Gentechnologie
Die Gesamtheit von theoretischen und praktischen Aspekten der Anwendung biologischer, molekularbiologischer, chemischer und physikalischer Methoden, die der Analyse, Veränderung und Neukombination von Nukleinsäuren (genetischem Material) dienen sowie des Einbringens und Vermehrens des neukombinierten Erbmaterials in lebenden Zellen. Der Begriff wird häufig synonym zu Gentechnik verwendet.
Gentechnologie kann großen Nutzen u.a. in den Bereichen Landwirtschaft oder der biologischen Bodensanierung bedeuten.
Für die Pflanzenzüchtung ist die Gentechnik als Instrument aus den folgenden Gründen von Bedeutung:
- sie bietet die Möglichkeiten zur Identifizierung von Genen, die an der Ausprägung pflanzlicher Eigenschaften beteiligt sind, sowie zur Verfolgung der Vererbung solcher Gene in Züchtungsprogrammen;
- sie stellt ein Mittel zur Untersuchung der Struktur und der Funktion einzelner Gene dar;
- sie erlaubt die Isolierung einzelner Gene und deren Übertragung von einem Organismus auf einen anderen, auch über Artgrenzen hinweg (transgener Organismus), und
- sie bietet neue Möglichkeiten zur Charakterisierung und Klassifizierung von Pflanzen.
Hinsichtlich der ökonomischen Nutzung ergeben sich folgende Anwendungsfelder:
- Ökonomische und ökologische Optimierung im Pflanzenschutz:
- Insektenresistenz durch vom Bacillus thuringiensis synthetisierte toxische Proteine; die Kulturpflanze produziert durch die Übertragung des Bakteriengens den "Schutzstoff" gegen Fraßschädlinge selbst (Tomate, Baumwolle, Mais, Raps, Reis, Kartoffel, Apfel, Walnuß); die Toxine sind unschädlich gegenüber Bienen und Säugern. Marktreife Produkte liegen vor: In den USA wurde 1996 von rd. 5.600 Farmern auf
ca. 720.000 ha Baumwolle angebaut, die gegen den Baumwollkapselwurm resistent ist; dies sind ca. 13 %
der gesamten Baumwollanbaufläche.
- Virusresistenz durch Hüllproteine verschiedener Viren (Melone, Gurke, Tomate, Mais, Kartoffel, Luzerne, Zuckerrübe); erfolgversprechende Freilandversuche mit Zuckerrüben wurden durchgeführt, die Sortenentwicklung wird noch einige Jahre in Anspruch nehmen.
- Pilzresistenz durch Chitinase-Expression (Kartoffel); Forschungsstadium
- Herbizidtoleranz (Mais, Raps, Baumwolle, Luzerne, Tomate, Tabak, Zuckerrübe, Soja); 1996 wurden auf
2 % der amerikanischen Sojaanbaufläche herbizidtolerante Sojabohnen angebaut.
- Stresstoleranz gegenüber Temperatur, Trockenheit, Salzen, Gasen, Sonneneinstrahlung - Herstellung von Wertstoffen und nachwachsenden Rohstoffen (Pflanzen als Bioreaktoren):
- Wertprodukte wie Antikörper, Humanserumalbumin, Antigene für Impfstoffe, Pharmaka (Produktion von Humaninsulin in Tabakpflanzen)
- Nachwachsende Rohstoffe wie reinere Fettsäuren, maßgeschneiderte Fettsäuren, definierte Stärke, Zellulose (Kartoffel, Raps, Baumwolle) - Verbesserung bzw. Veränderung der Qualität:
- Reifung, Lagerstabilität (Tomate, Melone, Kartoffel, Raps)
- Zucker-, Stärkegehalt (Mais, Reis, Kartoffel, Soja)
- Fettsäurespektrum (Raps, Mais, Soja, Sonnenblume)
- Gehalt an Protein, an essentiellen Aminosäuren (Mais, Getreide)
- Vitamingehalt (Reis mit Provitamin A)
- Abbau von pflanzeneigenen Giften (Blausäure der Cassava)
- Futteroptimierung (in Soja implementierte Enzyme zur besseren Aufschließung des in Soja enthaltenen
Phosphats)
- Farbeigenschaft (blaue Baumwolle) - Verbesserung der Ertragsfähigkeit
- Erhöhung der Photosyntheseleistung
- Bessere Nährstoffaufnahme
- Veränderter Stofftransport in der Pflanze - Biologische Stickstoffixierung
- Ausweitung des Wirtsbereiches der Rhizobien (stickstoffixierende, in Symbiose mit Leguminosen lebende Bakterien) von Leguminosen auf Getreide
Das Ergebnis gentechnischer Veränderungen ist eine "Pionierpflanze", die wieder in den klassischen Züchtungs- und Vermehrungsprozeß einfließt. Gentechnologie wird die klassische Pflanzenzüchtung ergänzen, niemals jedoch ersetzen oder überflüssig machen.
