Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

nachwachsende Rohstoffe

Nachwachsende Rohstoffe (NR; NaWaRo) sind solche Produkte pflanzlicher Herkunft, die nicht als Nahrungs- und Futtermittel dienen, sondern als Energierohstoffe, Chemierohstoffe und Rohstoffe für technische Zwecke verwendet werden oder verwendet werden können. Auch NR tierischer Herkunft werden häufig dazugerechnet.

Bei der Produktion und der Nutzung von NR verfolgt man in Deutschland das Prinzip, nach dem ihr Anbau nicht zu Lasten der globalen Nahrungsmittelversorgung gehen darf. Daher zählen für das Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) nachhaltige Konzepte: Möglichst viele Bestandteile einer Pflanze verarbeiten, biobasierte Produkte mehrfach und in Kaskaden nutzen, erst danach zur Energiegewinnung einsetzen.

Nachwachsende Rohstoffe haben eine lange Tradition. Die in diesem Jahrhundert zu beobachtende abnehmende Bedeutung war vor allem eine Folge sinkender Ölpreise, großer Fortschritte in der synthetischen Chemie und der Förderung der Nahrungsmittelproduktion.
Chemische Produkte konnten bis vor wenigen Jahren nur aus einigen begrenzt vorhandenen Rohstoffen wie Kohle, Erdöl und Erdgas zu chemischen Produkten verarbeitet und so veredelt werden. Für die Mehrzahl der chemischen Verfahren sind hohe Temperaturen und hohe Drücke nötig. Die dazu nötige Energie wird ebenfalls überwiegend aus fossilen Quellen gewonnen. Im Gegensatz zu solchen chemischen Prozessen werden biochemische Prozesse üblicherweise bei Normaldruck in einem Temperaturbereich von 20 - 50 °C durchgeführt.
Die politische Wiederbelebung von NR hatte ihre Ursache in der Energiekrise, der Agrarkrise (u.a. Überproduktion) und neuerdings betonten Umweltvorteilen dieser Produkte.

Es handelt sich bei den NR nicht nur um eine Weiterführung oder den Wiederanbau bekannter Pflanzen zur Erzeugung von herkömmlichen Rohstoffen, sondern auch um die Entwicklung ganzer Produktlinien (Designer-Pflanzen). Für die Landwirtschaft bedeutet dies, daß sie bei den einzelnen Pflanzen bestimmte Anforderungsprofile der Industrie berücksichtigen muss.
Zu den NR gehören u.a. Holz, Pflanzenfasern, Stärke, Zucker, Öle und, Pflanzen mit hochwertigen Inhaltsstoffen, z.B. Farbstoffe (Waid, Saflor, Wau, Krapp), Gerbstoffe, Stoffe mit Heilwirkung, ätherische Öle sowie diverse tierische Produkte.

Anbaufläche Nachwachsender Rohstoffe in Deutschland 2022
Anbaufläche Nachwachsender Rohstoffe in Deutschland 2018

Quelle: LEL

Nach den Verwertungsmöglichkeiten der organischen Stoffe aus land- und forstwirtschaftlichen Kulturpflanzen ergibt sich folgende Unterscheidung:

Werden die Substanzen zur Nutzung als Chemiegrundstoff oder Faser aus dem Pflanzengewebe separiert, spricht man von Industriepflanzen, werden die Pflanzen beziehungsweise Pflanzenteile ganzheitlich zur Energiegewinnung verbrannt oder vergoren, von Energiepflanzen.

Für die industrielle Verwendung wurden 1997 in Deutschland auf rund 500.000 ha LF Pflanzen angebaut, 200.000 ha mehr als 1993. Ursache für diese Flächenausweitung war vor allem die Regelung, dass bis 2007 auf stillgelegten Flächen unter Beibehaltung der vollen Stillegungsprämie NR angebaut werden durften.

2009 stagnierte die landwirtschaftliche Anbaufläche für nachwachsende Rohstoffe insgesamt bei rund 17 % der Ackerfläche (fast 2,0 Mio ha). 2017 waren knapp 2,7 Mio. ha erreicht.

