agrarsoziale Systeme
Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme mit unterschiedlichster Prägung. Sie können zugleich als Entwicklungsstufen gesehen werden, die sich mit den Phasen der gesamten Wirtschaftsentwicklung vergleichen lassen.
In Anlehnung an eine Gliederung von Planck/Ziche (1979) lassen sich folgende agrarsozialen Systeme unterscheiden:
- Tribalistische Agrarsysteme: Diese sind durch Gemeinschaftseigentum der Sippen, Stämme oder Dorfverbände mit Nutzungsrechten der einzelnen Familien gekennzeichnet. Sie sind mit Wanderviehhaltung, Landwechsel oder traditioneller Bewässerungswirtschaft verbunden. Es handelt sich überwiegend um Subsistenzwirtschaft. Die Marktwirtschaft verdrängt tribalistische Agrarsysteme zunehmend.
- Feudalistische /feudale Agrarsysteme: Diese Systeme basieren auf einer Herrschaftsordnung wechselseitiger Rechte und Pflichte. Es bestehen eine privilegierte Oberschicht mit Bodeneigentum und damit wirtschaftlicher und politischer Macht einerseits und eine Masse der besitz- und machtlosen Familien andererseits. Die Überlegenheit der Grundherrschaft wird durch ständische Ordnungen gefestigt und dazu religiös und durch Abstammung oder Funktionen (Grundherren als Kriegsherren, Gerichtsherren oder Steuererheber) begründet. In Europa dominierte das feudalistische Agrarsystem vom 9. Jh. bis zu den Agrarreformen des 18. und 19. Jh. in Form der Lehensgrundherrschaft. Lehensgeber (zur Nutzung des Bodens) war die Herrenschicht des Landadels und der Geistlichkeit, Lehensnehmer die bäuerliche Schicht der Voll- und Kleinbauern. Im Laufe der Jahrhunderte kam es zur Ausbildung der unterbäuerlichen Schicht von landarmen Köttern, Seldnern und Heuerlingen sowie der landlosen Brinksitzer und Hausgenossen. Durch Zwangsarbeitsverfassung bestand eine Bindung der Hörigen und Leibeigenen an den Grundherren.
Als ursprünglich kolonialistische Form des Feudalismus besteht die Hacienda mit einer Verbreitung in großen Teilen Lateinamerikas. Das Hacienda-System ist wirtschaftlich und sozial weitgehend nach außen abgeschlossen. Es besteht aus beherrschenden Latifundien einerseits, zahlreichen abhängigen Minifundien andererseits. Letztere besitzen eine meist minimale Selbstversorgung, die Latifundien erzielen auch Marktüberschüsse. Geringe Kapitalinvestitionen auf den Latifundien entsprechen einer hohen Arbeitsintensität. Die Arbeitsleistung wird von den Minifundienbauern als Entgelt für die Nutznießung des Haciendalandes erbracht, an das sie gebunden sind. Das Haciendasystem lähmt die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und nutzt die Produktivkräfte unzureichend. Das Nebeneinander von Groß- und Kleinbetrieben findet seine Beschreibung auch in dem Begriff Dualistische Individualwirtschaft. - Familistische Agrarsysteme: Ihre Grundlage ist das Individualeigentum, das durch Pacht und Nutzungsrechte am Gemeinschaftseigentum (z.B. Allmenden) ergänzt werden kann. Produktionsziel ist vorwiegend die Marktbelieferung. Die Familienarbeit wird in beschränktem Umfang durch externe Arbeitskräfte ergänzt. Nach wirtschaftlichen und sozialen Merkmalen kann man zwischen Bauern- und Farmbetrieben unterscheiden.