Dem Gentransfer zugängliche Kulturen sind:
Weizen, Gerste, Mais, Raps, Kartoffel, Zuckerrübe, Sonnenblume, Flachs, Luzerne, Weißklee, Erbse, ferner Reis, Soja, Zuckerrohr, Baumwolle, Pappel, Tabak, Fichte, Gurke, Chicoree, Salat, Paprika, Blumenkohl, Spargel, Karotten, Meerrettich, Sellerie, Broccoli, Tomate, Melone, Erdbeere, Kiwi, Himbeere, Papaya, Cranberry, Pflaume, Walnuss, Apfel, Wein, Birne, Chrisantheme, Rose, Petunie.
Bis 1997 sind über 100 Pflanzenarten gentechnisch manipuliert worden. Die weltweite Anbaufläche von gentechnisch veränderten Organismen betrug 1997 ca. 100.000 km².
In der Tierzüchtung ergeben sich im Hinblick auf die Landwirtschaft folgende mögliche Einsatzgebiete:
- Erhöhung der Krankheitsresistenz
- Entwicklung von Tierimpfstoffen
- Ertragssteigerungen, analog zur Pflanzenproduktion (z.B. BST)
- Produktion humaner Proteine durch transgene Tiere (Tiere als Bioreaktoren, Bio-Pharming)
- Beeinflußung der Milch- und Fleischzusammensetzung
- Beeinflußung der Pansen-Mikroorganismen, z.B. hinsichtlich der Begrenzung der Methanbildung
In der Ernährungswirtschaft ergeben sich folgende Perspektiven:
- Gewinnung von Hilfs- und Zusatzstoffen mittels gentechnisch veränderter Mikroorganismen, Pflanzen oder Tieren
- Direkter Einsatz von gentechnisch veränderten Mikroorganismen als Kulturen in verschiedensten Lebensmittelverarbeitungsprozessen sowie als Schutzkulturen
- Produkte von Tieren, die einer gentechnischen Manipulation unterzogen wurden
- Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen bzw. deren Früchte, die direkt für den menschlichen Verzehr bestimmt sind (u.a. Pflanzen, die bestimmte allergieauslösende Substanzen nicht mehr bilden, z.B. glutenfreier Weizen)
- Lebende genetisch veränderte Organismen in Lebensmitteln, z.B. bei der Herstellung von Joghurt, Brot.
Zur weiteren Bewertung der Gentechnologie im Agrar- und Nahrungsmittelbereich:
- Effektive und zielsichere Möglichkeit zum Testen von Pflanzenmaterial auf Qualitätsmerkmale oder Resistenzeigenschaften innerhalb kürzerer Zeit
- Erschließung weiterer Absatzmärkte für landwirtschaftliche Rohstoffe durch gentechnisch veränderte Pflanzen
- Optimierung von Futtermitteln hinsichtlich der besseren Energieaufnahmefähigkeit für die Tiere entlastet über die dann umweltverträglichere Gülle Boden und Grundwasser
- Gentechnologisch beeinflußte Farben von Textilfasern mindern den Einsatz von Chemikalien bei der Textilproduktion
- Transgene Nutztiere stellen kein Risiko im Sinne einer unkontrollierten Ausbreitung von neuen Eigenschaften dar. Lediglich für Fische, die z.B. ein Kälteresistenzgen enthalten, muß eine "Freisetzung" ausgeschlossen werden, da diese eventuell einen Selektionsvorteil gegenüber ihren Artgenossen haben.
- Gentechnik stützt die Intensivlandwirtschaft
- Herbizidtoleranz soll zu einem geringeren Einsatz von Herbiziden führen, zu einer Reduktion des Pflugeinsatzes und damit zu geringerem Arbeitsaufwand und zu reduzierter Bodenerosion.
- Kritiker schließen demgegenüber eine Zunahme statt einer Reduktion von Herbizidanwendungen nicht aus.