1990 wurden in Deutschland alleine 440.000 t pflanzliche Öle und Fette industriell weiterverarbeitet, vor allem für die Produktion von Waschmittelrohstoffen. Aufgrund von spezifischen Anforderungen (Länge der Fettsäureketten) und von Preisvorteilen wurden 80 bis 90 % importiert, vor allem Palmöl, Palmkernöl und Kokosöl. Die züchterische Veränderung des Fettsäuregehaltes und -musters in hiesigen Kulturpflanzen könnte in Verbindung mit der anschließenden chemischen Veränderung der Substanzen neue Marktpotentiale erschließen.

Nimmt man alle Arten von erneuerbarer Energie zusammen, lag der Anteil der erneuerbaren Energien an der Primärenergie-Versorgung im Jahr 2014 weltweit bei 13,8 Prozent. Nach Angaben der IEA entfielen davon 73,2 Prozent auf Biomasse, Biogas und Abfälle (einschließlich Biokraftstoffe / ohne Industrieabfälle), 17,4 Prozent auf Wasserkraft und 9,4 Prozent auf neue erneuerbare Energien (vgl. Grafik).

Primärenergieversorgung nach Energieträgern, Anteile in %,
Gesamtversorgung in Mio. t Öläquivalent, weltweit 1973 und 2014
Primärenergieversorgung nach Energieträgern

1 Primärenergie ist die von noch nicht weiterbearbeiteten Energieträgern stammende Energie. Primärenergie-Versorgung = Primärenergie-Produktion + Importe - Exporte +/- Veränderung der Lagerbestände. - 2einschließlich Ölschiefer und Ölsand - 3einschließlich Torf und Torfprodukte - 4größtenteils "erneuerbar"; Biomasse einschließlich Biokraftstoffe; Abfälle ohne Industrieabfälle - 5geothermische Energie, Solarenergie, Windenergie, Meeresenergie (z.B. Gezeiten- und Wellenkraftwerke)

Quellen: International Energy Agency (IEA): Energy Statistics Division 09/2016, Key World Energy Statistics 2010, © OECD/IEA, BpB

Produktlinien nach einem Konzept des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (ergänzt):

Wirtschaftlich bedeutungsvolle Industrie- und Energiepflanzen in Mitteleuropa
Industriepflanzen Energiepflanzen
  • Öle und Fette
    Raps, Sonnenblume, Lein, Senf, Rübsen, Crambe, Leindotter, Saflor, Mohn, Kreublättrige Wolfsmilch
  • Stärke:
    Mais, Kartofeln, Weizen, Markerbsen
  • Zucker:
    Zuckerrüben, Topinambur, Zichorie, Zuckerhirse
  • Heil- und Gewürzpflanzen:
    Fenchel, Melisse,Pfefferminze, Petersilie, Dill, Baldrian, Mariendistel, Kerbel
  • Fasern:
    Faserlein (Flachs), Hanf
  • Farbstoffe:
    Waid, Saflor, Wau, Krapp
  • Zucker und Stärke für Ethanol:
    Kartoffeln, Zuckerrüben, Topinambur, Zuckerhirse, Weizen, Mais
  • Öle als Kraft- und Brennstoffe:
    Raps
  • Wärme und Strom aus Biomasse:
    Schnellwachsende Hölzer; Chinaschilf, Getreide, Mais, Ölpflanzen

NR sind vor allem dann sinnvolle und zunehmend attraktive Alternativen zu den heute noch überwiegend eingesetzten Zwischenprodukten der Petrochemie, wenn es gelingt, die Biomassenutzung primär auf solche Verwendungsfelder auszurichten, die auf die chemische Spezifität der in der Biomasse enthaltenen, komplexen Grundbausteine, wie beispielsweise Zucker, Stärke, Lignocellulose, Öle, Fette und Eiweißstoffe aufbauen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Biomasse nachwachsender Rohstoffe chemisch gesehen, im Vergleich zu den einfachen Strukturen petrochemischer Rohstoffe, durch die Syntheseleistung der Natur schon sehr hoch veredelt ist. Es macht deshalb wenig Sinn, die von der Natur vorgegebenen komplexen Zwischenprodukte zu zerbrechen, um daraus lediglich Heizenergie und Kraftstoffe zu erzeugen.

