Grüne Revolution
Ein speziell für tropische Regionen entwickeltes Agrarkonzept (GR), das auf Ertragssteigerung von Nahrungspflanzen - vor allem von Weizen und Reis - durch kombinierten Einsatz ("package approach") von Hochertragssaatgut (High Yielding Varieties: HYV), Agrarchemikalien, modernen Bodenbearbeitungsmethoden und Bewässerung abzielt.
Nicht zuletzt durch die Grüne Revolution konnte die weltweite Nahrungsproduktion in den letzten Jahrzehnten vervielfacht werden – und dadurch das Bevölkerungswachstum übertreffen. Ohne Hochleistungssorten wäre die Nahrungsproduktion in den Entwicklungsländern heute um ein Viertel niedriger als sie es tatsächlich ist, und weltweit würde es an die 200 Millionen mehr Hungernde geben.
Der Begriff wurde vermutlich 1968 von W. Gaud eingeführt, um zu beschreiben, dass Änderungen in der Landwirtschaft von Entwicklungsländern revolutionären Charakter hatten und ein Wandel nicht mehr innerhalb eines üblichen Evolutionsprozesses stattfand.
Die Züchtung von HYV begann in den 30er Jahren in den USA. 1942 etablierten amerikanische Agrarwissenschaftler aus Mitteln der Rockefeller Foundation im Norden Mexikos ein Forschungs- und Ausbildungsprogramm für den landwirtschaftlichen Bereich, mit dem späteren Schwerpunkt Pflanzenzucht. Ziel war die Verschiebung der Biomasseanteile zugunsten des Kornertrags bei Mais- und Weizensorten (CIMMYT).
Die traditionellen, noch nicht verbesserten Varietäten der in das Konzept einbezogenen Kulturpflanzen waren groß, besaßen lange, schlaffe Blätter sowie tiefe weitverzweigte Wurzelsysteme und wiesen einen niedrigen Ernteindex auf. Die Erträge waren außergewöhnlich gering und wurden durch unzureichende Bodenfruchtbarkeit sowie vor allem durch einen in den Tropen besonders ausgeprägten Stickstoffmangel begrenzt. Die geringen Erträge wurden teilweise durch die hohe genetische Diversität der Varietäten mit ihren Resistenzen gegenüber Dürre und Krankheiten kompensiert. Aufgrund des Stickstoffmangels und der negativen Folgen größerer Blattbeschattung ließen sich bessere Erträge nicht durch erhöhte Pflanzendichten erreichen. Erhöhte Einträge anorganischer Dünger bewirkten lediglich eine stärkere Blattentwicklung mit zunehmender gegenseitiger Beschattung, sowie verlängerte Stengel, die zunehmend instabiler wurden.
Die wichtigste Errungenschaft der GR war die Produktion zwergwüchsiger oder zumindest kleinerer Varietäten von Getreidepflanzen mit stabilen Stengeln und kleinen, aufrechten Blättern. Diese Sorten ermöglichten dichtes Pflanzen, minimale Beschattung, relativ begrenzte Wurzelsysteme und sie besitzen das Potential für höhere Erträge. Es handelt sich um Hybridzüchtungen, die aus Kreuzungen von Inzuchtlinien zur Züchtung einmalig verwendbaren Saatgutes hervorgehen.
1960 wurde in Los Baños auf den Philippinen ein Institut zur Erforschung von Hochertrags-Reissorten gegründet (International Rice Research Institute).
1965 begann die Einführung der HYV von Reis, Weizen und Mais in Nassreisbaugebieten und Getreidebaugebieten mit Nutzungswechsel und Pflugkultur in Asien, Nordafrika und Lateinamerika.
Anfang der neunziger Jahre wurden in Asien auf rd. 36 % der Getreidefläche HYV angebaut, in Lateinamerika auf rd. 22 %. Besonders rasch wurde der mexikanische Weizen von Pakistan und Indien übernommen. 1968/69 wurden in Pakistan ca. 45 % der Weizenfläche mit den neuen Sorten bestellt, in Indien waren es ca. 30 %. Bezogen auf die Weizenflächen der Entwicklungsländer (ohne China) waren 1990 70 % mit HYV bestellt.
