Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Wertschöpfungskette (WSK)

Eine Wertschöpfungskette (engl. value chain, dt. auch Wertkette) bildet die geordnete Reihung von Tätigkeiten in der Herstellung und der Bereitstellung eines Produktes ab. Diese Tätigkeiten schaffen Werte, verbrauchen aber auch Ressourcen. Die einzelnen Prozesse sind miteinander verbunden.

Die Abfolge dieser Aktivitäten - hier also innerhalb der food chain - umfasst zum Beispiel die landwirtschaftliche Primärproduktion auf dem Feld oder im Stall, die Aufbereitung und Weiterverarbeitung des Ernteguts zu Lebens- oder Futtermitteln, die gesamte Logistik und Lagerung und den Verkauf im Groß- und Einzelhandel. Die WSK analysiert die Aktivitäten, Produkte und Dienstleistungen während der einzelnen Prozessschritte, ebenso die Beteiligten, deren Beziehungen und Machtverhältnisse sowie den damit verknüpften Informations- und Wissensaustausch. Der WSK-Ansatz ermöglicht den Blick über einzelne Sektoren und nationale Grenzen hinaus auf alle Prozessschritte und Beteiligten. Das Konzept wurde erstmals 1985 von Michael E. Porter (Competitive Advantage) vorgestellt.

Oftmals wird die Wertschöpfungskette vom Begriff des Wertschöpfungsnetzes ersetzt, womit der erhöhten Komplexität Ausdruck verliehen wird.

Seit neuestem schließt der Begriff überdies die Wiederverwendung und/oder Entsorgung abgenutzter Produkte ein, weil diese wiederum Rohstoffe für andere Produkte im selben Unternehmen oder in anderen Unternehmen darstellen. Die Wertschöpfungskette umfasst folglich sämtliche Aspekte des Lebenszyklus eines Produktes ('von der Wiege bis zur Bahre').

Die folgende Abbildung zeigt am Beispiel der Haselnuss-Kakao-Creme Nutella vereinfachte Bezüge einer globalen Wertschöpfungskette. Etwa 250.000 t Nutella werden jährlich in etwa 75 Ländern verkauft (Angaben schwankend).

Gesteuert wird die Kette vom operativen Firmenhauptsitz in der piemontesischen Stadt Alba (I). Die Muttergesellschaft der Ferrero-Gruppe (Ferrero International S. A.) ist als AG in Luxemburg eingetragen. Die Lebensmittelverarbeitung erfolgt in neun Fabriken weltweit. Einige Materialien stammen aus lokalen oder regionalen Quellen, z. B. das Verpackungsmaterial und die Magermilch. Andere Zutaten werden global bezogen wie Haselnüsse (primär Türkei), Palmöl (Malaysia, Brasilien), Kakao (Nigeria, Elfenbeinküste), Zucker (Brasilien, Europa), Vanillin (USA, Frankreich). Die Verarbeitung erfolgt in der Nähe der wichtigsten Konsumentenmärkte, der Absatz geschieht durch Vertriebsstellen, die allerdings zahlreicher sind, als in der Karte dargestellt.

Die globale Wertschöpfungskette von Nutella®
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Quelle: OECD

Die vielen beteiligten Akteure sowie die Vor- und Zwischenprodukte und Dienstleistungen müssen zeitlich, räumlich (ggf. global), in ihren geforderten Eigenschaften und im richtigen Mengenverhältnis präzise nach Plan zusammentreffen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen: das verkaufsfertige Endprodukt im Supermarktregal.

Dabei zielt das Konzept darauf ab, die Effizienz der Zusammenarbeit so zu optimieren, dass die Summe der Gewinne, die von jeder Stufe gemacht werden, maximiert wird unter der Bedingung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit des Gesamtprozesses und der nachhaltigen Nutzung der Ressourcen. Damit ein solches komplexes Verfahren funktionieren kann, bedarf es erstens eines 'Leitunternehmens', das sind hier die Supermarktketten, zweitens eines Steuerungsmechanismus, drittens eines Zusammenhalts in Form eines standardisierten Produkts. Im Fall der meisten landwirtschaftlichen Güterketten, besonders bei Schüttgut (z. B. Getreide) und Frischeprodukten ist die Kette noch recht linear, und bei Roh- und Frischeprodukten handelt es sich um eine recht kurze Wertschöpfungskette. Das Wesen von Frischeprodukten ist gerade die geringe Fertigungstiefe.

Der Fokus bei den Wertschöpfungsketten liegt auf dem Mehrwert, den ein Produkt auf der jeweils nächsthöheren Stufe erzielt (z. B. Handel, Verarbeitung, Lagerung, Transport, Verkauf). Mehrwert kann erzielt werden in Form von Einkommen für Arbeitnehmer, von Gesamtkapitalrenditen (Gewinnen) für Unternehmer und Vermögensbesitzer, von Steuereinnahmen durch die Regierung (oder illegal in Form von Korruptionszahlungen), von besserer Versorgung für Verbraucher sowie von Externalitäten bzw. Effekten auf die Umwelt.

