen zunehmender Agrarimporte aus Rußland und Amerika (gesunkene Transportkosten)
ca. 1919-1933 Einbeziehung der Landarbeiter in die Sozialgesetzgebung der Industriearbeiter, Produktionssteigerung, Bodenreform, die zwischen 1919 und 1932 zu über 60.000 Neusiedlerstellen mit durchschnittlich 11 ha Land führten
1933-1945 Totalitäre Agrarpolitik, Bauernstand innerhalb des Staates mit zentraler Funktion, abgeleitet aus der "Blut-und-Boden-Ideologie"; das Reichserbhofgesetz sollte die Höfe vor Überschuldung und Zersplitterung im Erbgang schützen; das Reichsnährstandsgesetz schuf die Voraussetzungen für eine einheitliche und geschlossene Organisation der Landwirtschaft, dabei Führerprinzip, Autarkiepolitik, zusätzlich Landgewinnung an den Küsten, Urbarmachung von Mooren, Umbruch von Weideland in Ackerland u.w.; öffentliche Bewirtschaftung während des 2. WK.
nach WK II Zwei separate Wege der beiden deutschen Staaten bis zur Wiedervereinigung; dennoch systemunabhängige Parallelitäten, z.B. in den Produktionsstrukturen, Produktionsergebnissen, dem Einsatz industrieller Vorleistungen sowie Gemeinsamkeiten bei den agrar- und ernährungspolitischen Zielen. Agrarpolitik der DDR als Bestandteil des ökonomischen und ideologischen Systems des Sozialismus mit seiner Zentralverwaltungswirtschaft. Ziele der Agrarpolitik: Produktionssteigerung, Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung, Sicherstellung der Rohstoffbasis der eigenen Industrie, Angleichung der Lebensbedingungen auf dem Land an jene in der Stadt.

Die Entwicklungen im Gebiet der früheren DDR

Ausgehend von der Lehre des Marxismus-Leninismus sollte staatliches und genossenschaftliches Eigentum bestimmend sein und das Privateigentum an Produktionsmitteln (einschließlich Boden) auch in der Landwirtschaft aufgehoben werden. Agrarpolitisches Leitbild war der vergesellschaftete landwirtschaftliche Großbetrieb mit industriemäßig organisierter Massenproduktion, von dessen Überlegenheit gegenüber Klein- und Mittelbetrieben prinzipiell ausgegangen wurde.
Alle Planungs- und Entscheidungslinien zielten von oben nach unten. Jährliche zentrale Planfestlegungen regelten Produktion, Verarbeitung, Absatz, Zuteilung von Maschinen, Futtermitteln, Düngemitteln, Saatgut, Preise, Kredite und Subventionen. Die unteren ausführenden Ebenen trugen die Verantwortung für die Erfüllung der verschiedenen Planvorgaben. Die häufig auftretenden großen Differenzen zwischen Planzielen und Ergebnissen der Produktion, eventuell verbunden mit Versorgungsengpässen, wird auf die schwerfällige Organisation, mangelnde Überschaubarkeit und geringe persönliche Bindung der Bauern an die Betriebe zurückgeführt. Der Leistungsvergleich mit der früheren Bundesrepublik fiel zuungunsten der DDR aus, gegenüber den übrigen RGW-Staaten Mittel- und Osteuropas besaß die DDR eine Spitzenstellung. Umweltschäden (Gülle, Nitrifikation, Bodenverdichtung, Bodenerosion) als Folge unaufhörlicher Intensivierung der Flächennutzung machten sich mehr und mehr bemerkbar.

