Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Massentierhaltung

Eine extreme Form der (kapital)intensiven und ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichteten Viehhaltung in Betrieben mit geringen oder gänzlich fehlenden Futterbauflächen. Häufig ist diese Form der Viehhaltung konzentriert in einer Region anzutreffen. Im weiteren Sinne kann auch ein Großteil der seit den 1970er Jahren stark zunehmenden Aquakulturen zur Massentierhaltung gerechnet werden.

Die Massentierhaltung weist nach Windhorst folgende zusätzliche Merkmale auf:

Der Begriff "Massentierhaltung" wurde 1970 vom Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek in seiner Argumentation gegen die Käfighaltung von Legehennen eingeführt. Er etablierte sich in Deutschland, nachdem 1975 die Verordnung zum Schutz gegen die Gefährdung durch Viehseuchen bei der Haltung von Schweinebeständen mit der Kurzbezeichnung Massentierhaltungs-VO, erlassen wurde, die damals für Bestände ab 1.250 Schweinen galt.Solche Betriebe mussten besondere Hygiene-Anforderungen erfüllen.

Seit 1999 trägt diese Verordnung den Namen "Schweinehaltungshygieneverordnung", der Begriff "Massentierhaltung" hat sich jedoch gehalten. Heute wird er vor allem von Tierschützerinnen und -schützern, Politikerinnen und Politikern sowie den Medien verwendet, um auf die – aus ihrer Sicht – Missstände moderner Produktionssysteme mit intensiver Tierhaltung hinzuweisen.

Häufig werden die Begriffe "Massentierhaltung", "Intensivtierhaltung" und "Industrielle Tierhaltung" dabei synonym verwendet. Wissenschaftlich ist der Begriff "Massentierhaltung" wenig behandelt und auch eine eindeutige Definition findet sich bislang nicht.

In weiten Teilen der Bevölkerung und der Medien ist der Begriff "Massentierhaltung" negativ besetzt. Befragte Verbraucher assoziieren mit dem Begriff „Grausamkeit und Ungerechtigkeit“. Sie nannten auch „Qual/Quälerei“ besonders in der Geflügelhaltung, wobei sie die seit 2012 in der EU verbotene Käfighaltung beispielhaft anführten.

Fachwissenschaftler benutzen den Begriff kaum, eine eindeutige Definition findet sich nicht. Ferner beschreibt er ein komplexes Phänomen, das mit einer einzelnen Forschungsrichtung nicht erfolgreich zu bearbeiten ist. Und schließlich sind viele der Meinung, es gehe nicht in erster Linie um die pure Tierzahl, sondern um das Wohl des einzelnen Individuums. Als Gegensatz zur extensiven Tierhaltung verwendet man eher die Bezeichnung intensive Tierhaltung.

In der Tierethik und der Tierrechtsbewegung wird der Begriff von den meisten dort tätigen Wissenschaftlern und Aktivisten zur Beschreibung intensiver Tierhaltung benutzt.

Die FAO definiert intensive Tierhaltung bis Massentierhaltung als Systeme, in denen weniger als 10 % der Futtertrockenmasse dem eigenen Betrieb entstammen und in dem die Besatzdichte zehn Großvieheinheiten pro Hektar betrieblicher landwirtschaftlicher Nutzfläche übersteigt. (BMEL)

Der Präsident des Deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied negiert das Vorhandensein von Massentierhaltung in Deutschland. Er spricht sich dafür aus, den Begriff Intensivtierhaltung zu verbreiten. (SZ)

Das BMEL hält in seiner "Nutztierhaltungsstrategie" von 2017 den Begriff "Massentierhaltung" für nicht definierbar und deshalb für nicht hilfreich.

Deutsche politische Parteien vermeiden den Begriff weitestgehend.