Wertschöpfungsketten - auch globale Lieferketten genannt - sind ein typisches Produkt der Globalisierung. Sie setzen ein liberalisiertes globales Investitionsregime voraus, bedürfen technologischer Neuerungen wie die internationale Telekommunikation, Informationstechniken, Verbesserung der Transporte und internationalen Logistik sowie Konservierungstechniken (z. B. geschlossene Tiefkühlketten) und Laboreinrichtungen. Auch haben sie hohe Ansprüche an den nationalen und internationalen Rechtsrahmen, z. B. hinsichtlich geistiger Eigentumsrechte, internationaler Standards für Hygiene und Lebensmittelsicherheit, Saatgutverkehr, Pestizidzulassung. (Buntzel/Marí 2016)

Die folgende Grafik veranschaulicht die Bindeglied-Funktion des Agrarhandels innerhalb der agrarischen Wertschöpfungskette. Er besitzt eine Doppelfunktion sowohl als Absatzmittler, beispielsweise im Getreidegeschäft als auch in Form eines Dienstleisters im Bezugsgeschäft landwirtschaftlicher Produkte. Der Handel mit Agrarprodukten nimmt neben der Raum- und Zeitüberbrückung auch einen Qualitäts- und Mengenausgleich innerhalb der agrarischen Wertschöpfungskette vor. Den Agrarhandel als Bindeglied innerhalb der agrarischen Wertschöpfungskette berühren auch Themen der vor- und nachgelagerten Stufen wie beispielsweise Strukturveränderungen in der Landwirtschaft, Klima- oder Umweltfragen oder das Tierwohl in der Lebensmittelproduktion.

Position des Agrarhandels in der agrarischen Wertschöpfungskette
Position des Agrarhandels in der agrarischen Wertschöpfungskette

Quelle: Wikipedia

Agrare Wertschöpfungsketten in Entwicklungsländern

In vielen Märkten ist die Organisation der Wertschöpfungskette (WSK) damit zum Wettbewerbsfaktor geworden. Das Einhalten von Qualitätsstandards, wachsende Produktvolumina, verbunden mit festen Lieferfristen und Anforderungen an die Rückverfolgbarkeit sind große Herausforderungen insbesondere für kleinere Unternehmen und bäuerliche Betriebe, aber auch für Regierungen und Branchenverbände.

Wirtschaftliches Wachstum ist unabdingbar für eine erfolgreiche Armutsminderung in Entwicklungsländern. Die für die ländliche Bevölkerung wichtigsten Möglichkeiten zur Wertschöpfung liegen in hochwertigen Agrar- und Naturprodukten und in der arbeitsintensiven Be- und Verarbeitung.

Das Konzept der Wertschöpfungskette umfasst die miteinander verbundenen Stufen der Erzeugung, des Handels, der Verarbeitung und des Vertriebs bzw. Exports von Agrarprodukten. Die öffentliche Förderung von Wertschöpfungsketten ist vor allem dort notwendig, wo Märkte schwach organisiert sind und keine Handelsklassen und Standards definiert sind, die Preisbildung intransparent ist, Technologie, Infrastruktur und Dienstleistungsangebote fehlen oder der Marktzugang eingeschränkt ist. Für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg auf dem Weltmarkt wird die Koordinierung von Produktion und Vermarktung immer bedeutender. Oft hängt die Wettbewerbsposition der Produzierenden von den anderen an der Erstellung eines hochwertigen Produkts beteiligten Unternehmen ab. Mit der Entwicklung von Wertschöpfungsketten kann die Wettbewerbsfähigkeit in nationalen und internationalen Märkten verbessert und die Wertschöpfung innerhalb des Landes oder einer Region erhöht werden. Das Hauptkriterium hierbei ist ein Einkommenszuwachs, der arme Bevölkerungsgruppen möglichst begünstigt, zumindest aber ihre relative Situation nicht verschlechtert. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) berät ihre Partner im Auftrag der Bundesregierung hinsichtlich der Gestaltung von Wertschöpfungsketten.

Auf der Grundlage eingehender WSK-Analysen entwickelt das GIZ zusammen mit allen wichtigen Akteuren Strategien für eine gezielte Förderung. Durch die frühzeitige Orientierung von Fördermaßnahmen auf die Vermarktbarkeit von Produkten werden deren spätere Absatzchancen verbessert. Damit werden private und staatliche Investitionsmittel mobilisiert, die zu mehr Wirtschaftswachstum führen. Entscheidend ist, dass dieses Wachstum gleichzeitig einen breitenwirksamen sozialen und ökologischen Nutzen hat und zum effizienteren Einsatz von Energie, Wasser und anderen Ressourcen führt. (GIZ)

In der Entwicklungszusammenarbeit werden Wertschöpfungsketten gefördert mit dem Ziel, möglichst viele Prozesse in das entsprechende Entwicklungsland zu verlagern, damit möglichst viel Wertschöpfung im Land verbleibt. Mit verarbeiteten Produkten lässt sich in der Regel mehr Umsatz erzielen als mit Rohstoffen, zugleich werden dringend benötigte Arbeitsplätze geschaffen.

Hierbei können Wertschöpfungsansätze an ganz verschiedenen Stellen zum Tragen kommen: lokal verankert auf der sogenannten Mikro-Ebene der Unternehmen, die an den verschiedenen Funktionsstufen entlang der Wertschöpfungskette agieren; auf der Meso-Ebene verschiedener Netzwerke und Kooperationen, die die Wertschöpfungskette steuern (zum Beispiel Verbände); oder aber auf der Makro-Ebene, die den Rahmen gibt – die nationale Agrarpolitik, Fiskal- oder Haushaltspolitiken oder auch Regularien globaler Märkte. (BMZ)

(s. a. Filière-Konzept, Lebensmittelkette, Lieferkette, Warenkette)

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