Vier Stufen der agrarpolitischen Entwicklung der DDR
Zeitraum Entwicklungen
1945-1952 Bodenreform ("Junkerland in Bauernhand"), entschädigungslose Enteignung aller landwirtschaftlichen Betriebe mit mehr als 100 ha LN, Enteignung von Betrieben <100 ha, wenn deren Besitzer Kriegsschuldige, Kriegsverbrecher oder Nationalsozialisten; daraus Schaffung eines staatlichen Bodenfonds mit ca. 3,3 Mio. ha Fläche, d.i. ein knappes Drittel der Gesamtfläche Ostdeutschlands; in der Folge u.a. Einrichtung von 210.276 Neubauernstellen, d.h. Hofstellen für ehemalige landlose Bauern und Landarbeiter sowie Flüchtlinge und Heimatvertriebene (durchschnittlich 8,1 ha Besitz), Verteilung an 82.483 Landarme (mit durchschnittlich 1,5 ha Besitz), Schaffung von 550 Volkseigenen Gütern (VEG), zunächst als Landesgüter; 1949: 813.293 land- und forstwirtschaftliche Betriebe mit rd. 2,2 Mio. Erwerbstätigen; als Folge eine agrarstrukturelle Transformation mit auffälligen Veränderungen des Flur- und Siedlungsbildes, stärker im Norden als im Süden; z.B. Wandel der Gutsblockfluren in Langstreifenfluren; dabei Flurzersplitterung; Bau von kostensparenden Eindachhaustypen, die nicht traditionellen Hofformen Ostdeutschlands entsprachen; vorwiegend Anlage von ein- bis zweizeiligen, relativ dichten Reihensiedlungen; extrem polarisierte Struktur: einerseits viele kleine an Ablieferungspflicht gebundene Privatbauern, andererseits große staatseigene, oft gut ausgestattete Gutsbetriebe; allmählicher Ausbau von Zentraldörfern mit Maschinen-Ausleih-Station, Kulturhaus, Zentralschule u.w.; Zerstörung hunderter Schlösser und Herrenhäuser zur Gewinnung von Baumaterial und zur Beseitigung von Symbolen der "Junkerherrschaft"; letztlich die Wiederherstellung einer bäuerliche Landschaft, was die ostelbische Agrarlandschaft um 1300 gewesen ist.
1952-1960 Kollektivierung, komplette Auflösung der bäuerlichen Betriebsstrukturen durch Zusammenschluß der Bauern zu landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) unterschiedlicher Vergesellschaftungsgrade (Typen I, II, III), zunächst auf freiwilliger Basis, dann mit verschiedenen Vergünstigungen, zuletzt durch wirtschaftlichen, politischen und psychologischen Druck; 1960: 19.345 LPG mit 945.020 Mitgliedern; das Eigentumsrecht am Boden blieb den kollektivierten Bauern erhalten; hof- und dorfnah 0,5 ha LN pro Familie als Hauswirtschaft privat nutzbar, inklusive maximal 2 Kühe, 2 Schweine, 10 Bienenstöcke sowie Ziegen, Geflügel und Kaninchen; erneuter Flurform- und Landnutzungswandel durch nutzungsmäßige Zusammenlegung der Flurstücke, Folge: eine "Genossenschaftsblockflur"; parallel zur Kollektivierung die "sozialistische Umgestaltung der Dörfer" zur Überwindung der wesentlichen Unterschiede zwischen Stadt und Land", d.h. "Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Lande an diejenigen in der Stadt"; räumliche Trennung des Wirtschaftsbereichs vom Wohnbereich als Hauptmerkmal des sozialistischen Dorfes"; die Dorfmitte mit Funktionen der Verwaltung, sozialer, kultureller, medizinischer und Versorgungsinfrastruktur, am Dorfrand oder von ihm durch Grüngürtel getrennt der gesonderte Wirtschaftsbereich mit schlichten Zweckbauten, möglichst im Schatten der Hauptwindrichtung.
1960-1967 Kooperationsphase mit Festigung der LPG-Strukturen durch Vergrößerung und Zusammenlegung von landwirtschaftlichen Betrieben, der horizontalen Kooperation von mehreren LPG und VEG in Form von Kooperationsgemeinschaften (KOG) und die vertikale Kooperation von mehreren sozialistischen Landwirtschafts-, Produktionsmittelversorgungs-, Verarbeitungs- und Handelsbetrieben in Form von Kooperationsverbänden (KOV) und Agrar-Industrie-Vereinigungen (AIV) jeweils auf vertraglicher Grundlage, außerdem die Einrichtung von flächenunabhängigen Volkseigenen Kombinaten industrieller Mast (VE KIM) mit extremen Tierkonzentrationen sowie von landwirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieben mit beträchtlicher Größe, z.B. Kreisbetriebe für Landtechnik (KfL), Agrochemische Zentren (ACZ), Mischfutterwerke, Meliorationsgenossenschaften (MG), Trocknungs- und Pelletieranlagen, Zwischenbetriebliche Bauorganisationen (ZBO); erneute Vergrößerung und Begradigung der "Schlageinheiten", Beseitigung von "funktionslosen" und "störenden" Flurelementen u.ä., Entstehung von ausgeräumten "Leistungslandschaften"; erste ländliche "Siedlungszentren mit städtischem Charakter" (Plattenbauweise).
1967-1989/90 Industrialisierungsphase mit dem Ziel der Erzeugung pflanzlicher und tierischer Produkte nach dem Typ der industriellen Großproduktion; Schaffung industriemäßiger landwirtschaftlicher Großbetriebe über den Gemeinderahmen hinaus; Einführung von Schichtarbeit, landwirtschaftlichem Berufsverkehr usw.; Herausbildung von Spezialbetrieben wie den Kooperativen Abteilungen Pflanzenproduktion (KAP), Kooperativen Einrichtungen der Viehwirtschaft (KOE), Zwischenbetrieblichen Einrichtungen (ZBE), Zwischengenossenschaftlichen Einrichtungen (ZGE); ab 1975/76 Umwandlung der KAP in LPG und VEG mit der Spezialisierungsrichtung Pflanzenproduktion bzw. Tierproduktion, somit betriebliche Trennung von Pflanzen- und Tierproduktion; neue Dimension der Landschaftsgliederung im Rahmen der Großraumwirtschaft mit Ackerschlägen teilweise >200 ha; nach wirtschaftlichen und ökologischen Krisensymptomen ab Ende der 70er Jahre pragmatische Korrekturen am Industrialisierungskurs.

Nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990 wurden wesentliche Prozesse der DDR-Agrarpolitik überdacht und teilweise revidiert. Insbesondere gilt dies für die Ergebnisse der Phasen der Kollektivierung, der Konzentration und Spezialisierung. Der Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft mit der Priorität der nationalen Selbstversorgung zur Marktwirtschaft mit starker Steuerung durch Vorgaben der EU erfolgte rasch und ohne jeden Vorlauf.
Bezüglich der politischen Behandlung der Bodenreform von 1945-1949 bestand bis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1991), das die Enteignungen bestätigte, vorübergehend Rechtsunsicherheit. Nach der Einführung des entsprechenden rechtlichen Rahmens (z.B. des noch von der Volkskammer 1990 verabschiedeten und seither mehrfach novellierten Landwirtschaftsanpassungsgesetzes) wurde die frühere Betriebsstruktur der DDR-Landwirtschaft Ende 1991 vollständig abgelöst. Seither zeichnen sich folgende aktuelle Tendenzen der Umstrukturierung ab:

 

Die Entwicklungen in der früheren BRD

Drei Stufen der agrarpolitischen Entwicklung im Gebiet der früheren Westzonen/Bundesrepublik
Zeitraum Entwicklungen
1945-1950/52 Verzicht auf die konsequente Reagrarisierung (Morgenthau), Zwangswirtschaft bis zur Gründung der Bundesrepublik; Wiederaufbau, auch mit Hilfe von Marshallplan-Krediten und -Zuschüssen, rasche Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, Ansätze einer Bodenreform; Preisschutzmechanismus für diverse Agrarprodukte 1950/51; Beitritt zu OEEC, FAO, GATT
ab 1953/55 Nationale Ausgestaltung einer modernen Agrarpolitik mit dem Landwirtschafts- und dem Flurbereinigungsgesetz, umfassende staatliche Förderung der landwirtschaftlichen Produktion, Verbesserung der sozialen Lage der in der Landwirtschaft tätigen Menschen, Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebes; parallel zu bundesweiten Maßnahmen seit 1950 landwirtschaftliche Regionalprogramme um Entwicklungsdisparitäten auszugleichen; Einflüsse einer gemeinsamen Agrarpolitik nach dem EWG-Beitritt 1957; Einsetzen eines Strukturwandels (Rückgang der Beschäftigtenzahl in der Landwirtschaft, Vergrößerung der Einzelbetriebe, Aussiedlung, Rückgang der Betriebsanzahl, Spezialisierung, höhere Maschinisierung, Vergetreidung usw.), Anpassungshilfen zur Verbesserung der Agrarstruktur.
ab Mitte der 60er Jahre

