Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Standortfaktoren in der Agrarwirtschaft

Standortfaktoren in der Agrarwirtschaft sind die Kräfte, die für den konkreten Standort eines landwirtschaftlichen Betriebes oder für das Entstehen unterschiedlicher Erzeugungs- und Absatzgebiete bestimmend sind. Durch ihre ausgeprägte Flächenbindung ist die Landwirtschaft stark mit Standortfragen verbunden. Agrarbezogene Standortfaktoren lassen sich unterscheiden in physische (u.a. Klima, Boden, Exposition, Morphologie, Wasserdargebot) und in anthropogene Faktoren (u.a. Markt, Infrastruktur, Agglomerationsvorteile, Know-How, Kapital, Mentalität, politisch-rechtlicher Rahmen, Elemente der Agrarverfassung). Während die ersteren weitgehend stabil sind, unterliegen die meisten anthropogenen Faktoren der Veränderung, manche sind nicht quantifizierbar, und es ist von Bedeutung, dass die anthropogenen Faktoren von der Länge des Betrachtungszeitraumes abhängt.

Bei ökonomischer Betrachtung sind landwirtschaftliche Standortfaktoren jene Faktoren, die die Produktion an einem Ort günstiger als an einem anderen gestalten, damit eine räumliche Differenzierung der Erlöse und/oder Kosten herbeiführen, jedem Produkt also optimale Standorte realtiver Vorzüglichkeit und entsprechender Grenzertragslagen zuweisen. Aufgrund komparativer Vorteile ergibt sich eine Konzentration der Erzeugung bestimmter Produkte auf Gebiete, die bezüglich ihrer naturgeographischen und/oder anthropogenen Voraussetzungen dafür am besten geeignet sind.

Regionallandwirtschaftliche Standortfaktoren
(ohne Unterscheidung nach gesamtwirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Wirkung)
  • Geographische Lage:
    • Lage im Gradnetz, Lage über NN usw.
    • Lage zu politischen und sozioökonomischen Grenzen
  • Klimatische Bedingungen (u.a. Temperatur, Niederschlag, Evapotranspiration)
  • Exposition
  • Bodenverhältnisse
  • Pflanzen- und Tierbestände (u.a. unerwünschte Spezies)
  • Geländegestalt
  • Verkehrslage:
    • Transportentfernung beim Bezug von Gütern
    • Transportentfernung beim Absatz von Gütern
    • Transportkosten
  • Haltbarkeit der Produkte
  • Vermarktungsstrukturen
  • Strukturelle Ausstattung
  • Kapitalausstattung
  • Bevölkerungsstand allgemein:
  • Bevölkerungsdichte
  • Zahl der Arbeitskräfte
  • Qualifikation und Arbeitsethik der Arbeitskräfte
  • Bevölkerungsstand landwirtschaftlich:
    • Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte
    • Landwirtschaftliche Arbeitsverfassung
    • Qualifikation und Arbeitsethik der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte
    • Arbeitskosten
  • Leistungsstand allgemein:
    Stand des naturwissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Wissens und seine Übertragung in die Praxis (z.B. Stand der Konservierungs- und Transporttechnik, der Nahrungsmitteltechnik usw.)
  • Leistungsstand landwirtschaftlich:
    Stand in Pflanzenzüchtung und Pflanzenbau, Tierzüchtung und Tierhaltung, Bauwesen und Landtechnik
  • Gesamtheit der politischen Einflußnahme
    (z.B. Bewirtschaftungsauflagen aus Umwelt-gründen, Quoten, Förderung der Forschung, Beratung)

Quelle: Spitzer 1975 (verändert)

Als einer der ersten hat sich der deutsche Volkswirtschaftler Johann Heinrich von Thünen (1783-1850) systematisch mit Fragen landwirtschaftlicher Standorte auseinandergesetzt. Von Thünen wies mit empirischen Untersuchungen auf seinem Gut Tellow in Mecklenburg 1826 nach, daß die Intensität der Bodennutzung infolge der Ertrags- und Aufwandrelationen auch räumlich einer gesetzmäßigen Anordnung folgt. In einem deduktiven Raummodell (Thünensche Ringe), das von der verwirrenden Vielfalt der Faktoren abstrahiert, isoliert er einen wesentlichen ökonomischen Tatbestand, nämlich die Entfernung des Produktionsortes vom Konsumort. Damit gelingt Thünen erstmals der Nachweis, daß die Art der landwirtschaftlichen Produktion nicht nur von Naturfaktoren abhängt. Sein Prinzip der rigorosen Vereinfachung und isolierenden Abstraktion erscheint noch heute am besten geeignet, um generelle inhaltliche Aussagen über die räumliche Verteilung der Agrarproduktion zu machen.

Auch einige heute noch vorhandene landwirtschaftliche Intensivgebiete entstanden ehemals aufgrund der räumlichen Nähe zu aufnahmefähigen Märkten. Kulke (2017) führt als Beleg das "Alte Land" an der Elbe an, das sich bereits um 1600 als Gebiet mit intensivem marktorientiertem Obstbau entwickelte, dessen Produkte in das benachbarte Hamburg und später auch nach England und Skandinavien transportiert wurden. Obwohl sich inzwischen die Transport- und Marktbedingungen erheblich verändert haben, blieb das Nutzungssystem aufgrund lokalen Wissens (heute z.B. im Obstbauzentrum Jork), welches Spezialisierungen und die Erschließung von Marktnischen erlaubte, sowie besonderer Marktbeziehungen mit positivem Image und hohem Bekanntheitsgrad erhalten.

