Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Bodenlebewesen

Auch Bodenorganismen; die Gesamtheit der im Boden lebenden Organismen wird als Edaphon bezeichnet und in Bodenflora (Bakterien, Pilze, Algen, unterirdische Pflanzenorgane) und Bodenfauna (Protozoen, Nematoden, Mollusken, Anneliden, Arthropoden) unterteilt. Eine grobe Einteilung des Edaphons in Mikroflora, Mikro-, Meso- und Makrofauna ist aufgrund der Körpergröße der Organismen möglich. Mikroflora und Mikrofauna bilden zusammen die Gruppe der Mikroorganismen. Die oberirdischen Pflanzenteile stellen aufgrund ihrer Syntheseleistung die Produzenten von organischem Material dar, während viele Bodentiere die ersten Konsumenten (Destruenten) der Pflanzenmasse sind. Bakterien und Pilze wandeln als Reduzenten im letzten Glied dieser Nahrungskette den organischen "Abfall" schließlich zu anorganischen Endprodukten um. Die Stellung jeder Organismengruppe in dieser Abfolge wird als trophische Stufe bezeichnet. Im Stoffkreislauf baut jede Organismengruppe das Substrat weiter ab und gewinnt dabei Energie und Baustoffe für die Produktion ihres Körpers.

Die größten Gruppen des Bodenlebens in den gemäßigten Breiten

Die größten Gruppen des Bodenlebens in den gemäßigten Breiten

Eine Einteilung der Bodenlebewesen wird entweder anhand der Artzugehörigkeiten, anhand der Organismengröße oder ihrer Funktionen im Ökosystem Boden vorgenommen. All diese Organismen bilden dabei ein stark verwobenes Netz, mit dem auch das oberirdische Leben verbunden ist.
Die Anzahl der Individuen und Arten, aber auch die Biomasse an Bodenorganismen, kann dabei weit über dem liegen, was an oberirdischem Leben auf derselben Fläche zu finden ist. Auf landwirtschaftlich genutzten Flächen kann die Biomasse der Bodenorganismen zusammen 15 Tonnen pro Hektar betragen.

Quelle: BfN 2021

Leistungen der Bodenlebewesen:

Unter den zahlreichen im Boden vorkommenden Tieren haben die grabenden edaphischen Arten die stärkste Wirkung auf das Bodengefüge.
Durch die Grabtätigkeit von Regenwürmern und einigen Insektenlarven entstehen im Boden Röhren und Hohlräume. Diese führen dem Boden Luft zu, leiten Oberflächenwasser ab und helfen mit, die Erosion zu verringern. Die Röhren sind auch vorzügliche Wurzelräume und schließen den Unterboden für die Pflanzen auf. Wegen ihrer langjährigen Stabilität in gut belebten Böden können bis zu 400 Regenwurmröhren pro Quadratmeter ausgezählt werden, die Tiefen von 50 bis 70 cm, z.T. auch von einem Meter und mehr erreichen können. Die durch Regenwürmer alljährlich an die Oberflächen von Grasland gebrachten Bodenmengen werden auf 1 kg/m² beziffert. Dazu kommen nahezu 25 kg/m² Wurmkot im Bodeninneren. In alten Grünlandböden können die oberen Zentimeter fast ausschließlich aus Wurmkot bestehen.
Viele Tierarten können nicht selbst im Boden graben, sie besiedeln verlassene Regenwurmröhren und Hohlräume, die bei der Bodenbearbeitung entstanden sind. Dort ernähren sie sich von eingebrachten Pflanzen- und Tierresten, Kot, Algen, Pilzen und Bakterien. Sie kleiden die Hohlräume mit einer stabilen, krümeligen und porösen Schicht aus Kot und eingemengten Mineralbodenteilchen aus. Hier finden die Wurzeln Nährstoffe und Wasser.
Die wichtigsten Gruppen von Bodenlebewesen sind in extrem hohen Populationsdichten und in einer großen Artenvielfalt anzutreffen. Da in Ackerböden der Gehalt an organischer Substanz geringer ist als in der Krume von Wiesenböden, ist die Besiedlungsdichte von Bodenorganismen auf Grünland entsprechend höher.

Die Biomasse aller Bodenorganismen macht im Durchschnitt bei unseren landwirtschaftlich genutzten Böden etwa fünf Prozent der organischen Substanz aus. Das Gesamtgewicht des Bodenlebens pro Quadratmeter und 30 cm Tiefe beträgt auf Wiesenböden demnach etwa 1 kg. Übertragen auf einen Hektar entspricht dies dem Gewicht von 20 Großvieheinheiten.

