Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Thünensche Ringe

Nach J. H. von Thünen (1783-1850) benannte Ringe eines Kreismodells, die den Zusammenhang von Grundrente und Standort der landwirtschaftlichen Produktion verdeutlichen sollen. Generelles Merkmal der Thünenschen Ringe ist die abnehmende Intensität der Nutzungsweise vom Marktzentrum aus. Zu berücksichtigen ist, daß Thünen seine Theorie noch vor dem Bahnbau und vor der Verbreitung der Dampfschiffe konzipierte, also in einer Zeit extrem hoher Transportkosten. Dies verbietet es, in der Gegenwart zu buchstäblich nach Beweisen für die empirische Brauchbarkeit des Modells zu suchen.

Thünen macht für sein Modell zudem folgende restriktiven Annahmen, die es selbst zu seiner Zeit müßig gemacht hätten, die Thünenschen Standortstrukturen im Umkreis einer vorgegebenen Stadt exakt nachzuweisen:

Innerhalb eines solchen Systems von Restriktionen werden rational-ökonomische Entscheidungen des Landwirts (als Optimizer bzw. homo oeconomicus) zur bestimmenden Größe. Seine Entscheidung basiert auf der Gegenüberstellung der möglichen Erlöse und der aufzuwendenden Kosten von Produkten.

Thünen sucht aufgrund dieses abstrahierenden Modells nach der optimalen Ordnung der Bodennutzung, die den höchstmöglichen Reinertrag (Lagerente) abwirft. Dieser ergibt sich aus dem Marktpreis abzüglich der Produktions- und Transportkosten. Die entsprechende Formel lautet:

Thünens Formel zur Berechnung der Lagerente
Thünens Formel zur Berechnung der Lagerente

Aus dieser Formel ergibt sich, daß in Marktnähe infolge geringer Transportkosten ein höherer Gewinn erzielt wird als in Marktferne. Der marktnahe Landwirt kann somit seinen Betrieb durch erhöhten Kapital- und Arbeitseinsatz mehr intensivieren als der marktferne, der seine Produktionskosten infolge hoher Transportkosten senken und demnach extensiver wirtschaften muß. Die höhere Intensität der marktnahen Bewirtschaftung ergibt sich auch zwangsweise aus den höheren Löhnen, Boden- und Pachtpreisen.
Wendet man dieses Prinzip auf mehrere Nutzungsarten an, so ergeben sich je nach Transporteigenschaften der Produkte unterschiedliche Standortbereiche. Im Modell Thünens entstehen auf diese Weise um das Marktzentrum konzentrische Ringe (oft auch "Kreise") verschiedener Nutzung.

Die einzelnen Ringe sind wie folgt gekennzeichnet (von innen nach außen):

1. Ring: Freie Wirtschaft. Produktion von leichtverderblichen, auch aufwands- und ertragsintensiven Produkten (Trinkmilch, Gartenbauerzeugnisse) sowie von transportkostenempfindlichen Gütern (Heu, Stroh, Speisekartoffeln, Rüben).
2. Ring: Forstwirtschaft. Der Transport des schweren und sperrigen Holzes ist teuer, der Marktpreis aber niedrig, somit lohnt eine marktferne Produktion nicht.
3. Ring: Fruchtwechselwirtschaft. Ackerbau in der intensiven Form des Fruchtwechsels zwischen Halm- und Blattfrüchten.
4. Ring: Koppelwirtschaft. In diesem breitesten Ring dominiert eine Form der Feldgraswirtschaft, bei der das Land abwechselnd als Acker und Weide benutzt wird.
5. Ring: Dreifelderwirtschaft. Eine sehr extensive Form des Getreidebaus mit Brache.
6. Ring: Viehzucht. Es handelt sich um extensive Weidewirtschaft, bei der die Transportkosten durch hohe Marktpreise für Viehprodukte (Fleisch, Butter, Häute) und geringe Produktionskosten aufgewogen werden, bzw. die Transportkosten durch Viehtrieb zum Marktort niedrig gehalten wurden (geringe Treiberkosten, allerdings Gewichtsverlust).

Am Außenrand des 6. Ringes, der bei Thünen einer konkreten Entfernung von 50 deutschen Meilen (ca. 350 km) vom Marktzentrum entspricht, beginnt die kultivierbare Wildnis. Dort ist jede Nutzung unrentabel, obwohl noch der gleiche fruchtbare Boden vorhanden ist.
Diese ringförmige Nutzungsanordnung ist nach Thünen ebenso auf der Wirtschaftsfläche der einzelnen Betriebe zu beobachten. So folgen in mitteleuropäischen Betrieben häufig von innen nach außen Gartenland und Weiden für das Milchvieh, Feldland und Wald. In subtropischen Gebieten werden Agrumen-, Wein- und Olivenkulturen von extensiverem Weizenbau und ortsfernen Weiden umgeben. In wechselfeucht-tropischen Räumen folgen ortsnaher intensiver Bewässerungsreisbau, extensiver Regenfeldbau und periphere Naturweiden einander.

