Agrarverfassung
Die Gesamtheit der rechtlichen und sozialen Ordnungen und Gegebenheiten, die die Beziehungen der agraren Bevölkerung untereinander, zum Boden und zu ihrer Umgebung als Ergebnis historischer Prozesse regelt. Die Agrarverfassung ist somit Teil der rechtlichen und sozialen Ordnung einer Gesellschaft. Als identischer Begriff wird die soziale Agrarstruktur gesehen.
Wesentliche Elemente der Agrarverfassung:
- Grundbesitzverfassung
- Betriebsgrößen
- Art der Verfügungsgewalt über den Boden
- Individualwirtschaft (natürliche oder juristische Personen)
- Kollektivwirtschaft (staatliche oder gemeinschaftliche Verfügungsgewalt) - Bodeneigentums- und Besitzformen
- Arbeitsverfassung
Familienarbeitsverfassung
- ausschließliche Beschäftigung von Familienangehörigen
- zusätzliche Beschäftigung von familienfremden Personen
Fremdarbeitsverfassung
- Lohnarbeitsverfassung (dauerhaft oder temporär angestellte Arbeitnehmer, dazu gehören u.a. auch Plantagenarbeiter, ländliche Gelegenheitsarbeiter, Wanderarbeiter, Landarbeiter mit Kleinbetrieben, Kolonen)
- Arbeitspachtverfassung (Betriebsbewirtschaftung mit Hilfe von Personen, denen ein Teil des Betriebsgeländes zur Eigenbewirtschaftung überlassen und anstelle oder neben der Zahlung einer Pachtsumme eine bestimmte Arbeitsleistung abverlangt wird.)
kooperative oder kollektive Arbeitsverfassung - Erwerbscharakter (auch: Erwerbsfunktion)
Haupterwerbsbetriebe
- Vollerwerbsbetriebe
- Zuerwerbsbetriebe
Nebenerwerbsbetriebe
Aus der Vielfalt der gegebenen Bedingungen und bestehenden Bedürfnisse haben sich historisch und räumlich sehr unterschiedliche Agrarverfassungen entwickelt. Ein ausführliches Merkmalsraster der Agrarverfassung findet sich bei Planck/Ziche (1979).
Wichtige Gestaltungskräfte der Agrarverfassung sind:
- naturbedingte Merkmale wie Klima, Bodenverhältnisse, Geländegestalt, wobei das Ausmaß der Naturbeherrschung die Wirksamkeit bestimmt
- gesellschaftliche Merkmale wie politische Überzeugungen und Ideologien, Rechtsordnungen, Stadien wirtschaftlicher Entwicklung, technologische Entwicklung, Bevölkerungsänderungen, Wirtschafts- und Sozialstruktur, Änderungen der Wertvorstellungen und Erwartungen sowie äußere Einflüsse (Kolonialismus, Neokolonialismus)
In der Agrarverfassung der BR Deutschland, die das Resultat eines evolutionären Prozesses und historisch gewachsener Strukturen (im Teilraum der ehemaligen DDR auch nach der Episode eines staatsrevolutionären Umbruchs) darstellt, spielt das private Eigentum eine zentrale Rolle. Der existenzfähige bäuerliche Familienbetrieb, der einer Familie ausreichendes Einkommen garantiert, war bis vor wenigen Jahren das sozial-ökonomische Leitbild. Mittlerweile benutzt die Bundesregierung die Formel "bäuerliche Landwirtschaft", nicht zuletzt eine Reaktion auf die Einrichtung transfamilialer Unternehmensstrukturen in den neuen Bundesländern.