Als Vorform der (bodenunabhängigen) Massentierhaltung gelten die Abmelkbetriebe (Abmelkwirtschaft) in den europäischen Großstädten des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die aber ihre Bedeutung mit dem Aufkommen der Transport- und Kühltechnologien verloren. Als bäuerlich strukturierte Vorläufer sind auch die stark importabhängigen Schweinemastbetriebe im Oldenburger Münsterland zu nennen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg über 1.000 Tiere umfassten und vorwiegend mit russischer Gerste und Dorschmehl gefüttert wurden. Eigener Futteranbau bestand noch.

Die technisierte, teilweise bodenunabhängige Massentierhaltung entwickelte sich um 1960 in den USA und wurde - vor allem auf dem Gebiet der Geflügelhaltung - bald nach Europa und in andere Erdteile übertragen.
Ausgelöst wurde die Entwicklung durch eine verstärkte Nachfrage nach preiswerten tierischen Nahrungsmitteln und durch den ökonomischen Zwang zur Substitution der immer teurer werdenden menschlichen Arbeitskraft. Die von den USA ausgehende Verbreitung von Schnellimbisslokalen trug zunächst zur Nachfragesteigerung nach Geflügelfleisch bei. Besonders bei der Rindermast ist auch das Eingreifen nichtlandwirtschaftlichen Großkapitals in die landwirtschaftliche Produktion für den Trend von Bedeutung, welches auf drei Motive zurückgeführt werden kann: Landspekulation, Steuerersparnis und die Entwicklung vollintegrierter Nahrungsketten, bei denen die Fleischproduktion nur ein Glied des agrarindustriellen Komplexes ist.
Die Konzentration großer Tierbestände auf engem Raum konnte erst erfolgen, als eine Reihe von Problemen auf den Gebieten der Tierzüchtung, Stalltechnik, Tierernährung und Tiermedizin gelöst waren. Auffallendstes Merkmal sind die großen Stallanlagen, ausgestattet mit Klimaanlagen, vollautomatischen - z.T. computergesteuerten - Einrichtungen für Versorgung (Futter, Wasser) und Entsorgung. Spezifisch entwickelte Futtermischungen werden von den einzelnen Tierarten optimal ausgenutzt. Traditionelle Futtermittel (z.B. Heu oder Hackfrüchte) wurden in der Massentierhaltung weitgehend zugunsten hochwertigen und häufig importierten Futters zurückgedrängt. Lediglich in der Rinderhaltung muß eine Grundmenge von Raufutter verabreicht werden, sie bleibt daher in gewissem Umfang bodenabhängig.
Die Betriebe der Massentierhaltung sind in der Regel auf eine Tierart spezialisiert. Zudem beschränkt sich die Spezialisierung nicht nur auf eine Tierart, sondern betrifft auch deren Lebensabschnitte, die zu aufeinanderfolgenden Produktionsstufen führen. So lassen sich unterscheiden:

Auch mehrstufige Betriebe treten auf.

Gewiss hat sich diese industrialisierte Form der tierischen Produktion weit von der bäuerlichen Landwirtschaft entfernt. Insbesondere dann erhält sie einen "agrarindustriellen" Charakter, wenn sie mit den vorgelagerten (Futtermittelfabrik, Stallbaufirmen) und nachgelagerten (Verarbeitung, Vermarktung) Produktionsstufen unter einer einheitlichen Unternehmensführung vereinigt ist. Die bodenunabhängigen Großbestandshalter arbeiten oft auf dem Vertragsweg (Vertragslandwirtschaft) mit bäuerlichen Betrieben zusammen, in die Teilfunktionen ausgelagert werden wie z.B.

Der enorme Kapitalbedarf in der Massentierhaltung kann vielfach nicht mehr von einzelnen Privatpersonen getragen werden, sondern wird von anonymen Kapitalgesellschaften - in den USA oft von multisektoralen Konzernen - aufgebracht. In der Betriebsführung ist hier der Bauer vom Manager abgelöst worden. Infolge der Übernahme von Organisationsformen und Managementmethoden aus der Industrie wird die Massentierhaltung im englischen Sprachraum auch als "factory farming" bezeichnet, in der früheren DDR war der Begriff "industriemäßige Tierproduktion" üblich.

