Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

vertikale Integration

1. Die planmäßige Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehr nachgeordneten Wirtschaftseinheiten, die an der Lieferung landwirtschaftlicher Betriebsmittel, an Erzeugung, Be- und Verarbeitung sowie an Sammlung, Transport, Lagerung und Verteilung von agrarischen Urprodukten oder ihren Verarbeitungserzeugnissen mitwirken (strategische Allianz zwischen Landwirtschaft sowie vor- und vor allem nachgelagerten Marktpartnern). Auf diese Weise können neue Märkte mit homogenen Endprodukten erschlossen werden. Die Marktpartner (Inputproduzenten, Landwirtschaft, Handel, Industrie) konzentrieren sich jeweils auf ihre Kernkompetenzen. Mehr als bisher ist die Landwirtschaft somit als Glied einer Wertschöpfungskette zu begreifen, auf die der Begriff Agribusiness zu beziehen ist. Als Klammer zwischen Landwirtschaft und Ernährungsindustrie kann künftig ein Qualitätsmanagement auf der Grundlage der EU-Normenfamilie ISO 9000ff dienen.

Die sogenannte Rückwärtsintegration bedeutet die Art der Zusammenarbeit mit der vorgelagerten Stufe, also dem Betriebsmittel- und Zulieferbereich. Die Vorwärtsintegration bezeichnet die Zusammenarbeit mit dem nachfolgenden Bereich also mit den Abnehmern der Ware, der Weiterverarbeitung oder dem Handel. Die Abfolge aller Fertigungsstufen ist die Wertschöpfungskette.

Beispiel für vertikale Integration sind Verträge zwischen Milcherzeugern und Molkereien, zwischen Gemüsebauern und Konservenfabriken, zwischen Braugersteerzeugern und Mälzereien bzw. Brauereien, zwischen Zuckerrübenerzeugern und Zuckerfabriken oder zwischen Hähnchenmästern und Geflügelschlachtereien. Mehrgliedriger ist eine Allianz beispielsweise aus Zuchtunternehmen, Futtermittelproduzent, Fleischverarbeiter und Einzelhandelskette.

Solche Verträge sind eine Form, wie Landwirte in die Wertschöpfungskette eingegliedert werden. Standards und Vertragslandwirtschaft sind die wichtigsten Instrumente zum 'Orchestrieren der Wertschöpfungsketten'.

Weltweit nimmt der Trend zu, daß ganze Nahrungsketten im Wettbewerb gegeneinander antreten. Als besonders erfolgreiche Beispiele für gut funktionierende Partnerschaften und optimale Produktions- und Handelsstrukturen gelten die holländische Milchwirtschaft, die dänische Fleischwirtschaft sowie der US-Lebensmitteleinzelhandel.

Die Zusammenarbeit ist angesichts des gewandelten Absatzes von Agrarprodukten und geänderter Ansprüche an Agrarprodukte (90 % der landwirtschaftlichen Erzeugnisse werden heute in Deutschland be- oder verarbeitet) wesentlich bedeutsamer als früher, als die Direktvermarktung noch im Vordergrund stand. Diese Integration wird vielfach in feste Verträge gekleidet (Vertragslandwirtschaft). Das Preisrisiko solcher Zulieferverträge kann über die Nutzung einer Warenterminbörse abgesichert werden.

Die vertikale Integration führt für die beteiligten landwirtschaftlichen Erzeuger und Vermarkter zu einer Verbesserung ihrer Marktstellung durch

Für die Realisierung von vertikalen Integrationen wird verschiedentlich ein in den USA bereits praktiziertes Werkzeug propagiert, das Supply Chain Management System. Hierbei handelt es sich um ein unternehmensübergreifendes Logistik-Konzept. Sein Ziel ist die zeitliche und mengenmäßige Optimierung des Warenflusses vom Hersteller über den Händler bis zum Verbraucher, wobei alle per EDV miteinander vernetzt sind.

Historisch traten vertikal integrierte agrarindustrielle Unternehmen zuerst in der Hähnchenmast in den USA auf. Gesteuert wurde der Industrialisierungsprozeß durch die kontinuierlich steigende Nachfrage nach Geflügelfleisch, niedrige Lohnkosten im Südosten der USA, günstige Frachttarife für Futtermittel aus dem Mittelwesten und die vorteilhafte klimatische Ausstattung der Staaten am südlichen Atlantik und am Golf von Mexiko.

Auch die frühere UdSSR und andere sozialistische Staaten hatten eine agrarindustrielle Integration entwickelt, welche die Agrarproduktion mit der vor- und nachgelagerten Industrieproduktion koordinierte. Das Ziel dieser vertikalen Integration bestand nicht nur darin, den Leerlauf zu verringern und die Transportkosten zu senken, sondern auch, industrielle Arbeitsplätze im Agrarraum zu schaffen und damit die Disparitäten zwischen Stadt und Land abzubauen.

2. Die Einbeziehung von Funktionen einer oder mehrerer nachgelagerter Wirtschaftsstufen in die Tätigkeit eines Einzelunternehmens. Insofern kann vertikale Integration neben organisatorischer auch rechtliche Zusammenfassung von Betrieben bedeuten.
Diese Zusammenfassung kann durch den eigenständigen Aufbau der zusätzlichen Aktivitäten oder durch Übernahme eines bisher selbständigen Unternehmens erfolgen. Für landwirtschaftliche Unternehmen handelt es sich dabei vor allem um den Handel mit Agrarprodukten oder die Be- und Verarbeitung. Sie erreichen so eine Teilhabe an der Wertschöpfung dieser Stufen.

Erfolgt eine Integration von Seiten der Landwirtschaft (Erzeugergemeinschaft übernimmt einen Schlachthof und produziert Markenware, Bspl.: Erzeugergemeinschaft Osnabrück) wird dies als vertikale Integration von unten bezeichnet. Übernimmt ein Betrieb aus dem nachgelagerten Bereich die agrare Produktionsstufe (Geflügelschlachterei integriert Zucht, Fütterung, Mast und Vermarktung, Bspl.: Wiesenhof-Hähnchen) so liegt eine vertikale Integration von oben vor.

Vertikale Integration um den Agrarbereich schafft häufig Unternehmen, die nicht mehr eindeutig dem primären oder sekundären Produktionssektor zugeordnet werden können, sondern Mischformen darstellen.

(s. a. horizontale Integration, horizontale Koordinierung, vertikale Koordinierung)

Weitere Informationen:

Pfeil nach linksVerschlämmungHausIndexvertikale KoordinierungPfeil nach rechts