Individuenzahl und Biomasse der Lebewesen auf einem Quadratmeter Wiesenboden bis in 80 cm Tiefe
Organismen mit bloßem Auge nicht sichtbar:
Systematische Gruppe
Individuen/m²
g Biomasse/m²
Bakterien
10 000 000 000 000
160
Pilze
12 000 000 000
380
Algen
1 000 000 000
90
Einzellige Tiere
1 600 000 000
115
Fadenwürmer
1 800 000
4
     
Organismen mit bloßem Auge sichtbar:
Systematische Gruppe
Individuen/m²
g Biomasse/m²
Springschwänze
26 000
11
Milben
18 000
10
Kl. Borstenwürmer
10 000
2
Käfer und Larven
800
8
Tausendfüßler
550
20
Ameisen
320
2
Asseln
300
4
Fliegenlarven
240
26
Spinnen
230
2
Regenwürmer
130
145
Schnecken
50
25

Quelle: LfL

Gefährdung des Bodenlebens

Die heute auf großer Fläche dominierende intensive und rationalisierte Landwirtschaft beeinträchtigt den Lebensraum Boden mitsamt dem Bodenleben erheblich und versucht den damit einhergehenden Verlust natürlicher Prozesse teils durch vermehrten Einsatz von Technik und Agrochemie zu kompensieren. Mineralische Düngemittel, synthetische Pflanzenschutzmittel und weitere Stoffeinträge akkumulieren sich im Boden und schädigen die dort lebenden und wirkenden Organismen. Auch der Einsatz von immer intensiverer und schwererer Landtechnik verdichtet und verändert das Bodengefüge in einem Maße, in dem es vielen Bodenlebewesen keinen angemessenen Lebens-raum mehr bietet.

Es besteht die Gefahr, dass speziell im Boden lebende Arten aussterben, bevor sie taxonomisch erfasst und beschrieben wurden. Da das Bodenleben auch in der Wissenschaft lange unterhalb des Blickfeldes blieb und die Arten hier meist klein und hoch divers sind, sind erst ein Prozent der im Boden lebenden Arten erfasst. In Diversität und Biomasse überschreitet das Bodenleben mit ca. 15 Tonnen pro Hektar in den gemäßigten Breiten die des oberirdischen Lebens deutlich. Die Bodenorganismen, die bereits seit längerem in den bundesweiten Roten Listen geführt werden, zeigen jedoch bereits den gleichen deutlich negativen Trend, der für die oberirdische Diversität in Agrarlandschaften festgestellt wird.

Der Schaden, der mit dem Verlust im Boden lebender Arten für den Naturhaushalt, aber auch für die Landwirtschaft einher geht ist enorm. Die Kosten für eine technische Umsetzung wichtiger Funktionen des Bodens und der darin wirkenden Organismen werden für die EU auf 38 Mrd. € pro Jahr geschätzt. Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels kann das Bodenleben einen großen Beitrag zur Klimaanpassung leisten, indem es den Landschaftswasserhaushalt stabilisiert und Wild- wie auch Kulturpflanzen resistenter gegen Trockenstress macht. Auch können einige Bodenarten als Bioindikatoren dienen, die es erlauben frühzeitig auf veränderte Umweltbedingungen zu reagieren.

Mögliche Schutzmaßnahmen

In der Konsequenz muss der Schutz des Bodens sowie der darin lebenden und wirkenden Organismen zum integrierten Produktionsziel erklärt werden, um die Bodenfruchtbarkeit langfristig zu steigern. Konservierende Bodenbearbeitungsverfahren sowie eine Anbaudiversifizierung durch erweiterte Fruchtfolgen, Kulturpflanzendiversität und der Anbau von Zwischenfruchtmischungen legen hier die Grundlage. Die Leitsätze des Integrierten Pflanzenschutzes müssen befolgt werden und die Stärkung der natürlichen Schädlingsregulation gegenüber synthetischen Pflanzenschutzmitteln Vorrang erhalten. Das Nährstoffmanagement sollte sich gleichzeitig am Boden und an den Kulturpflanzen orientieren. So müssen Nährstoffe in ausgeglichenem Maße zur Versorgung des Bodenlebens und im Gedanken der Kreislaufwirtschaft vorrangig in organischer Form ausgebracht werden. Verunreinigungen von Düngemitteln durch Medikamentenrückstände, Schwermetalle oder Mikroplastik sind auszuschließen.
Da sich viele der vorgestellten Maßnahmen für die Landwirte erst langfristig auszahlen, ist die Neuausrichtung hin zu einer nachhaltigeren Bodenbewirtschaftung mit entsprechenden Fördermaßnahmen zu untermauern. Um das Wissen um den Wert des Bodenlebens in die Praxis zu bringen, sind zunächst Ausbildungsinhalte und die landwirtschaftliche Beratung um den Aspekt der Bodenbiodiversität zu erweitern. Fördergelder der nationalen und europäischen Agrarpolitik (GAP) müssen stärker an gesellschaftliche Leistungen wie den Schutz von Umwelt- und Naturschutz gebunden werden. Spezielle Programme zur Förderung des Schutzes von Böden und den darin lebenden Organismen sind in Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sowie Definitionen zum „Guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“ (GLÖZ) nach der Cross-Compliance zu integrieren.