Die Standortwahl für Betriebe der Massentierhaltung erfolgt - im Gegensatz zur sonstigen landwirtschaftlichen Produktion - häufig ohne Rücksicht auf natürliche Faktoren. Die vielfach erwähnten naturräumlichen Standortvorteile wie z.B. die hohe Gülle-Aufnahmekapazität leichter Geestböden oder die klimabedingt niedrigeren Stallbaukosten in den Südstaaten der USA sollen allenfalls marginale Kostenvorteile bieten. Andererseits zählt das trockene Klima des amerikanischen Südwestens zu dessen ausdrücklicher Standortgunst, da es die Ausbreitung von Krankheitserregern deutlich mindert. Auch lief die Ausweitung der Rindermast (feed lots) in den südlichen und zentralen Plainsstaaten parallel zur Erschließung der Grundwasservorräte des Ogallala-Aquifers.

Auch eine Absatzorientierung ist angesichts des relativ hohen Werts der tierischen Produkte nicht zwingend. Die Entwicklung der Transport- und Kühltechnik hat im Gegenteil die Verlagerung der Schlachtbetriebe aus den Verbrauchszentren in die Produktionsräume ermöglicht, wie der Niedergang der Schlachthöfe von Chicago beweist. Unabdingbare Standortanforderung ist aber eine gute Verkehrsinfrastruktur zum Antransport der Futtermittel und zum Abtransport der tierischen Produkte. Da auf Futter etwa 50 % der Produktionskosten entfällt, wird die Nähe der Importhäfen bzw. der Futtermittelwerke gesucht.

Massentierhaltungen sind im früheren Bundesgebiet besonders im Geflügelbereich vielfach in Betrieben ohne nennenswerte landwirtschaftlich genutzte Fläche anzutreffen.

Im Dezember 1995 wurden in Deutschland 58 % aller Masthühner in Beständen mit mehr als 50.000 Tieren gehalten. 63,2 % aller Legehennen standen in Beständen mit über 30.000 Tieren. In der Mastschweinehaltung hatten die Schweine in Beständen ab 1.000 Tieren einen Anteil am Gesamtbestand von 23,3 %, und von den ca. 203.000 Milchkuhhaltern hatten 8,4 % 50 und mehr Tiere, was 35,9 % aller Milchkühe entspricht. Im Vergleich zu den anderen EU-Mitgliedstaaten ist die deutsche Rinder- und Schweinehaltung klein strukturiert.
Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR waren Betriebe mit bis zu 100.000 Tieren (v.a. Schweine) bestückt. Täglich wurden dabei bis zu 2.500 t Gülle in Fließgewässer oder Gülleseen transportiert. In den Niederlanden wurden "Mistbanken" gegründet, welche Gülle in weniger belastete Regionen absetzen sollen.

Mögliche Probleme der Massentierhaltung:

Die immissionschutzrechtliche Begutachtung landwirtschaftlicher Betriebe mit Intensivtierhaltung erfolgt in Deutschland im Rahmen des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) unter Berücksichtigung bestehender VDI-Richtlinien. Als relevanter Immissionsparameter wird bei diesen Betrieben derzeit (1998) nur die Geruchsbelästigung angesehen. Für hygienisch wichtige Parameter (z.B. Emission von Stallstäuben mit Ammoniak und allergenen Mikroorganismen) bestehen keine Regelungen. Zudem ist 1996 im Rahmen der EU-weiten Harmonisierung des Umweltrechts die Zahl der Tiere deutlich heraufgesetzt worden, von der ab eine Genehmigung des Betriebes erforderlich ist. Nach der Vierten Verordnung zur Durchführung des BImSchG) betrifft die Genehmigungspflicht Anlagen zum Halten oder zur Aufzucht von Geflügel oder zum Halten oder zur getrennten Aufzucht von Schweinen mit

(s. a. Agrarfabrik, agrarindustrielles Unternehmen, Agribusiness, bodenunabhängige Viehhaltung, Futtermittelimporte, industrialisierte Landwirtschaft, Intensivlandwirtschaft, Umweltwirkungen)

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