Prägung durch die gemeinsame Agrarpolitik der EWG, heute EG/EU; EWG Marktordnungen mit einheitlichen Richtpreisen für wichtige Agrarprodukte, Steuerung der Agrarimporte durch sogenannte Abschöpfungen und der Exporte durch Erstattungen; Mansholt-Plan (1968) zur Forcierung des Modernisierungs- und Schrumpfungsprozesses, gleichzeitig Aufgabe jeglicher Rücksicht auf gewachsene und regional sehr verschiedene Agrarstrukturen; Plan in seiner ganzen Schärfe nicht umgesetzt, wirkt in seinem Inhalt aber bis heute.
Undurchschaubares Verordnungswirrwarr, Aufblähung der Brüsseler Agrarbürokratie.
EG-Agrarsystem mit seinen garantierten Mindestpreisen führt zu Überproduktion, zu Beginn der 80er Jahre Finanzkrise der EG, Mitte der 80er Jahre Maßnahmen zur Minderung der Agrarüberschüsse (Flächenstillegungen, Quotenregelung = Garantiemengenregelung für Milch und Milchprodukte), Ansätze zu einer Ökologisierung der Landwirtschaft (Extensivierungsprogramm, Förderung des Ökologischen Landbaus).

Die aktuelle deutsche Agrarpolitik hat vor allem die Ziele,

Diese Ziele lassen sich nach Auffassung der Bundesregierung am besten im Rahmen des Europäischen Binnenmarktes und der Gemeinsamen Agrarpolitik verwirklichen. Die angestrebte weitere Verbesserung und die wettbewerbsfähige Gestaltung der Agrarstruktur, die auch Rücknahmen in der Anzahl der Betriebe, im Umfang landwirtschaftlich genutzter Flächen und Extensivierungen einschließt. Ernährungs- und Agrarsozialpolitik sind dabei eng verflochten, gleichzeitig werden weitere Fortschritte bei einer umweltverträglichen Agrarproduktion, der Nutzung neuer Biotechnologien, der Förderung des Anbaues und Einsatzes von nachwachsenden Rohstoffen und des integrierten bzw. ökologischen Landbaues angestrebt.
Zu den wichtigsten agrarpolitischen Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland zählen die als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern durchzuführenden Regionalen Aktionsprogramme zur "Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes".
Aus raumordnungspolitischer Sicht liegt der Stellenwert der Landwirtschaft in ihrem Beitrag

Seit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik von 1992 werden die landwirtschaftlichen Einkommen verstärkt durch direkte und produktionsunabhängige Beihilfen, z.T. in Verbindung mit der Stillegung landwirtschaftlich genutzter Flächen, gesichert. Die Agrarreform mit deutlichen Preissenkungen vor allem für Getreide und Rindfleisch sowie mit direkten Mengenbegrenzungen für landwirtschaftliche Produkte führt auch dazu, daß die sogenannte Intervention - der teure und unwirtschaftliche Ankauf landwirtschaftlicher Überschußprodukte zu garantierten Preisen durch den Staat - zunehmend an Bedeutung verliert. Die Reform leistete darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zum erfolgreichen Abschluß der GATT-Verhandlungen im Jahre 1994. Die GATT-Vereinbarungen sind Grundlage für eine umfassende Verbesserung der Handelsbeziehungen in der Welt. Eine erneute Reform der GAP ist Bestandteil der 1997 vorgelegten Agenda 2000.
Kritik an der aktuellen deutschen und europäischen Agrarpolitik zielt u.a. auf den Umstand, daß sie sich nicht an den Leitlinien einer umweltverträglichen und bauernfreundlichen Landwirtschaft, sondern an den Forderungen einer auf bloßes quantitatives Wachstum fixierten Wirtschaftspolitik orientiert.
Für eine vielfach geforderte stärkere Ökologisierung der Agrarpolitik ist die Offenlegung ihrer externen Kosten vonnöten. Bislang war sie weitgehend abgekoppelt von Zielen des Naturschutzes und der Erhaltung der Kulturlandschaft, während sie fast ausschließlich die Erwerbsinteressen landwirtschaftlicher Erzeuger im Blick hatte. Eine Agrarpolitik, die den Anforderungen einer dauerhaft-umweltgerechten Nutzung und den Erhalt einer ökologisch wertvollen Landschaft miteinander verbindet, kann im wesentlichen auf folgenden Maßnahmen basieren:

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