Allgemein läßt sich aus dem Thünenschen Modell die Intensitätsregel ableiten, nach der extensive Betriebszweige mit zunehmender Marktentfernung der Betriebe um so überlegener sind und umgekehrt die intensiven Betriebszweige an Überlegenheit mit zunehmender Marktnähe gewinnen.

Als Sonderfall behandelt schon Thünen die Beschränkungen der Marktbelieferung durch zu hohe Transportkosten. Eine Lösung des Problems stellt die Veredelung von Agrarprodukten dar (Milchprodukte, Trockenfrüchte, Branntwein). Klassische Beispiele im Thünenschen Sinne sind die Erzeugung von Bourbon-Whisky in Kentucky und Tennessee, die schottischen Whisky-Standorte um Inverness und auf der Insel Islay oder auch die Branntweinherstellung im emsländischen Haselünne. Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. findet die normative Aussage der Thünenschen Theorie ihre faktische Bestätigung: Im Umland der Großstädte gewinnen die landwirtschaftlichen Betriebe durch Spezialisierung auf Milchproduktion, Anbau von Feldgemüse, Kartoffeln und Obst (Altes Land) eine besonders hohe Intensität. Dazu kommt es zur Ausbildung besonderer Gartenbaugebiete. Diese Entwicklung erklärt sich aus den rasch wachsenden städtischen Absatzmärkten und aus der Tatsache, daß noch keine Technologie für den Transport verderblicher Güter über weite Strecken bestand. Verschiedene Faktoren bewirkten für Jahrzehnte eine Persistenz dieser Standorte, auch nachdem eine verbesserte Verkehrs- und Konservierungstechnik vorhanden war. Begründet ist die Dauerhaftigkeit in den persönlichen Absatzkontakten, in der Lebensdauer von Baum- und Strauchkulturen und in den Zwängen, die sich im Erwerbsgartenbau aus der geringen Betriebsfläche, dem hohen Fixkapital (Glashäuser usw.) und der beruflichen Spezialisierung ergeben.

Wenn andererseits heute – im Gegensatz zu einer jahrhundertelangen Tradition – in Wien keine Milchkühe mehr stehen, so liegt dies zumindest zum Teil am System der österreichischen Milchmarktordnung. Diese nimmt eine bewußte Verzerrung der Verhältnisse über den sogenannten Transportkostenausgleich vor, um den auf Grünlandwirtschaft angewiesenen Berggebieten Einkommenschancen zu erhalten und um damit den landschaftlichen Reiz dieser Gegenden zu bewahren.

Die Kritik an Thünen zielt vor allem auf die Realitätsferne seines abstrahierenden und isolierenden Modells, wobei häufig die Grundsätze und die Ziele abstrakter Modellbildung nicht verstanden sind, oder es wird irrtümlicherweise von der Annahme ausgegangen, das Modell lasse sich zur Erklärung der agrarräumlichen Gesamtstruktur heranziehen. Bereits Thünen wies auf die naturräumliche Differenziertheit realer Staaten, auf die Vielfalt des Städtewesens und besonders auf die Auswirkungen von Wasserstraßen mit ihren billigen Frachtraten hin.

Zur heutigen Bedeutung der Thünenschen Theorien:

(Standortfaktoren in der Agrarwirtschaft)

Neuinterpretation der Thünenschen Ringe

Neuinterpretation der Thünenschen Ringe

Seit Thünen haben sich die Bedingungen stark verändert. Insbesondere durch moderne Infrastrukturen haben sich Transportkosten drastisch verringert. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen in immer größer werdenden Städten. An diese Gegebenheiten anknüpfend wird die Idee der Thünenschen Ringe immer wieder neu interpretiert, um auch in Zukunft Metropolen effizient und nachhaltig mit Nahrung und Rohstoffen versorgen zu können. Auch der Rückfluss und die Wiederverwertung von Stoffen spielen eine große Rolle.

In diesem Schema sind um eine Metropole mit hoher Nutzungsdichte Ringe unterschiedlicher Agrarsysteme angeordnet, von stadtnahen, geschlossenen/vertikalen Anbauweisen bis zu extensiver Landnutzung in entfernteren Bereichen.

Quelle: GenomXpressScholae

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