Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Biotechnologie

Die Lehre und Wissenschaft von den Methoden und den Verfahren, die im Bereich der Biotechnik angewandt werden. Häufig findet keine Differenzierung zwischen den Begriffen Biotechnik und Biotechnologie statt. Keinesfalls ist Biotechnologie gleichzusetzen mit Gentechnik/Gentechnologie, die als Teilgebiete der Biotechnologie gelten.
Gegenstand der Biotechnologie ist somit auch das ganze Spektrum von Techniken und Methoden, die die technische Steuerung und Nutzung biologischer Materialien zur Herstellung von Stoffen und Leistungen zum Ziel haben. Es handelt sich um eine integrierte Anwendung von Biochemie, Molekularbiologie, Mikrobiologie, Züchtung, Chemie, Physik, Informatik und Verfahrenstechnik zur Nutzung des Potentials von Mikroorganismen und Zell- und Gewebekulturen bzw. Teilen von diesen. Anwendung findet die Biotechnologie in Pharmazeutik, Chemie, Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Lebensmitteltechnologie, Rohstoffgewinnung, Abwasserreinigung u.w. Die Biotechnologie besitzt eine hohe Innovationsdynamik, die u.a. daraus resultiert, daß sich aus den Ergebnissen der Grundlagenforschung oft unmittelbar die Möglichkeit praktischer Anwendungen ergibt.

Die Berührungspunkte von Biotechnologie und Landwirtschaft haben stark zugenommen, da die Biotechnologie immer mit organischen Substanzen als Roh- und Nährstoffe arbeiten muß, und diese nur aus der Bewirtschaftung natürlicher Ökosysteme stammen können. Damit wird die Land- und auch Forstwirtschaft zu einem Schlüsselsektor für eine breite Anwendung der Biotechnologie.
Die meisten Biotechnologie-gestützten Agrarprodukte werden von großen Konzernen, die im Agrarsektor tätig sind, auf den Markt gebracht (z.B. AgrEvo, Zeneca, BASF, Bayer, Novartis, Monsanto).
In der Vergangenheit fungierte die Biotechnologie hauptsächlich als Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte, wobei vor allem Neben- und Abfallprodukte der Agrarproduktion wie Molke oder Melasse, aber auch Primärprodukte wie Gerste oder Weintrauben in Fermentationsprozessen als Rohstoff eingesetzt und zu höherwertigen Nahrungsmitteln veredelt wurden. Zu derartigen biotechnologischen Erzeugnissen gehören u.a. Salami, Schinken, Brot, Brötchen, Käse, Kefir, Joghurt, klarer Fruchtsaft, Bier, Wein, Champagner und Sauerkraut. Neben diesen klassischen Bereichen werden die neuen biotechnischen Methoden verstärkt die Landwirtschaft befruchten.
Kritiker sehen die Landwirtschaft andererseits mit einer künftig eingeschränkten Rolle. Die Landwirtschaft könne auf einen technologischen, arbeitsteiligen und industriellen Prozeß reduziert werden, der primär durch die Bereitstellung von technischen Vorleistungen charakterisiert ist und bei dem die Produktionsfaktoren Boden und natürliche Umwelt durch Produktionsfaktoren wie Nährstofflösungen und klimatisierte Glashäuser als substituierbar betrachtet werden, oder bei dem die Tiere nur kleine individuelle Bioreaktoren sind.

Die Rolle der Biotechnologie in der Landwirtschaft:

Pflanzenproduktion:

- Inokulation (Impfbehandlung) von Pflanzen mit Mikroorganismen (Knöllchenbakterien für die symbiotische Stickstoff-Bindung oder Mykorrhizapilze für die Verbesserung des Phosphataufschlußvermögens durch die Pflanzenwurzeln)
- Herstellung von biologischen Pflanzenschutzmitteln (Biopestizide, z.B. insektizide Bakterien) und biologische Düngemittel (Biofertilizer) durch die Verwendung organischer Ausgangssubstrate unter Nutzung von Mikroorganismen
- Einsatz von Mikroorganismen in Fermentern (Bioreaktoren) für den Aufschluß von organischen Materialien und die Herstellung von z.B. höherwertigen Rohstoffen.

- Zell- und Gewebekulturen als in vitro-Technik (genutzt zur klonalen Vermehrung, zur Produktion von virusfreiem Pflanzmaterial, für die Pflanzenselektion und Züchtungsprogramme)
- Diagnosetechniken als Voraussetzung für die Selektion und Vermehrung von pathogenfreiem Saat- und Pflanzgut
- Gentechnik als kontrollierter Transfer von Genen mit bekannten Eigenschaften mit Hilfe von molekularbiologischen Methoden und unter Ausschaltung der natürlichen Kreuzung.