Am wenigsten kam das verbesserte Saatgut in Afrika südlich der Sahara zum Einsatz. Die Erklärung ist in einer Vielzahl von soziokulturellen, politischen, agro-ökologischen und agrartraditionellen Ursachen zu suchen. Während im subsaharischen Afrika mit dem Wanderfeldbau und zunehmend auch mit dem permanenten Trockenfeldbau (bzw. Regenfeldbau) zwei längerfristig wenig entwicklungsfähige Produktionssysteme dominieren, steht der Landbevölkerung Tropisch-Asiens mit der Produktion von Nassreis im Bewässerungsfeldbau eine Form der Nahrungserzeugung zur Verfügung, die sich nicht nur durch ökologische Nachhaltigkeit, hohe Flächenproduktivität und eine enorme Tragfähigkeit, sondern auch durch ein überdurchschnittliches Entwicklungspotential auszeichnet, auf dem die GR erfolgreich aufbauen konnte. (Scholz 1998)
Die Umstellung auf Hochertragssorten in Verbindung mit einer Ausweitung der Bewässerungsflächen und erhöhtem Betriebsmitteleinsatz bewirkte eine erhebliche Steigerung der Weizen-, Reis- und Maisproduktion. Zwischen 1950 und 1984 stiegen die Getreideerträge um jährlich 3 %. Die Getreideproduktion pro Kopf erhöhte sich in diesem Zeitraum um 40 %. In Indien führten die Ertragssteigerungen dazu, daß das Land vom zweitgrößten Getreideimporteur im Jahre 1966 bis zum Ende der 70er Jahre zum autarken Getreideversorger wurde. Weitere Produktionserhöhungen sind möglich, da bislang erst ein Teil der Bauern Agrarchemikalien in nennenswertem Umfang verwendet. Anders als die meisten Agrarbetriebe der Industrieländer könnten Betriebe der Entwicklungsländer mit niedrigem Ertragsniveau und noch geringem Düngereinsatz schon mit relativ kleinen Düngermengen erhebliche Ertragssteigerungen erzielen.
Bedingt durch eine Verringerung des Betriebsmitteleinsatzes durch Abnahme der Anbauflächen infolge von Bodendegradation kam es zwischen 1984 und 1990 zu einem Rückgang der Zuwachsraten auf weniger als 1 Prozent pro Jahr.
Neben der Ertragssteigerung galt die Züchtungsforschung auch der Verbesserung des Nährwertes, z.B. im Hinblick auf Eiweißgehalt und Eiweißqualität bei Weizen.
Zur weiteren Bewertung der Grünen Revolution:
- Ohne die GR wäre in den Entwicklungsländern die Versorgung einer exponentiell wachsenden Bevölkerung nicht gelungen.
- Die GR erlaubt Doppel- oder Dreifachernten im Jahr.
- Als Folge werden neuerdings Ansätze von Bodendegradation im ewigen Reisbau Asiens berichtet. (Pingali u.a. 1997)
- Die Nahrungsmittelpreise sanken.
- Die Ernährungsprobleme wurden dennoch nur teilweise gelöst, da viele Hungernde keine Kaufkraft zum Erwerb des Getreides haben.
- Die volle Leistungskraft der HYV kommt nur bei der Verwendung eines optimal abgestimmten Maßnahmebündels (package approach) zur Geltung. Beim Fehlen eines Faktors ist der komplette Anbauerfolg in Frage gestellt. Neuere Züchtungen sollen diese Abhängigkeiten abgemildert haben. Jede Komponente der GR soll nun für sich alleine schon eine deutliche Produktionserhöhung erbringen.
- Es trat eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Krankheiten und Schädlingen auf (Rostinfektion bei Weizen, Viruskrankheiten beim Reis, z.B. der Braune Planthopper).
- HYV benötigen intensiven chemischen Pflanzenschutz, der die Umwelt belastet und die ländliche Bevölkerung gefährdet. In vielen Nassreisgebieten Südostasiens ergab sich eine Beeinträchtigung oder Zerstörung der traditionellen Fisch- und Wassergeflügelhaltung durch den exzessiven Chemikalieneinsatz. Bestimmte Schädlinge wurden resistent bzw. immun.
- Der Ersatz von traditioneller Naturdüngung durch Mineraldüngung bei gleichzeitigem Beratungsdefizit führte vielfach zu Überdüngungserscheinungen, z.T. zu Ertragsrückgängen.
- Es kam zu schlechten Back- und Verarbeitungsqualitäten bei Weizen und Mais und zu einem hohen Wasserbedarf bei Reis (Folgeforschungen konnten diese Erscheinungen z.T. mildern).
- Energetisch ist die neue Agrartechnologie weniger effektiv als viele traditionelle Anbausysteme.
- Die GR verstärkt den Trend, nur noch wenige, hohe Ernteerträge versprechende Samensorten anzubieten und einzusetzen. Tausende von Samensorten sind bereits vernichtet und stehen für Zuchtversuche nicht mehr zur Verfügung (Generosion). Die Angebotspalette auch genetisch unterschiedlicher Sorten ist heute allerdings deutlich größer als 1970.
