Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Agrarrohstoffe

Rohstoffe, die aus landwirtschaftlicher Produktion stammen und vom Menschen für weiterführende Anwendungszwecke des Nahrungs- und Futterbereichs und als nachwachsende Rohstoffe verwendet werden. Nicht zu dieser Rohstoffgruppe gehören forstwirtschaftlich produzierte Rohstoffe, vor allem Holz, sowie Gemüse- und Obstpflanzen, sofern sie vor allem für den direkten Verzehr bestimmt sind.

Der Begriff Agrarrohstoffe wird in der Finanzwelt (dort auch: soft commodities) als Überbegriff für die entsprechende Gruppe von Handelswaren verwendet. Die Hauptanwendungen von Agrarrohstoffen liegen seit jeher in der Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln.

Für diesen Zweck werden vor allem Getreidearten wie Reis, Weizen, Mais, Hirse, Roggen, Hafer, Gerste, und Triticale sowie Hackfrüchte wie Kartoffel, Zuckerrübe, Zuckerrohr und Maniok genutzt. Auch Ölpflanzen wie Raps, Erdnuss, Ölpalme und Soja bzw. die aus ihnen gewonnen Pflanzenöle sind als Agrarrohstoffe bedeutsam. Hinzu kommen nachwachsende Rohstoffe, die auf landwirtschaftlichen Flächen angebaut werden. Neben den genannten, die auch Rohstoffe für Zwecke abseits der Nahrungsmittel- und Futterproduktion liefern, sind dies beispielsweise Baumwolle, Kautschuk und für die Energiegewinnung angebaute Biomassepflanzen (Chinaschilf, schnellwachsende Hölzer).

Handelskonzerne

Weizen, Mais und Sojabohnen sind die drei wichtigsten Waren des Welthandels mit landwirtschaftlichen Rohstoffen. Je nach Marktlage, Qualität und Preis werden diese Produkte als Nahrungsmittel, Agrokraftstoff oder Futtermittel verkauft (Flex Crops). Die nächstwichtigen globalen Handelsgüter dieser Art sind Zucker, Palmöl und Reis.

Vier Konzerne dominieren den Im- und Export solcher Agrarrohstoffe: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und die Louis Dreyfus Company. Gemeinsam sind sie als „ABCD-Gruppe“ bekannt. Archer Daniels Midland (wiederum ADM abgekürzt), Bunge und Cargill sind US-Unternehmen, Louis Dreyfus hat seinen Sitz in der niederländischen Hauptstadt Amsterdam. Alle vier wurden zwischen 1818 und 1902 gegründet, und von ADM abgesehen, stehen sie bis heute unter dem Einfluss ihrer Gründerfamilien. Sie handeln und transportieren, und sie verarbeiten auch viele Rohstoffe. Die Konzerne besitzen Hochseeschiffe, Häfen, Eisenbahnen, Raffinerien, Silos, Ölmühlen und Fabriken. Ihr Weltmarktanteil liegt bei 70 Prozent. Cargill ist die Nummer eins, gefolgt von ADM, Dreyfus und Bunge.

In den vergangenen Jahren hat der chinesische Getreidehändler Cofco, ein Staatsbetrieb, zu ihnen aufgeschlossen und ABCD als Hauptaufkäufer von brasilianischem Mais und Soja abgelöst. Der Anteil von ABCD an den Getreideexporten des Landes sank von 46 % im Jahr 2014 auf 37 % im Jahr 2015; auf Cofco entfielen 45 Prozent. In Russland nahm im Jahr 2015 erstmals der Getreidehändler RIF den Spitzenplatz unter den Exporteuren ein. Das erst 2010 gegründete Privatunternehmen aus Rostow am Don verdrängte die drei bisher dominanten Händler, Glencore aus der Schweiz, Cargill als einzigem der vier Weltgrößten und Olam aus Singapur. Diese Entwicklungen spiegeln den Aufstieg Russlands als bedeutenden Weizenexporteur und die Rolle Chinas als bedeutenden Getreideimporteur wider.

Die ABCD-Gruppe ist bestens informiert über Ernten, Preise, Währungsschwankungen, Wetterdaten und politische Entwicklungen in allen Teilen der Welt. Tagtäglich laufen Informationen aus den Anbaugebieten bei ihnen ein, die von ihren Finanzexperten analysiert werden. Alle vier Konzerne besitzen eigene Tochterunternehmen, die den Handel mit Agrarrohstoffen gegen Preisrisiken absichern und auf die spekulativen Geschäfte an den Warenterminbörsen, allen voran denen in Chicago, ausgerichtet sind.

Der Handel mit Agrarrohstoffen stellt zwar den traditionellen Schwerpunkt der ABCD-Konzerne dar, aber er wird immer mehr zum Beiwerk. Die Weiterverarbeitung von Getreide oder von Sojabohnen sowie die Produktion von Lebensmitteln wie Orangensaft oder Schokolade gehören seit Langem zu ihrem Geschäft. Seit den 1980er-Jahren wird die vertikale Integration – die Eingliederung von vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen – immer wichtiger.

ABCD investieren auch in benachbarte Industriezweige wie Agrarkraftstoffe, Kunststoff und Farben. So gehört ADM der größte Ölsaatenverarbeitungs- und Raffineriekomplex Europas in Hamburg. Dort werden Rapssaaten und Sojabohnen zu Margarinen, pharmazeutischem Glyzerin und Agrardiesel verarbeitet. Die große Marktmacht ermöglicht den ABCD-Konzernen, die Weltagrarmärkte zu beeinflussen und bei der Aushandlung von Preisen ihre enorme Verhandlungsmacht gegenüber Erzeugern auszuspielen. Sie nutzen ihre Marktkenntnisse um über ihre Finanzaktivitäten hohe Renditen zu erzielen. Darüber hinaus sind sie direkt oder indirekt mitverantwortlich für die Abholzung des Regenwaldes. (Heinrich Böll Stiftung u. a. 2017)

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