Viehwirtschaft:

Zur Einschätzung der Auswirkungen der Biotechnologie auf die Herstellung und Verarbeitung nachwachsender Rohstoffe und der entsprechenden Rahmenbedingungen sind u.a. folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

Für den Biotechnologiemarkt wird bis zum Jahr 2002 ein jährliches Wachstum von mehr als 20 % prognostiziert; 2002 soll er in Europa einen Umsatz von 106,5 Mrd. US-Dollar erzielen. Der Agrarsektor wird dabei einen Anteil von 3,9 Mrd. und der der Nahrungsmittelverarbeitung einen Anteil von 18 Mrd. US-Dollar erreichen. Aufgrund der Internationalisierung der Märkte und der Liberalisierung des Agrar- und Lebensmittelhandels wird davon ausgegangen, daß die Biotechnologie große Bedeutung für die zukünftige internationale Wettbewerbsfähigkeit der jeweiligen nationalen Agrar- und Ernährungswirtschaft haben wird.
Das vermutete Veränderungspotential der Biotechnologie für den Weltagrarmarkt stützt sich auf die Annahme, daß mit Hilfe biotechnologischer Entwicklungen bestimmte agrarische Rohstoffe billiger als mit traditionellen Methoden und Pflanzen erzeugt werden könnten. Die Produktion von Stoffen in Fermentern und die biotechnologische Veränderung von Pflanzen ermöglichen eine gewisse Entkoppelung der Produktion bestimmter Stoffe von den sie bisher erzeugenden Pflanzen und Organismen. Besonders deutlich wird dies auf dem Gebiet der Erzeugung von pflanzlichen Fetten und Ölen (z.B. Kakaobutter). Es wird angenommen, daß relativ teure Rohstoffe wie Kakaobutter, Erdnuß- und Kokosöl durch die biotechnologische Umwandlung (Enzymbehandlung) billigerer Fettsäuren aus Raps-, Soja- und Palmöl schon bald ersetzt werden könnten. Gegenwärtig ist aber bei vielen Substituten bzw. Substitutionsverfahren eine Rentabilität noch nicht gegeben.
Die Produktion und der Export bestimmter agrarischer Produkte sind auf dem Weltmarkt stark auf einzelne Länder konzentriert, so daß die Auswirkungen einer Reduktion der (insbesondere durch Industrieländer) nachgefragten Rohstoffmengen durch Substitutionen für einige Länder gravierend, für andere hingegen kaum spürbar wären. Besonders anfällige Länder sind beispielsweise Côte d'Ivoire, Ghana, Kongo, Mauritius, Nigeria, die Dominikanische Republik und Bolivien mit ihrer Spezialisierung auf nahezu nur ein Exportgut, meist Kakao oder Zucker).
Deutliche Auswirkungen - in Form konkreter Einnahmeverluste - haben biotechnologische Verfahren bisher auf einige zuckerexportierende Entwicklungsländer bereits gezeigt, unter ihnen vor allem die philippinische Zuckerinsel Negros. Grund dafür ist v.a. die verminderte Zuckereinfuhr der USA, nachdem dort die enzymatische Verarbeitung von Maisstärke zu Isoglucose einen Teil des zuvor importierten Zuckerbedarfs deckt.
Unter den Gewürzen ist die Substitutionsmöglichkeit von Vanillearoma, bislang ein komplexes und teures Exportgut, am weitesten fortgeschritten. Für Gummi Arabicum, ein Extrakt aus Akazienbäumen, der als Dickungsmittel in der Süßwaren- und Getränkeindustrie eingesetzt wird, ist ein Ersatzstoff entwickelt worden, der als qualitativ hochwertiger gilt als das natürlich produzierte. Senegal, Nigeria und der Sudan sind von der Substitution betroffen.
Hinsichtlich des Naturkautschuks wird an Möglichkeiten zur Biosynthetisierung des natürlichen Stoffes und an der Entwicklung einer natürlichen Kautschuk produzierenden Pflanze für den Anbau in höheren Breiten geforscht.
Unter den Entwicklungsländern werden infrastrukturell gut ausgebaute Länder größere Vorteile durch biotechnologische Methoden und Produkte haben als Länder mit einer schwächeren Infrastruktur, da sie neue Pflanzensorten und biotechnische Methoden schneller entwickeln, anpassen oder etablieren können. Als Beispiel für solche marktwirtschaftlichen Mechanismen gilt die momentane Entwicklung der Kakaoproduktion. Hier sind z.Z. Hochleistungssorten verfügbar, die insbesondere auf den malayischen Plantagen gepflanzt werden und mit 100 - 1500 kg Bohnen/ha einen mehr als doppelt so hohen Ertrag aufweisen, wie die traditionellen Sorten, die v.a. in den westafrikanischen, eher kleinbäuerlichen Produktionssystemen vorherrschen. Bei einer möglichen Anwendung von Gewebekulturen werden Erträge von über 3000 kg für möglich gehalten. Die Entwicklung derartiger Sorten wird nur Staaten mit hoher technologischer Kapazität (einige Länder Asiens) möglich sein, während die weniger entwickelten und armen Länder Afrikas nicht mithalten können.
Wenn verbesserte Erträge bei verschiedenen Agrarprodukten hauptsächlich auf dem Wege kapitalintensiver und arbeitskräftesparender Produktion in Großbetrieben erwirtschaftet werden, kommen diese der Bevölkerung nur bedingt zugute. Sinkenden Preisen für Nahrungsmittel stehen dann Einkommensverluste der Landbevölkerung gegenüber, die in den Ländern der Dritten Welt - anders als während des 19. Jahrhunderts in den westlichen Ländern - keine neuen Einkommensmöglichkeiten in einem wachsenden industriellen Sektor findet.
In Entwicklungsländern muß auch berücksichtigt werden, welche sozialen Folgen die Einführung biotechnologischer Innovationen im familiären und dörflichen Kontext mit sich bringen könnte. Zu denken ist dabei z.B. an die Rolle der Frauen in der Subsistenzwirtschaft und den möglichen Einkommens- und Statusverlust infolge der Umstellung der Produktion auf neue, marktorientierte Sorten.

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