- Ohne die Intensivierung des Ackerbaus durch die GR wäre die Regenwaldzerstörung vermutlich noch weiter fortgeschritten.
- Hochertragssorten von Weizen, Mais oder Reis und die für sie erforderliche HY-Technologie sind in der gegenwärtigen Ausprägung für eng begrenzte naturgeographische Gunsträume mit guten Böden hoher Austauschkapazität geeignet. Für rd. zwei Drittel der Tropenzone und damit den größten Teil der Dritten Welt bieten sie keine Lösung agrarischer Produktivitätsprobleme.
- Entwicklungsländer befürchten, in die Abhängigkeit von wenigen mit Gen-Banken und dem Know-how zur Gentechnik ausgestatteten transnationalen Saatgutunternehmen zu geraten.
- Nationale Forschungseinrichtungen, die die weltweit vorhandenen Sorten an lokale Bedingungen hätten anpassen können, waren nicht vorhanden.
- Bauern werden zunehmend in Agrarsystembeziehungen eingebunden. Dies führt häufig - wenn auch nicht generell - zu Verschuldung und Verschärfung sozialer Disparitäten. Andererseits wird auch ein Aufholen des Produktivitätsvorsprungs der großen Betriebe durch Kleinbauern berichtet.
- Das Hauptverbreitungsgebiet der GR liegt in Ländern mit rentenkapitalistischer Agrarsozialstruktur und höchst ungleichem Ressourcenzugang der Landbevölkerung. Großbauern und Landeigentümer wurden durch HYV-Diffusion begünstigt, da vor allem sie die Möglichkeit zur Beschaffung notwendiger Inputs besaßen. Die Erhöhung der Flächenerträge führte zu unproportionaler Steigerung von Pachtsummen oder zur Vertreibung von Pächtern, weil Landeigentümer die attraktiver gewordene Landwirtschaft in eigene Regie übernahmen (Verschuldung, Abwanderungen, Wandlungen der Betriebsgrößenstruktur als sozioökonomische Konsequenzen, wirtschaftliche Polarisierung).
Es wird andererseits auch die Position vertreten, dass der Einsatz hochertragreicher Getreidesorten "betriebsgrößenneutral" sei. - Die Geschwindigkeit der Ausbreitung von Maßnahmen im Rahmen der GR hat sehr markante Disparitäten zwischen einzelnen Regionen entstehen lassen (Regionen mit moderner Agrartechnologie gegenüber Gebieten mit traditioneller Nutzung). In Trockengebieten ohne Bewässerungssysteme konnten die neuen, gegenüber Feuchtigkeitsstress empfindlichen Sorten nicht eingesetzt werden. Der Großteil Afrikas wurde daher völlig ausgespart von der GR, ebenso trockene Gebiete in Asien und Südamerika.
- Die Effekte der GR auf den ländlichen Arbeitsmarkt sind bisher noch positiv, da dem erhöhten Arbeitsaufwand eine teilweise erst geringe Mechanisierung entgegensteht. Falls sich der deutliche Trend zur Technisierung und Rationalisierung aber weiter verstärkt, sind erhebliche Freisetzungen von Arbeitskräften zu erwarten, die möglicherweise außerhalb der Landwirtschaft nicht aufgefangen werden können. Andererseits vermag die Mechanisierung bei einer Binnenproduktion der Geräte zu einer Diversifizierung der Volkswirtschaft beizutragen. Auch wirkt die Ausweitung auf 2 bis 3 Ernten pro Jahr einem Arbeitskräfteabbau entgegen.
- Die Außenabhängigkeit von Entwicklungsländern wurde teilweise eher vergrößert als verringert, da die Eigenproduktion von Agrar-Inputs nicht Schritt mit der Nachfragesteigerung hält. Zwar wurde der Bedarf an Nahrungsmitteln reduziert oder beseitigt, doch müssen wachsende Mengen landwirtschaftlicher Produktionsmittel importiert werden, die wegen ungünstiger Terms of Trade immer höhere Anteile der Agrarexporterlöse aufzehren. Als Gegenbeispiel dient Indonesien mit einer auf die eigenen Erdöl- und Erdgasvorkommen gestützte Düngerfabrikation.
- Die FAO räumt ein, dass die von ihr forcierte GR in den meisten Ländern der Welt die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt habe.
Charakteristika und Effekte der GR sind in ihren Ausprägungen ausdrücklich nach Staat bzw. Agrarregion und Zeitabschnitt seit Beginn der GR differenziert zu sehen!