Während das Modell von Thünens nur einen einzigen zentralen Marktort enthält, befaßt sich das Modell von W. Christaller (1933) mit der Anordnung einer Vielzahl von Zentralen Orten. Er suchte nach der optimalen Marktverteilung, die eine gleichmäßige Versorgung des Umlandes gewährleistet und bei der die Entfernungen zwischen den Marktorten sowohl die Versorgungswege und Transportkosten für den Käufer minimieren als auch die Absatzgebiete für den Verkäufer maximieren. Für die Agrarwirtschaft hat dieses Modell insofern Bedeutung gewonnen, als es die kostenoptimalen Distanzen zu den Marktorten für Verkauf und Kauf von Gütern aufzeigt. Moderne Verkehrs- und Logistiksysteme sowie weltweiter Agrarhandel schränken heute aber die Verwendbarkeit des ursprünglichen Modells stark ein.

Auch die Industriestandortlehre von A. Weber hat Berührungspunkte mit der Landwirtschaft. Nach Weber (1922) bestimmen die Kosten für den Materialtransport, die Arbeitskosten und Agglomerationsvorteil den Standort eines Industriebetriebs. Viele Betriebe, die transportsensible Agrarprodukte verarbeiten, wählen ihren Standort vorzugsweise in der Nähe der Produktionsgebiete, insbesondere wenn es sich um schwere Güter handelt und um solche, die bei der Verarbeitung stark an Gewicht verlieren (Gewichtsverlustmaterialien); das gleiche gilt für leicht verderbliche Güter. So liegen beispielsweise Zuckerraffinerien, Konservenfabriken, Brennereien, Molkereien, Mühlen, Mischfutterwerke oder Tabak verarbeitende Betriebe häufig inmitten der entsprechenden Produktionsräume oder aber weisen eine ausgesprochene Verkehrsgunst auf (z.B. Hafenstandort). Andererseits können auch verstärkende Rückkoppelungseffekte entstehen, indem die Zahl der entsprechend spezialisierten Agrarbetriebe infolge der günstigen Absatzmöglichkeit oder aufgrund der Nähe zu Zulieferbetrieben (z.B. Mischfutterwerken) zunimmt (Agglomerationswirkungen).

Die gegenseitige Information über Anbaumethoden und Marktentwicklungen, der gemeinsame Maschineneinsatz, die Organisation von Einkauf und Verkauf, kohärente Werbestrategien sowie die bessere Ausnutzung der Infrastruktur sind Fühlungsvorteile einer organisierten Konzentration. Beispiele dafür liefern Milchwirtschaftsbetriebe in den Niederlanden, Weizen- und Erdnussfarmen in den USA und auch die Obst-Sonderkulturen am Bodensee, im Alten Land oder im Vinschgau.

Naturgemäß lassen sich in verbrauchs- bzw. transportgünstig, bei Getreide insbesondere wassernah gelegenen Agrarstandorten höhere Erzeugerpreise erzielen, als an Standorten bei denen auf dem Absatzwege ein mehrmaliger Umschlag nötig ist.

Eine moderne Erweiterung der Thünenschen Fragestellung erfolgte durch die Berücksichtigung von externen Effekten, speziell des Landschafts- und Freizeitnutzens, als Bestimmungsfaktor für die räumliche Verteilung der landwirtschaftlichen Produktion.
Allerdings ist auch der internationale Markt nach wie vor nicht in der Lage, die externen Effekte über die Preisbildung zu erfassen und besitzt so keinen Anspruch als alleiniges Allokationsprinzip: Der Verbrauch an freien Gütern, bzw. Gütern, die nicht in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung eingehen (insbesondere der nicht vom Markt erfaßte Verbrauch an Naturgütern), führt zu Verzerrungen in der internationalen Arbeitsteilung und Handelsstruktur. Vorbedingung für die wünschenswerte Internalisierung der externen Effekte in den Preis, ist eine erheblich genauere Kenntnis und Erfassung der Umweltwirkungen, wie auch der Wirkungen von Auflagen und Regelungen.

Im 20. Jahrhundert wurden leistungsfähige Verkehrssysteme entwickelt, welche eine drastische Minderung der Transportkosten bewirkten. Damit verlor der Faktor Transportkosten in hochentwickelten Ländern gegenüber räumlich differenzierten Produktionskosten an Bedeutung. Dieser Zusammenhang erklärt z. B. die Entwicklung der hochspezialisierten Landwirtschaft in den Niederlanden (u. a. Gemüse und Blumen) oder den Anbau von Spezialprodukten (z.B. Erdbeeren) in der Nähe von Flughäfen im südlichen Mittelmeerraum. Moderne Produktionsmethoden und z. T. niedrige Arbeitskosten ermöglichen einen Absatz zu konkurrenzfähigen Preisen auch in weit entfernten Regionen. Sie sind flankiert durch innovative Kühl- und Konservierungssysteme beim Transport.

In einem weiteren Ansatz versuchen Geographische Informations-Systeme (GIS) mit einer kontinuierlichen Raumbetrachtung die verschiedenen Standortfaktoren, Ausprägungen der regionalen Wirtschaftsstruktur und Umweltaspekte in regionaler Differenzierung rastermäßig zu erfassen. Der Schritt von der quantitativ-deskriptiven Merkmalserfassung zur Berücksichtigung von ökonomischen Wirkungszusammenhängen fehlt dabei noch weitgehend.

Bei den politischen Standortfaktoren der Agrarproduktion kann zwischen zwei Gruppen unterschieden werden:

Natürliche und anthropogene Standortfaktoren können im Laufe der Agrargeschichte eine - z.T. mehrfache - Umwertung erfahren. Diese wird häufig von wissenschaftlich-technischen und politisch-wirtschaftlichen Entwicklungen angestoßen.

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