bäuerlicher Familienbetrieb
In der Landwirtschaft werden unter dem Begriff bäuerlicher Familienbetrieb im allgemeinen jene Betriebe verstanden, in denen
- die Produktionsmittel ganz oder zum großen Teil Familieneigentum sind,
- Flächenzupacht üblich, eine Ganzpacht möglich ist,
- die gesamte landwirtschaftliche Arbeit ausschließlich oder jedenfalls zum überwiegenden Teil vom Betriebsinhaber und seiner Frau, gegebenenfalls von weiteren Familienmitgliedern, aber selten von Lohnarbeitskräften geleistet wird,
- betriebliche Entscheidungen vom Unternehmer meist in Abstimmung mit der Familie getroffen werden,
- die Gesamtabläufe und Zusammenhänge des Betriebes für alle Mitarbeitenden überschaubar sind,
- Familienhaushalt und Betrieb finanziell und hinsichtlich der Arbeit eng miteinander verflochten sind, somit
- eine Aufteilung in verschiedene Lebensbereiche wie Arbeit, Freizeit und Wohnen - noch - nicht ausgeprägt ist,
- die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und die Berücksichtigung ökologischer Belange besonders berücksichtigt sind und
- häufig eine enge Bindung der Viehhaltung an den Boden besteht.
Der Familienbetrieb wird nicht durch den Umfang der Nutzfläche, sondern nur durch die Arbeits- und Verdienstmöglichkeit charakterisiert, die er einer normalen bäuerlichen Familie zu bieten vermag. Während "Familienbetriebe" durch das Überwiegen der familiären Arbeitsleistung klar abgrenzbar sind, wird der Begriff "bäuerlich" je nach Standort und Zeitpunkt unterschiedlich definiert, entsprechend auch die Kombination beider Worte mit ihrem Leitbildcharakter. Von diesem Leitbild unterscheidet Gottschewski (1994) folgende Ausprägungen:
- das agrarromantisch geprägte Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebes konservativer Prägung
- das Leitbild der modernen Agrarwirtschaft,
- das Leitbild des ökologischen Landbaus und
- das Leitbild des integrierten Landbaus.
Seit 1958 ist es erklärtes Ziel der EWG, den landwirtschaftlichen Familienbetrieb zu erhalten und zu fördern.
Von der Politik wird der Begriff dynamisch gesehen, als einer, der sich der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung, dem steigenden Lebensstandard, den wachsenden Einkommenserwartungen und den technischen Entwicklungen anpaßt. Insofern beinhaltet er auch Aufstockungen. In Deutschland rückt man ab dem Agrarbericht 1988 schrittweise von einer "strukturellen" Leitbildinterpretation ab, so daß "die Betriebe unabhängig von Betriebsgröße, Organisationsform, Arbeitsverfassung und Betriebssystem grundsätzlich gleichrangig zu behandeln sind" (Agrarbericht 1993). Formulierungen in den Agrarberichten kennzeichnen die teilweise Abkehr vom bäuerlichen Attribut und seine flexible Deutung in der Politik. Die fast beliebige Verwendung der hier politischen Vokabel macht ihren Gebrauch in diesem Rahmen fragwürdig.
Teilweise wird das von Regierungen und Bauernverbänden hochgehaltene Leitbild des bäuerlichen Familienbetriebs oder auch das der US-amerikanischen family farm als Mythos kritisiert, da die Realität des ablaufenden Strukturwandels nicht im Einklang mit dem Leitbild steht. Erklärt wird die Persistenz dieses Mythos u.a. mit der breiten Zustimmung, die die Vorstellung eines naturverbundenen, auf eigener Scholle mit Familienarbeitskräften wirtschaftenden Bauern findet, ebenso wie mit der Zustimmung zu dem Jeffersonian ideal, das die Idee des Farmers als Rückgrat der Demokratie und des ländlichen Lebens sowie als Basis einer beständigen Regierung enthält.
In Deutschland ist das Leitbild vor allem deshalb fragwürdig geworden, weil es den realen Verhältnissen zumindest in Ostdeutschland nicht entspricht, auch wenn manche LPG-Nachfolgeunternehmen als Familienbetriebe geführt werden.
Als Argumente für die Erhaltung bäuerlicher Familienbetriebe werden u.a. folgende Argumente angeführt:
- Ideelle Werte: Bewahrung von Familientradition, Dorfgemeinschaft, ländlichen Brauchtums, Naturverbundenheit, Einheit von Arbeits- und Lebensbereich
- Einkommens- und Vermögensverteilung: breite Streuung des Eigentums, vorteilhafte Einkommens- und Vermögensverteilung
- Anpassungsfähigkeit: Flexibilität hinsichtlich des Arbeitspotentials der Familie sowie hinsichtlich des Konsums in Abhängigkeit von der Einkommenslage
- Ökologische Vorteile: umweltschonende Bodenbewirtschaftung, Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und geringere negative Umweltwirkungen
- Erhaltung einer agrarisch geprägten Kulturlandschaft: Gewährleistung einer Mindestbesiedlung ländlicher Räume
- Qualität der Nahrungsmittel: bessere Qualität und geringere Rückstände als bei Nahrungsmitteln aus industrialisierter Landwirtschaft.