Bäuerliche Landwirtschaft: Ihr Verbreitungsgebiet liegt vor allem in großen Teilen West-, Mittel- und Nordeuropas, aber auch in Entwicklungsländern mit vornehmlich klein- und mittelbäuerlichen Betrieben. Die Eigentums- und Nutzungsrechte befinden sich in der Hand von einzelnen Familien. Die Erhaltung des Hofes gilt als oberstes Wirtschaftsziel ("Hofidee"), persönliche Wünsche und Bedürfnisse sind den Belangen des Betriebes untergeordnet. Der Hof gilt als Heimat und Lebensgrundlage der Familie, eventuelle Gewinne werden zum größten Teil in den Betrieb zurückinvestiert. Es kam zur Ausbildung einer konservativen Grundhaltung aus der steten Verantwortung gegenüber dem Familienerbe. Lange gab es eine Bevorzugung der gemischten Produktion zur Minderung des Risikos, wirtschaftliches Handeln war und ist teils weiterhin eher traditionsorientiert, gefühlsmäßig und bedächtig als innovativ, rational, wendig.
Europäisches Hofbauerntum ist aber zunehmend durch Rationalisierung und Gewinnmaximierung sowie durch eine spezialisierte und technisierte Landwirtschaft gekennzeichnet, somit erfolgt die Übernahme von Charakteristika des amerikanischen Farmertums. Die Individualisierung der Hofmitglieder gewinnt im Selbstverständnis der Bauern allmählich ein höheres Gewicht gegenüber dem tradierten Verantwortungshandeln für Hof und künftige Generationen. Aber das Leitbildes des bäuerlichen Familienbetriebes in Deutschland und Westeuropa besteht offiziell weiter.
Farmertum: Es ist eine Weiterentwicklung des europäischen Bauerntums in den überseeischen Kolonisationsgebieten. Das Farmertum besitzt eine größere unternehmerische und räumliche Mobilität im Gegensatz zum Bauerntum, sowie höhere Risiko- und Innovationsbereitschaft und häufigere Betriebswechsel. Der Betriebsinhaber ist zeitweilig und im Alter i.d.R. permanent stadtsässig. Die Farm ist kapitalorientiert, stark mechanisiert bei einer geringen Zahl von Arbeitskräften und gleichzeitig hoher Arbeitsproduktivität. Es bestehen ein weitgehender Verzicht auf Selbstversorgung, hingegen eine Ausrichtung auf den Markt ("commercial farms"), Spezialisierung, z.T. bis zur Monokultur, ausgeprägtes Gewinnstreben, meist hoher Lebensstandard, unternehmerische Denkweise, durchrationalisierte Betriebsführung. Nachteilig ist die teilweise Überforderung des Naturhaushaltes, vor allem in anfälligen Grenzgebieten des Feldbaus, schwere Erosions- und Deflationsschäden mit den Folgen z. T. "ausgeräumter", großflächiger Agrarsteppen. - Kapitalistische Agrarsysteme: Hier beherrscht der Kapitalbesitzer, der sein Kapital wertbeständig und gewinnbringend anlegen will, die landwirtschaftliche Produktion. Im Gegensatz zu den feudalistischen Systemen sind die Arbeitskräfte nicht an den Boden gebunden, sondern mobil. Die Nutzung des Bodens erfolgt über Verträge mit den Kapitalbesitzern.
In Mitteleuropa sind kapitalistische Agrarsysteme vor allem in Form der Gutswirtschaft und der Pächterlandwirtschaft verbreitet. Nutzungsrechte werden zwischen den Kapitalgebern und den Bebauern des Bodens durch Werk-, Arbeits- oder Pachtverträge geregelt. Die Entwicklung der feudalen Landwirtschaft zur kapitalistischen Gutswirtschaft vollzog sich in England und Skandinavien zu Beginn der Neuzeit, in Deutschland seit dem 17. Jh. Besonders in Mecklenburg, Pommern, Teilen Ostpreußens und Schlesiens entstanden - meist nach Dorfauflösungen - große Gutsbetriebe. Diese wurden nach dem Zweiten Weltkrieg durch Bodenreformen bzw. Enteignungen weitgehend aufgelöst. In Westdeutschland gibt es nur wenige Gebiete (z.B. östliches Schleswig-Holstein) mit einer Dominanz von Gutsbetrieben. Die starke soziale Trennung zwischen Gutsbesitzern und Landarbeitern wurde seit dem 19. Jh. erheblich abgebaut. Die Gutsbetriebe haben sich hier von ehemals vielseitigen Betrieben auf hochgradig mechanisierte und spezialisierte Marktfruchtbetriebe umgestellt. Ihr AK-Besatz ist extrem niedrig, die früher zahlreiche Landarbeiterschaft ist abgewandert.
