Warenkette
Engl. commodity chain; allgemein die Abfolge von Schritten von der Gewinnung des Rohmaterials über verschiedene Bearbeitungsstufen, Distributions- und Handelssysteme bis hin zum Endverbraucher. Innerhalb der Warenkette treten nicht nur materielle Lieferbeziehungen auf, es fließen auch Informationen, es sind Machtbeziehungen zwischen den Akteuren zu beobachten, und es bestehen räumliche Konzentrationen bestimmter Schritte bzw. Segmente. Insbesondere die Verfügbarkeit von strategischen Informationen und die Marktposition prägen die Machtbeziehungen. Sie lassen sich ausdrücken durch die Anteile der einzelnen Akteure in der Wertschöpfungskette. Für die Landwirtschaft wurden in verschiedenen Untersuchungen käuferdominierte Ketten nachgewiesen. Landwirtschaftliche Betriebe sehen sich oft hohen externen Abhängigkeiten und ungünstigen Marktverhältnissen ausgesetzt, z.B. gegenüber großen Handelsketten.
Heute befindet sich nicht nur der ländliche Raum, sondern auch die gesamte landwirtschaftliche Warenkette von der Produktion bis zum Einzelhandel in einem Strukturwandel. So verändert sich die Agrar- und Lebensmittelproduktion innerhalb und außerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe durch neue Produktions-, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die biologisch-chemische Forschung in ihrer Effizienz und Qualität. Gleichzeitig vollzieht sich betriebsextern ein starker mit diesen Veränderungen wechselwirkender räumlicher Wandel der Organisation landwirtschaftlicher Warenketten.
Bis in die 1960er Jahre waren in Europa große Teile der Ernährungswirtschaft auf kleinräumige Versorgungsbeziehungen ausgerichtet. Regional erzeugte landwirtschaftliche Produkte wurden in den benachbarten städtischen Zentren verarbeitet und von der ansässigen Bevölkerung konsumiert. Die starke regionale Bindung der traditionellen Produktionsketten hatte ihre Ursache in der leichten Verderblichkeit vieler landwirtschaftlicher Produkte und dem hohen Transportaufwand.
Heute sind die ökonomischen Verflechtungen zunehmend komplexer, und landwirtschaftliche Warenketten werden durch technologische, soziale, politische und ökonomische Rahmenbedingungen beeinflusst. Durch technologische und organisatorische Innovationen wurden die kleinräumigen Wirtschaftskreisläufe zu großen Teilen aufgelöst und die Einzugs- und Absatzgebiete auf die nationale und internationale Ebene erweitert. Dies führt in der Landwirtschaft zu größeren, industriemäßig arbeitenden und stärker an Skalenerträgen ausgerichteten Betrieben.
Weitere Folgen dieser Entwicklung:
- Degradierung der Landwirte in vielen Produktionsbereichen zu Rohstofferzeugern (Fremdbestimmung durch große Verarbeitungsunternehmen
- Arbeitsplatzverluste in der Landwirtschaft, auch bei kleineren Betrieben der Agrarindustrie und folgender Schließung mit ihr verbundenem Kleinhandwerk und Dientstleistungen
- Zunahme der Akteure an der Erstellung eines Produkts, als Folge
- einer zunehmenden Arbeitsteilung durch Auslagerung von Funktionen, z. B. aufgrund von Verderblichkeit oder Hygienevorschriften
- eines gestiegenen Bedarfs an speziellem Know-how (Forschung, Marketing, Logistik u.w.) - Vernachlässigung der Interessen der Herkunftsgebiete, wg. der Orientierung der Produktion an nationaler und internationaler Konkurrenz
- gestiegene Ansprüche des Fachhandels und der großen Einzelhandelsketten bzgl. fachgerechter Homogenisierung, Stabilisierung und Konservierung, sowie Marketingstrategien oder moderner Vetriebslogistik
- Konfrontationssituation von Landwirten einer Region gegenüber immer größer werdenden Zulieferern und Abnehmern (Realisierung von Economies of Scale) bei deren gleichzeitiger Konzentration auf wenige Standorte und wachsender Marktmacht
- Einkommen in der Agrarbranche zunehmend von Exportmärkten bestimmt
Die Globalisierung der Lebensmittel‐Warenketten bietet den Landwirten weltweit die Chance der Absatzsicherung. Gleichzeitig ergeben sich Herausforderungen für die Lebensmittelsicherheit, deren Bedeutung bei den Lebensmittel- und Futtermittelkrisen vor einigen Jahren deutlich wurde (EHEC - Sprossen ägyptischer Bockshornkleesamen, Noroviren - chinesische Erdbeeren, Dioxin - Futtermittel). Aber auch bio- und agro-terroristische (BAT)-Schadenslagen spielen potentiell eine Rolle. Diesen Herausforderungen begegnen in Deutschland beispielsweise das Thünen-Institut mit Forschungsprojekten (SiLeBAT, Zoonosen‐Projekt) und aufgabengemäß das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).
Um Warenketten in Deutschland und Europa nachverfolgen zu können, sind die Lebensmittel- und Futtermittelunternehmen verpflichtet, alle Zulieferer und Empfänger ihrer Produkte zu dokumentieren. Bei einer Rückverfolgungsuntersuchung werden diese Dokumente von den zuständigen Behörden abgefragt. Im Schadensfall beginnt dieses Verfahren mit den Unternehmen, die in Frage kommende Waren direkt an die mit demselben Erreger erkrankten Beteiligten verkauft haben. Auf diese Weise können Schritt für Schritt die relevanten Warenketten zurückverfolgt und dadurch möglicherweise die Quelle des Erregers gefunden werden.
Ein weiteres Problemfeld ist Lebensmittelbetrug, bei dem vor allem 10 Produktgruppen auffällig sind: Olivenöl, Fisch, Bio-Lebensmittel, Milch, Getreide, Honig und Ahornsirup, Kaffee und Tee, Gewürze (wie Safran und Chilipulver), Wein, bestimmte Obstsäfte.
Daneben besteht eine wachsende Kritik seitens der Zivilgesellschaft an der Exportorientierung der Landwirtschaft angesichts der möglichen Folgen für die Ressourcennutzung in Deutschland (Boden‐, Klima‐, Tierschutz u. w.) oder die Marktsituation in Einfuhrländern.
(s. a. Filière-Konzept, Lieferkette, Wertschöpfungskette)