Chancen für eine intensivierte Nutzung von NR als industrielle Grundstoffe ergeben sich vor allem dann, wenn sie von Natur aus oder durch entsprechende Züchtung Merkmale tragen, die sich als Produktionsvorteile auswirken. Während bei Pflanzen für die Nahrungsmittelversorgung eine möglichst vielseitige stoffliche Zusammensetzung notwendig ist, wird für industrielle Rohstoffpflanzen eine homogene Zusammensetzung mit hohem Anteil einer bestimmten Stoffkomponente gefordert.

NR werden dann wirtschaftlich an Bedeutung gewinnen, wenn national und EU-weit eine Verbesserung der Rahmenbedingungen herbeigeführt wird, z.B. durch Verteuerung fossiler Energieträger über die Einführung einer CO2-Energiesteuer und die Förderung der Markteinführung von NR.

Mögliche CO2-Einsparpotentiale sind differenziert zu betrachten. Die Nutzung nachwachsender Energieträger führt nicht zu einem vollständig geschlossenen Kreislauf, da bei festen Energieträgern (Stroh, Holz) 5 bis 15 %, bei flüssigen Energieträgern (z.B. Rapsöl) bereits 30 bis 50 %, bei einer aufwendigen Nachbehandlung (Ethanol, Methanol, Rapsmethylester) sogar noch höhere Anteile des Gesamtenergieertrages des Erntegutes bzw. Energieträgers als Fremdenergie in Form von Betriebsmitteln für die Produktion und Weiterverarbeitung eingesetzt werden müssen. Wenn auch die CO2-Bilanz i.a. positiv ist, kann dieser Vorteil je nach Anbauintensität durch die zusätzliche Freisetzung unter anderem von N2O als Folge der Stickstoffdüngung teilweise oder vollständig kompensiert werden.
Vorteilhaft ist ein verstärkter Anbau von NR - wenn er wirtschaftlich betrieben werden kann - für die Sicherung der Versorgung der verarbeitenden Industrie und als innovativer Beitrag für den Umweltschutz. Pflanzliche Rohstoffe und aus ihnen hergestellte Produkte sind i. a. biologisch besser verträglich und abbaubar und daher in den ökologischen Kreislauf besser zu integrieren als Erdölprodukte.
Für die (konventionelle) Landwirtschaft selbst und den ländlichen Raum allgemein bietet der Anbau eine Reihe von Vorteilen, er kann:

Ein deutlich verstärkter oder gar flächendeckender ökologischer Landbau ist mit einer wesentlich erhöhten Bereitstellung von NR aus der Landwirtschaft wegen des erhöhten Flächenbedarfs und der sich dadurch ergebenden Flächenkonkurrenz nicht verträglich. Anbaufläche für verstärkte Erzeugung von NR steht nur dann zur Verfügung, wenn der Anbau von Nahrungsmitteln weiterhin mit hohem Chemie- und Energie-Input erfolgt und der Import großer Futtermittelmengen beibehalten wird. Auch Regelungen zur Flächenstillegung begünstigen den Anbau von NR.

Für die Forstwirtschaft würde die Bereitstellung von Holz als Brennstoff eine zusätzliche Einkommensquelle bedeuten und vor allem die angespannte Lage auf dem Restholzmarkt verbessern.

Bei liberalen Agrarmärkten wird die Preisbildung bei den NR über den Weltmarkt erfolgen, so daß die kleinstrukturierte europäische Landwirtschaft wenig Chancen besitzt, auf diesem Sektor längerfristig konkurrenzfähig zu bleiben, es sei denn, sie wird entsprechend den industriellen Erfordernissen umstrukturiert.

Weitere Informationen:

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