Die Pächterlandwirtschaft ist vor allem in England und den romanischen Ländern weit verbreitet, in Deutschland besitzt sie nur geringe Bedeutung, hier wurden die hörigen Bauern mit der Bauernbefreiung überwiegend zu Eigentümern gemacht. In Südeuropa hat sich seit der Römerzeit der Typ des Latifundiums erhalten.
Als moderne Form des Agrarkapitalismus entstand in den Tropen und Subtropen die kapitalintensive Plantage mit einer Inlands- und Weltmarktorientierung. Im Unterschied zu der sich auf die Produktion beschränkende Pflanzung, besitzt die Plantage Verarbeitungseinrichtungen.
Die Ranches (Estancias) betreiben im Gegensatz zu den Plantagen extensive Viehwirtschaft.
Bei der integrierten Landwirtschaft verbindet sich Inputbeschaffung, Produktion, Verarbeitung und Vermarktung zu einem komplexen System, dem Agribusiness. Die Verknüpfung erfolgt entweder durch Verträge zwischen Agrarproduzenten und vor- bzw. nachgelagerten Betrieben oder durch vertikale Integration in einem gemeinsamen Betrieb.
Die "Produktion unter genauer Aufsicht" entwickelte sich als eine Form der Vertragslandwirtschaft in den Entwicklungsländern. Die Vorteile der einzelbäuerlichen, genossenschaftlichen und großbetrieblichen Produktion sollen hier verbunden werden. Staat, Gesellschaft oder Privatfirmen legen den Rahmen fest, innerhalb dessen die Vertragsbauern frei und auf individuellem Eigentum wirtschaften. Die Beteiligung am System ist freiwillig, es besteht eine kompetente Leitung nach kommerziellen Grundsätzen, die Leistungsfähigkeit der Bauern findet Berücksichtigung, Innovationen können leichter als unter alleinigem Einfluß der traditionellen Gemeinschaft eingeführt werden. - Kollektivistische Agrarsysteme: Wesentliches Merkmal ist die gemeinschaftliche landwirtschaftliche Produktion, Unterscheidungen gibt es nach dem Grad der Integration des Einzelbetriebs und der Sozialisierung in genossenschaftliche und sozialistische Produktion.
Die genossenschaftliche Landwirtschaft ist ein freiwilliger Produktionsverbund selbständiger Landwirte unter Beibehaltung des Privateigentums. Sie besteht in den meisten nichtsozialistischen Ländern. Ansätze zu solchen Zusammenschlüssen finden sich bereits in den mittelalterlichen Markgenossenschaften mit gemeinsamer Wald- und Weidenutzung. Moderne Genossenschaften gehen auf die Tätigkeit F. W. Raiffeisens im 19. Jh. zurück.
In sozialistischen Agrarsystemen wurden alle Produktionsmittel vergesellschaftet, d.h. in das Eigentum des Volkes oder Staates überführt. Im Unterschied zum genossenschaftlichen System steht die Agrarproduktion unter staatlicher Planung und Aufsicht, politische und wirtschaftliche Ziele der Gemeinschaft besitzen Vorrang vor den Einzelinteressen der Landwirte.