- Möglichkeit des (unerwünschten) horizontalen Gentransfers (gene flow), d.h. von der Kulturpflanze auf die Wildpflanze (Bildung von Bastarden bzw. auch Auswilderung); Gefahr in Mitteleuropa bei Mais und Kartoffeln nicht vorhanden, wohl aber bei Rüben und Raps; bei Raps-Freilandversuchen sind unerwünschte Einkreuzungen bereits aufgetreten.
- Unerwünschter Gentransfer von transgenen auf nicht-transgene Kulturpflanzen bei benachbarten Feldern schadet Landwirten, die die Gentechnikfreiheit ihrer Produkte garantieren wollen.
- Kritiker bezweifeln, daß - von einigen Ausnahmen abgesehen - mit Hilfe der Gentechnologie das Ertragspotential der Pflanzen entscheidend angehoben werden kann.
- Ein Beitrag der transgenen Hochleistungspflanzen zur Lösung des Welthungerproblems ist unter den gegebenen Weltwirtschaftsbedingungen umstritten. Armut und Unterernährung sind i.d.R. durch andere als pflanzengenetische Faktoren bedingt, z.B. durch mangelnde "Verfügungsrechte", d.h. den unzureichenden Zugang von Bäuerinnen und Bauern zu Land, Krediten und Saatgut.
- Die mit Hilfe von gentechnischen Methoden gezüchteten Hochleistungspflanzen können angepaßte, einheimische Landsorten verdrängen. Letztere sind von großer Bedeutung für die Subsistenzwirtschaft der Kleinbauern in der 3. Welt.
- Bei der Weitergabe von Genen für Herbizidresistenz an Unkräuter kann es zur Entstehung von Unkrautpflanzen kommen, die durch Herbizide nicht mehr bekämpft werden können.
- Mit der großflächigen Anwendung der Gentechnik im Ökosystem muß eine technisch induzierte Störung erwartet werden, deren Größe und die hieraus ausgelösten Folgen nicht einmal abgeschätzt werden können.
- In die Umwelt freigesetzte Mikroorganismen sind nicht rückholbar, aufgrund der weitgehenden Unkenntnis über die mikrobielle Ökologie, insbesondere des Bodens ist die Möglichkeit der Rekonstruktion der Kausalverbindung zwischen Ein- und Auswirkung in der Mehrzahl der Fälle nicht zu erwarten.
- Nützlinge nehmen Schaden, wenn sie mit Schädlingen in Kontakt kommen, die an gentechnisch veränderten Pflanzen gefressen haben.
- Antibiotika können im menschlichen Körper durch die Produkte der Antibiotika-Resistenzgene inaktiviert werden.
- Der verbreitete gentechnische Einsatz des Bacillus thuringiensis in der konventionellen Landwirtschaft führt zu raschen Resistenzen bei den Pflanzenschädlingen, als Folge könnte der Ökologische Landbau ein wichtiges Biopestizid verlieren.
- Der Verzehr gentechnisch hergestellter Lebensmittel kann Allergien verursachen, wenn der genetische Code für ein allergenes Eiweiß transferiert wird.
- Isolierte Gene ebenso wie transgene Organismen sind patentierbar, obwohl es sich dabei nicht eigentlich um "Erfindungen" handelt.
- Drittwelt-Länder geraten in eine größere Abhängigkeit von den Industrienationen, in denen sich die Patentinhaber fast ausschließlich befinden.
- Drittwelt-Länder verlieren Absatzmärkte, wenn beispielsweise spezielle Fettsäuren, die konventionell aus Kokosnüssen oder Palmkernen gewonnen werden, künftig billiger von transgenen Raps- oder Sojapflanzen aus mittleren Breiten geliefert werden.
- Gentechnologie gilt als Rationalisierungstechnologie: Z.B. ersetzt die in einigen Reaktoren hergestellte Vanille deren natürliche Produktion durch Zehntausende von Bauern.
- Die gentechnische Anwendung muß das Arttypische des Tieres respektieren, und es dürfen bei der Ausprägung des Transgenes keine negativen Auswirkungen auf das Tier entstehen.
- Die möglichen langfristigen ökologischen Folgen einer breiten Anwendung dieser Technologien sind z.Z. nicht zu beurteilen.
(Gentechnisches Freilandexperiment, Novel Food, transgene Organismen)
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