Die Probleme der GR, insbesondere deren räumliche Anwendungsbeschränkungen und agrarsoziale Effekte, führten seit den siebziger Jahren zu einer Reorientierung der Entwicklungsländer-bezogenen Agrarforschung mit dem Ziel einer stärkeren Berücksichtigung der Probleme ressourcenarmer Kleinbauern und der Ausweitung der GR auf bisher nicht berücksichtigte tropisch-subtropische Ungunstgebiete. Zu diesem Zweck erfolgte eine Erweiterung des Netzes landwirtschaftlicher Forschungsstationen, eine Ausdehnung der Züchtungsforschung auf 21 Kulturpflanzen (u.a. Gerste und Hirse) und die Einbeziehung der Tierhaltung in das Forschungsprogramm. Experimentiert wird u.a. auch mit
- Pflanzen- und Tierzüchtungen, die unter ungünstigen Boden- und Klimabedingungen Ertragssteigerungen zulassen und erhöhte Schädlings- bzw. Krankheitsresistenz besitzen,
- Verfahren der integrierten Schädlingsbekämpfung, d.h. der Kombination von chemischen Pestiziden mit biologischen und mechanischen Kontrollmechanismen, z. B. gezieltem Einsatz natürlicher Feinde der Schädlinge, Verminderung der Fortpflanzungsfähigkeit durch Einsatz steriler Männchen, Aufstellung von Duftfallen, Vernichtung befallener Pflanzenteile, Schädlingsregulierung durch Rotationen und Mischkulturen und der
- Verbesserung der Düngereffizienz durch Mulchen und Einarbeiten von Pflanzenmaterial (z. B. Unterpflügen von Klee). Die Ertragsfähigkeit Mulch-bedeckter tropischer Böden bleibt auch bei geringem Düngereinsatz wesentlich länger erhalten als bei üblicher Bodenbearbeitung.
Die eben angeführten Versuche zeigen, dass auch ohne hohen Agrarchemikalien-Einsatz Produktionssteigerungen in Regionen traditioneller Landwirtschaft möglich sind. Hier setzt grundsätzliche Kritik am "High-External-Input-Konzept" (Produktionssteigerung durch hohen Einsatz zugekaufter Betriebsmittel) der GR an. Maßnahmen zur Produktionssteigerung orientierten sich bisher zu sehr am Modell des konventionellen Landbaus in Industrieländern. Sind dort bereits seit längerem die kapital- und energieintensiven und umweltbelastenden Landwirtschaftsformen in die Kritik geraten, so erscheint es umso weniger sinnvoll, sie in ressourcenarme Länder der Dritten Welt zu übertragen. Ziel der Agrarpolitik muss vielmehr die Entwicklung "standortgerechter", d. h. möglichst sparsamer, umweltschonender und an die wirtschaftliche und soziale Situation ("kleinbauernfreundlich") von Entwicklungsländern angepasster Kulturpflanzen und -tiere, Wirtschaftsformen und Technologien sein. Diese Phase der "after green revolution" ist geprägt von Konzepten der "sustainable agriculture" oder des "eco-farming", zu denen Anbaumethoden wie die Agroforstwirtschaft und Mischkulturen gehören.
Strategien für die Weiterentwicklung der Grünen Revolution:
- Ausweitung der GR auf bislang vernachlässigte Kulturpflanzen, vor allem solcher die im Regenfeldbau angebaut werden können, und die Grundnahrungsmittel in weiten Teilen der Dritten Welt sind. Dazu gehören die Grobgetreidesorten Gerste, Hirse und Sorghum und Hülsenfrüchte, wie Linsen, Bohnen, Erbsen, Kichererbsen und Erdnüsse, ferner Wurzel- und Knollenfrüchte wie Maniok, Yamswurzeln, Kartoffeln, Taro u.w.
- Erhöhung der Toleranz von Feldfrüchten gegenüber ungünstigen Bodenbedingungen durch:
a) Verminderung des Wasserbedarfs (z.B. durch Herabsetzung der Wasserdampfabgabe durch Blatt und
Stengel oder durch kürzere Vegetationszeiten)
b) Toleranz gegenüber schwermetallhaltigen, versalzten und sauren Böden - Verminderung des Düngemittelbedarfs
- Verminderung des Pflanzenschutzbedarfs
- Entwicklung arbeitsintensiver Agrartechnologien
- Erzielung von Ertragssteigerungen und Qualitätsänderungen durch Biotechnologie und Gentechnologie
- Agrarreformen zur Schaffung gerechter Bodenbesitzverhältnisse
Weitere Informationen:
- International Rice Research Institute - Startseite
- International Maize and Wheat Improvement Center - Startseite (CIMMYT für span. Centro Internacional de Mejoramiento de Maíz y Trigo)
- Grüne Revolution verpufft durch Klimawandel (Pflanzenforschung.de)