Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Saatgut

Auch Saatkorn oder Saatfrucht; Bezeichnung für trockene, ruhende, generative Fortpflanzungsorgane wie Samen, Früchte, Scheinfrüchte, Fruchtstände oder Teile davon. Sie enthalten die vollständige, durch Befruchtung entstandene Keimanlage der Pflanzen. Bei trockener und kühler Lagerung behält Saatgut über viele Jahre die Keim- und Triebkraft.

Dagegen bezeichnet man vegetative Vermehrungsorgane wie Rhizome, Knollen, Zwiebeln, Stecklinge als Pflanzgut. Diese Pflanzenteile sind regenerationsfähig, aber in der Regel nur über wenige Vegetationsperioden haltbar.

Die Größe und das Gewicht von Saatgut der verschiedenen Pflanzenarten ist sehr unterschiedlich. Beispielsweise beträgt das Tausendkornmasse (TKM) von Rotklee 1,75–2,25 Gramm, Getreide 28–55 Gramm, Mais 200–450 Gramm und Ackerbohnen 300–700 Gramm.

Beim Saatgut spielen Gesundheit, Sortenreinheit, Keimfähigkeit und Triebkraft eine herausragende Rolle, sie haben große Auswirkungen auf die Ernte und damit auch auf die Nahrungsverfügbarkeit bzw. -sicherheit.

Durch die übliche Beizung des landwirtschaftlichen Saatguts wird dieses und die Jungpflanze bei und nach der Keimung im Feld vor Pilzen und Schädlingen geschützt. Durch Züchtung wird Saatgut verbessert.

Traditionell erfolgt(e) Saatgutgewinnung durch die Bauern selbst, indem sie Samen oder anderes reproduktive Material (z. B. Stecklinge, Wurzelknollen) aufbewahren und zur Saat oder zum Anpflanzen weiter verwenden. Bei diesem "informellen Saatgutsystem" findet eine Selektion auf der Basis von wünschenswerten phänotypischen Eigenschaften statt. Das Saatgut wird entweder im Nachbau selbst weiter verwendet oder im Umfeld ausgetauscht. Durch diese Praxis entstanden vielfältige Landrassen mit an die jeweiligen klimatischen und edaphischen Bedingungen angepassten Eigenschaften. Obwohl die Mehrheit der Bauern weltweit noch seed saving betreibt, ist die Praxis stark rückläufig, in Industrieländern, aber immer mehr auch in Entwicklungsländern.

Das "formelle Saatgutsystem" besteht aus der professionellen, auf genetischen Erkenntnissen beruhenden Zucht von neuen Varietäten und deren Verbreitung durch die öffentliche Hand und private Unternehmen. Seit den 1980er Jahren geht die Führungsrolle bei der Saatgutentwicklung und -verbreitung im formellen Sektor verstärkt an private, global agierende Unternehmen über, auch wenn die Rolle des Staates als Regulator bei der Zulassung von registriertem Saatgut i.d.R. bestehen blieb.

Saatgut und Patente auf Leben

Der weltweite Umgang mit Saatgut, der Grundlage unserer Ernährung, ist ein Brennglas der Privatisierung landwirtschaftlichen Wissens. Der Weltagrar- bericht beschreibt die Entwicklung der vergangenen hundert Jahre in offensichtlicher Sorge um die Zukunft und die allgemeine Zugänglichkeit und Vielfalt der genetischen Ressourcen unserer Kulturpflanzen.
Über Jahrtausende hinweg zunächst von Landwirten als gemeinsames Erbe erhalten, ausgetauscht und fortentwickelt, war Saatgut zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein öffentliches Gut, das von der Wissenschaft nach neueren Erkenntnissen der Genetik, v.a. der gerade wiederentdeckten Mendel’schen Gesetze, verbessert und von staatlichen Stellen systematisch erfasst und Landwirten zur Verfügung gestellt wurde.

Während die ersten großen staatlichen Saatgutsammlungen nach modernen Erkenntnissen unter anderem von Nikolai Vavilov in Leningrad eingerichtet wurden, machten private Züchter in den 30er und 40er Jahren erstmals geistige Eigentumsrechte an neu entwickelten Sorten geltend. Sie achteten jedoch auch in dem 1961 vereinbarten internationalen Sortenschutzabkommen UPOV darauf, dass das genetische Material selbst für weitere Züchtung frei verfügbar blieb (Züchtervorbehalt) und Landwirte aus eigener Ernte gewonnenes Saatgut anbauen konnten (Landwirteprivileg). Zu einem privatwirtschaftlich interessanten Geschäft wurde Saatzucht erst mit der Einführung von Hybridsaatgut in den 20er Jahren durch die Firma Pioneer Hi-Bred. Weil die ertragreicheren Hybridsorten in der folgenden Generation keine Samen von einheitlicher Qualität mehr hervorbringen, wirken sie wie ein „biologischer Sortenschutz“.