Durch mehr oder weniger freiwillige Zusammenschlüsse von Landbewirtschaftern unterscheiden oder unterschieden sich die Systeme in den (ehemaligen) sozialistischen Staaten, sowohl durch ihren Zwangscharakter bei der Bildung (ehemalige UdSSR 1929 - 1934, VR China 1951 - 1958, ehemalige DDR 1952 - 1960), wie auch durch den starken Einfluß des Staates auf Führung und Produktion.
Eine Zwischenstellung nimmt der Moshav ovdim Israels ein. Er ist eine Gemeinschaftssiedlung mit 70-100 Einzelbetrieben, in der der Boden Nationaleigentum ist, die Bewirtschaftung der 3 - 5 ha großen Betriebe jedoch in Eigenverantwortung erfolgt bei gleichzeitiger Zuhilfenahme genossenschaftlicher Elemente.
Auch die auf altindianische Tradition zurückgehenden mexikanischen Ejidos, die 1915 und 1917 aus Großgrundbesitz geschaffen wurden, können so eingeordnet werden. Bodeneigentümer ist hier die Gemeinde, der ortsansässige Ejidatario hat einen Nutzungsanspruch. Wald und Weideland werden gemeinsam, das Ackerland individuell oder gemeinsam genutzt. Generell spricht man von derartigen indianischen Kollektivwirtschaften, die sich in mittelamerikanischen und andinen Gebieten ehemaliger indianischer Hochkulturen ausgebildet haben, als von Communidades Indigenas (etwa: indianische Dorfgemeinschaften).
Der Kolchos der ehemaligen UdSSR ist als Prototyp des sozialistischen Systems anzusehen. Kolchosen gingen durch Kollektivierung aus früher bäuerlichen Siedlungen hervor. Während der Boden in Staatsbesitz verblieb oder überging, gehörten die übrigen Produktionsmittel der Kolchosgemeinschaft. Dem einzelnen Kolchosmitglied verblieb die Hofwirtschaft zur bescheidenen privaten Nutzung. In der ehemaligen DDR fand der Kolchos seine Entsprechung in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften.
Die Sowchosen in der früheren Sowjetunion und die Volkseigenen Betriebe der DDR waren reine Staatsbetriebe mit sehr großen Einheiten. Sie entstanden aus früherem Adels- und Kirchenbesitz oder wurden in Neulandgebieten (Kasachstan) neu eingerichtet. Die industriemäßige Bewirtschaftung erfolgte durch Agrarexperten auf der Leitungsebene und mit Hilfe von Lohnarbeitern.
Definiert man ein kommunistisches System als ein solches, das nicht nur die Produktion, sondern alle Lebensbereiche den Interessen der Gemeinschaft unterordnet, dann zählen dazu auch die Kibuzzim, die religiösen Agrarkommunen, z.B. die der Zisterzienser oder Benediktiner oder der Hutterer in Kanada.
Beim israelischen Kibbuz wird der Grundbesitz vom Jüdischen Nationalfonds gepachtet. Die Mitglieder verzichten nach freiwilligem Eintritt auf Privateigentum und Lohn. Planung und Bewirtschaftung erfolgen gemeinsam. Häufig sind industrielle Verarbeitungsbetriebe angeschlossen. Die Versorgung erfolgt in allen Lebensbereichen durch das Kollektiv.
In den sozialistischen Ländern war das kommunistische System wohl am vollkommensten von den chinesischen Volkskommunen verwirklicht. Sie entstanden 1958 durch den Zusammenschluß kleinerer Produktionskollektive. In ihrem Bereich organisierten sie nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch Erziehung, Gesundheitswesen, Verwaltung und kulturelle Arbeit. Heute existieren sie in der Praxis nicht mehr. An ihre Stelle traten kleinbäuerliche Familienbetriebe auf nach wie vor staatlichem Boden, und ländliche Produktionsgenossenschaften unterschiedlichen Typs.