Maßnahmenübersicht zur Förderung des Bodenlebens
Bodenbearbeitung
  • Einsatz konservierender Bodenbearbeitungsverfahren
  • Entkopplung von Direkt- und Mulchsaatsystemen von der Verwendung breit wirkender Herbizide
  • Verwendung energieeffizienter, leichter und bodenschonender Landtechnik
Kulturführung
  • vielfältige Fruchtfolgen mit standortangepassten Sorten
  • ganzjährige Bodenbedeckung durch Anbau von diversen Zwischenfruchtmischungen
  • Einsatz von blühenden Untersaaten
  • Ausbau der Verwendung mehrjähriger Kulturen
  • Erhalt des Bodenlebens und der Bodenfruchtbarkeit als Bestandteil von Pachtverträgen
  • Schutz vor Versiegelung landwirtschaftlich genutzter und ökologisch hochwertiger Böden
Integriertes Nährstoffmanagement
  • Sicherstellung der Versorgung des Bodenlebens mit ausreichend organischer Substanz
  • Präferierung organischer vor mineralischer Düngung
  • Ausgleich von Nährstoffbilanzen
  • Orientierung der Ausbringzeitpunkte an der jeweiligen Kulturpflanze
  • Einsatz verlustarmer Ausbringtechnik mit teilweise offenem Zugang zur Besiedelung von organischen Düngemitteln
  • Stärkung regionaler Nährstoffkreisläufe durch flächengebundene Tierhaltung
  • Anlage von möglichst mehrjährigen Ackerrandstreifen, ohne Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln
  • Ausschluss einer Kontamination durch Düngemittel (Schwermetalle, Antiparasitika, Antibiotika, Krankheitserreger), Einpferchen behandelter Weidetiere, Aufarbeitung belasteter Gülle
Integrierter Pflanzenschutz
  • konsequente Einhaltung der Leitlinien des integrierten Pflanzenschutzes und dementsprechend Einsatz synthetischer Pflanzenschutzmittel nur als letztes Mittel der Wahl
  • Förderung natürlicher Nützlinge, auch unter den Bodenorganismen als Bestandteil des Pflanzenschutzes
  • Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nur unter Einhaltung ökologischer Schadschwellen
  • Kompensation biodiversitätsschädigender Effekte durch Einrichtung von für den Naturschutz wertvollen Refugialflächen
  • Ausbringung von Pestiziden nur nach Bestandsschluss und entsprechender Witterung, um unnötige Einträge in den Boden zu verringern
  • Einrichten von Ackerrandstreifen, ohne Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln
Integration und Vernetzung von Landschaftselementen
  • Landschaftsangepasste Begrenzung von Schlaggrößen
  • Integration dauerhafter Struktur- und Landschaftselemente in landschaftliche Zusammenhänge
  • Vernetzung von Landschaftselementen und Biotopen
Forschung, Monitoring und Bildung
  • Schließen von Wissenslücken zu in Böden lebenden Arten und deren Ökosystemleistungen
  • Identifikation geeigneter Indikatorarten für den Zustand des Bodenlebens sowie deren Integration in nationale Monitoringprogramme in der Agrarlandschaft
  • Ausbau der Budgets für angewandte Forschung und Entwicklung im Bereich Bodenbiodiversität und Landwirtschaft
  • bessere Integration der Bedeutung und Förderung von Bodenorganismen in die landwirtschaftliche Ausbildung
Politische Förderung, Finanzierung und Implementierung
  • Beachtung der Bodenbiodiversität bei der Formulierung grundsätzlicher Vorgaben im Rahmen der Konditionalität für die Inanspruchnahme agrarpolitischer Fördermittel
  • Ausbau und Entwicklung bodenbiodiversitätsfördernder Maßnahmen unter Berücksichtigung von Synergien bestehender Förderprogramme zum Boden-, Klima- und Artenschutz
  • Sicherstellung von verfügbaren Finanzmitteln in ausreichender Höhe für Förderprogramme und Maßnahmen, inkl. Beratungsangeboten, mit starkem Bezug zur Bodenbiodiversität für alle Bundesländer und Regionen
  • stärkere Förderung von Investitionen in bodenlebenfördernde Landtechnik, z.B. über investiven Naturschutz in der GAK

Quelle: nach BfN 2021

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