Seit den 40er Jahren entwickelten internationale Pflanzenzuchtzentren, v.a. mit Mitteln der Rockefeller und Ford Foundation, gezielt neue Hochleistungs- sorten, die zur Steigerung der Getreideproduktion und zur Bekämpfung des Hungers in den 60er und 70er Jahren einen wichtigen Beitrag leisteten. Hierbei handelte es sich um öffentliche, nicht-gewerbliche Programme. Sie gingen allerdings mit einem rapiden globalen Anstieg des kommerziellen Einsatzes von Pestiziden und Dünger einher. In den 80er Jahren begannen einige Firmen, systematisch in die Gentechnik zu investieren. Exklusive Patente auf gentechnische Veränderungen und isolierte Erbinformationen ermöglichten erstmals, anderen die Nutzung bestimmter genetischer Eigenschaften in der Züchtung zu untersagen. Seit der Jahrtausendwende bemühen sich Unternehmen zudem mit wachsendem Erfolg, sogar Patente auf die Ergebnisse herkömmlicher Züchtung, z.B. den Gehalt bestimmter Inhaltsstoffe oder schiere Hochwüchsigkeit wie bei Monsantos „geköpftem Brokkoli“, durchzusetzen. Parallel dazu wurde auch das Sortenschutzrecht verschärft. Die Version des UPOV- Übereinkommens von 1991 verbietet Landwirten den Tausch oder Verkauf von geschütztem Saatgut und schränkt auch dessen Nachbau ein.

In den 90er Jahren setzte ein bis heute anhaltender Konzentrationsprozess der Saatgutbranche in den Händen einer Handvoll internationaler Chemie- unternehmen ein. Die Firmen Monsanto, DuPont, Syngenta, Dow, BASF und Bayer beherrschen zugleich das weltweite Pestizidgeschäft. Klagte der Weltagrarbericht 2008 noch, dass die 10 größten Unternehmen über 50% des globalen Handels mit geschützten Sorten beherrschen, sind es fünf Jahre später noch drei Unternehmen, die 53% des Marktes kontrollieren.
Sie konzentrieren sich dabei auf wenige, lukrative Pflanzenarten, die von zahlungskräftigen Landwirten auf großen Flächen angebaut werden und auf Regionen, die eine entsprechende Infrastruktur und Rechtsschutz für ihre Ansprüche aufweisen. Der Weltagrarbericht bezweifelt deshalb den Nutzen von Patenten und geistigen Eigentumsrechten für Innovation, Forschung und Wissensverbreitung im Saatgutbereich. Hoffnungen, durch vereintes Auftreten öffentlicher Universitäten und Forschungseinrichtungen gegenüber der Privatwirtschaft weiterhin Zugang zu patentiertem Saatgut zu behalten, haben sich in den letzten Jahren zerschlagen. Ebenso die Hoffnung, das Internationale Abkommen über pflanzengenetische Ressourcen (ITPGRFA) werde einen fairen, am Gemeinwohl ausgerichteten Austausch von Zuchtmaterial zwischen privaten und öffentlichen Züchtern aufrechterhalten.

Die Unternehmen horten Patente auf Pflanzen, Tiere, genetische Informationen und auf Verfahren und verkomplizieren so die Forschung, Entwicklung und vor allem Vermarktung bei ihrer Konkurrenz und in der öffentlich finanzierten Forschung. Ihre Verwertungsstrategie für den neuen „Rohstoff Wissen”, einschließlich der anwachsenden Berge an Genom-Daten, bestehe allzu oft nur darin, anderen deren unabhängige Nutzung und Fortentwicklung zu verwehren. Meist reicht dafür schon die Drohung mit einem langjährigen Rechtsstreit ungewissen Ausgangs. [...]

Quelle: Weltagrarbericht

Pflanzenzüchtung ist heute Spitzentechnologie. Branchenweit werden im Schnitt 15,1 Prozent des Umsatzes für Forschung und Entwicklung aufgewendet. Damit ist die Pflanzenzüchtung forschungsintensiver als die Pharmaindustrie. Die deutsche Züchterlandschaft zeichnet sich durch Vielfältigkeit und Heterogenität aus. Der starke Wettbewerb unter den Züchtern führt zu einem stetigen Fortschritt und gibt Anreiz, den Markt mit verbesserten Sorten zu versorgen.

Da die meisten Eigenschaften, die für die Leistungsfähigkeit des Saatgutes bestimmend sind, beim Kauf nicht unmittelbar beurteilt werden können, wurden mit dem Saatgutverkehrsgesetz (SaatG) Regelungen erlassen.

Das SaatG definiert Saatgut als

  1. Samen, der zur Erzeugung von Pflanzen bestimmt ist; ausgenommen sind Samen von Obst und Zierpflanzen,
  2. Pflanzgut von Kartoffel,
  3. Pflanzgut von Rebe einschließlich Ruten und Rutenteilen.

Dazu treten die als Vermehrungsmaterial bezeichneten Pflanzen und Pflanzenteile von Gemüse, Obst oder Zierpflanzen, die für die Erzeugung von Pflanzen und Pflanzenteilen oder sonst zum Anbau bestimmt sind. Das Saatgut wird nach dem SaatG nach verschiedenen Kategorien (Basissaatgut, Zertifiziertes Saatgut, Standardsaatgut u.w.) unterschieden, wobei entsprechende Begriffe für das Pflanzgut bestehen.

Pflanzenzüchtung zur Erzeugung von Saat- und Pflanzgut für Landwirtschaft und Gartenbau wird in Deutschland von etwa 130 vorwiegend mittelständisch organisierten Unternehmen betrieben. 58 Firmen mit eigenem Zuchtprogramm und 30 Vertriebsfirmen bewirtschaften zusammen ca. 3.500 ha Zuchtgärten und 225.000 m² Gewächshausfläche. Insgesamt sind 5.800 feste Mitarbeiter (darunter viele Wissenschaftler) und zusätzlich Saisonarbeitskräfte in der Branche tätig.

Pflanzenzucht-Unternehmen in Deutschland
Pflanzenzucht-Unternehmen in Deutschland

Quelle: BDP

Die private Pflanzenzüchtung konzentriert sich auch in Deutschland weitgehend auf die Bearbeitung der wirtschaftlich wichtigen Ackerkulturen (Getreide, Mais, Raps, Zuckerrübe, Kartoffel, Futterpflanzen). Die Züchtung seltener, meist wirtschaftlich weniger bedeutender Arten sowie von Dauer- und Sonderkulturen wird weitgehend von staatlichen und universitären Institutionen getragen. Auch die Gemüsezüchtung wird nur noch von wenigen Züchtern abgedeckt. Die weltweite Arbeitsteilung und der internationale Handel haben für die deutsche Züchtungswirtschaft zu einer starken Konkurrenz aus dem Ausland geführt. Voraussetzung für einen Sortenschutz ist, dass eine Sorte neu, unterscheidbar, homogen und beständig ist. Dies wird in mehrjährigen Verfahren durch das Bundessortenamt überprüft. Die Vermehrung von Saatgut erfolgt in ausgewählten landwirtschaftlichen Betrieben.

Der Ankauf von Saat- und Pflanzgut ist für die meisten landwirtschaftlichen Betriebe heute die Regel. Ihnen fehlen gewöhnlich die Möglichkeiten zur eigenen Saatgutaufbereitung. Die Qualität des eigenen Ernteproduktes ist zudem zu gering und zu heterogen. Nachbau erhöht ferner die Gefahr von Krankheiten. Dennoch hat in den letzten Jahren meist aus Kostengründen das aus eigenem Erntegut gewonnene Saat- und Pflanzgut vor allem bei den Selbstbefruchtern an Bedeutung gewonnen. Im Gemüsebau ist ein Nachbau von Saatgut deutlich seltener. Zum einen werden die Arten in den meisten Fällen im vegetativen Zustand geerntet. Zum anderen sind viele Gemüsesorten Hybride, deren Nachbau deutliche Ertrags- und Homogenitätseinbußen erbringt.

Struktur der weltweiten Saatgutindustrie 1996 - 2018

Struktur der weltweiten Saatgutindustrie 1996 - 2018

In den letzten Jahren haben sich die "Big 6" Agrochemie-/Saatgutfirmen zu den Big 4 zusammengeschlossen:

  • Dow und DuPont fusionierten in einem Deal im Wert von 130 Milliarden Dollar (2015 angekündigt) und teilten sich dann in drei Unternehmen auf, darunter eine auf die Landwirtschaft ausgerichtete Firma namens Corteva.
  • Chemchina erwarb Syngenta für USD 43 Milliarden.
  • Bayer erwarb Monsanto für 63 Milliarden Dollar.
  • Die Saatgut-Abteilungen von Bayer (einschließlich der Marken Stoneville, Nunhems, FiberMax, Credenz und InVigor) wurden für 7 Milliarden Dollar an die BASF verkauft, um die Kartellbehörden zufrieden zu stellen (2018).

Diese vier Firmen kontrollieren nun schätzungsweise über 60% der weltweiten Verkäufe von firmeneigenem Saatgut. Eine Reihe von Marken, die bei früheren Übernahmen erworben wurden, sind nicht mehr aktiv.

Quelle: Phil Howard

(s. a. Landwirteprivileg)

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