Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Zuckerrohr

Mehrjährige, sich bestockende Kurztagspflanze aus der Familie der Süßgräser (Poaceae), dort wird sie der Unterfamilie Panicoideae mit etwa 3.270 weiteren Arten zugeordnet. Die wichtigste Art ist das Zuckerrohr i.e.S. (Saccharum officinarum).

Es ist einkeimblättrig und besitzt das für Poaceae typische, grasartige Erscheinungsbild. Die langen, rohrartigen Halme mit ihrem zuckerspeichernden Mark (7 bis 20 Prozent Saccharose) haben einen Durchmesser von 20 bis 45 mm und erreichen eine Höhe von 3 bis 6 Metern. Das Zuckerrohr besitzt Rhizome. Die rispenförmigen Blütenstände werden 40 bis 60 cm lang. Die Früchte sind klein und nur etwa 1,5 mm lang. Die Pflanze ist der wichtigste Rohstofflieferant für die Herstellung von Haushaltszucker (Saccharose) und in wachsendem Maße auch für die Herstellung von Bioethanol.

Herkunft und Verbreitung

Ihr Ursprung liegt wahrscheinlich in der polynesisch-melanesischen Inselwelt, wo man den ältesten Anbau von Zuckerrohr auf ca. 8.000 v. Chr. datieren konnte. Möglicherweise bildete Zucker in Melanesien aber schon vor 15.000 Jahren einen energiereichen Proviant bei Bootsfahrten zu fernen Inseln in der Südsee. Durch Handel gelangte die Pflanze allmählich in den Vorderen Orient. Über die arabisch-muslimische Welt kam das Zuckerrohr in den Mittelmeerraum und so auch nach Spanien.

Westeuropa lernte den Zucker als Genussmittel im Gefolge der Kreuzzüge kennen. Die Kreuzritter übernahmen in den von ihnen eroberten und besetzten Gebieten die Kontrolle über den Anbau des Zuckerrohrs. Venezianische Kaufleute begannen bald darauf, Zuckerunternehmungen in der Nähe von Tyrus, auf Kreta und Zypern zu installieren.

Bereits auf seiner zweiten Reise im Jahr 1493 brachte Christoph Kolumbus Zuckerrohrstecklinge auf die Karibikinsel Hispaniola (Dominikanische Republik und Haiti). Aus diesen geringen Anfängen entwickelte sich in "Westindien" ein Weltwirtschaftszentrum für Zuckerrohranbau, das 300 Jahre lang seine Vormachtstellung behaupten sollte. Das Zuckerrohr entwickelte sich zu einem der wichtigsten Agrarprodukte des kolonialen transatlantischen Dreieckshandels.

Die Portugiesen brachten es auch nach Westafrika in die Bucht von Benin. Wegen der schwierigen Verarbeitung war Zucker um diese Zeit aber noch immer sehr rar und für den normalen Bürger nicht erschwinglich. Bis zur Züchtung der Zuckerrübe aus der Runkelrübe Mitte des 18. Jahrhunderts blieb das Zuckerrohr die einzige Rohstoffquelle zur Zuckergewinnung.

Standortansprüche

Als Pflanze der Tropen und Subtropen liebt Zuckerrohr hohe Temperaturen und viel Niederschlag. Ideal sind 25 bis 30 Grad Celsius und möglichst mehr als 1500 mm pro Jahr. Das sind typische Regenwaldstandorte, in der Konsequenz müssen für die ertragreiche Kultur nach wie vor tropische Wälder weichen.

Ist es kälter, verlangsamt sich das Wachstum, unter 15 °C wächst die Pflanze nicht mehr. Der Wasserbedarf der Pflanze ist sehr hoch – es darf aber nicht stehen, da sonst die Pflanze fault. Es sind also hügelige Anbaugebiete vorteilhaft.

Anbau und Ernte

Die größten Zuckerrohrflächen gibt es mit 10,2 Millionen Hektar in Brasilien. Mit deutlichem Abstand dahinter folgen Indien (5,1 Mio. Hektar), China (1,8 Mio. Hektar) und Pakistan mit insgesamt 1,3 Millionen Hektar (Quelle: FAO, 2013).

Zuckerrohr wird von Lohnarbeitern in Plantagen oder von Kleinpächtern auf eigenem oder gepachtetem Land in Form von Vertragslandwirtschaft angebaut. Die Arbeitsbedingungen sind sehr hart und der Einfluss auf die Lebensumstände der Bevölkerung ist bis heute problematisch.

Die Anpflanzung des Zuckerrohrs geschieht über Stecklinge. Halmstücke aus dem unteren Bereich der „Zuckerrohrhalme“, die zwei bis vier Knoten aufweisen, werden verwendet. Je nach Technisierungsgrad werden sie entweder manuell oder maschinell reihenweise dicht hintereinander in den Boden gelegt und angehäufelt, sodass die Halmstücke leicht mit Boden bedeckt sind. Der Reihenabstand beträgt 1,2 bis 1,5 m. Innerhalb der Reihe wird der Abstand so gewählt, dass letztlich 15.000–20.000 Stecklinge pro Hektar gesetzt werden. Nach ein bis zwei Wochen treiben die Stecklinge aus, das heißt, sie bilden Wurzeln und treiben an den Augen (Knospe) neue Halme (Rohre) aus. Rund 3 bis 6 Monate Wachstumszeit benötigt der Bestand bis zum Reihenschluss.

Durch gezielte Düngung und Pflanzenschutz sichern die Anbauer die Erträge ab. Wichtig ist die Kontrolle des Unkrauts, das mit dem Süßgras um Licht, Nährstoffe und Wasser konkurriert. Schadinsekten müssen ebenso beachtet werden, dazu zählt vor allem der Zuckerrohrbohrer.

Die erste Ernte, das Schneiden des Rohrs, kann 9 bis 24 Monate nach dem Auspflanzen erfolgen. Der Erntezeitpunkt richtet sich nach Zuckergehalt und Reifegrad. Die Halme werden direkt über dem Boden abgeschnitten und am oberen Ende der zuckerlose Blattapparat entfernt.

Die Rohrernte erfolgte früher ausschließlich per Handarbeit. Arbeiter trennten die fünf Zentimeter dicken und bis zu fünf Meter langen Stangen mit einer Machete ab und luden sie auf Transportfahrzeuge. Heute erledigen zunehmend Zuckerrohrerntemaschinen diese schwere Arbeit. Um die Ernte zu erleichtern, wurden und werden die Felder kontrolliert angezündet. Trockene Blätter und Unkraut verbrennen, die zuckerreichen Stängel bleiben übrig. Durch das Abbrennen entsteht eine großflächige Feinstaubbelastung. Moderne Vollernter machen das Abbrennen überflüssig.

Die „Halmstümpfe“ schlagen wieder aus und nach weiteren 12 Monaten kann die nächste Ernte geschnitten werden. Ein Zuckerrohrbestand kann bis zu acht Mal beerntet werden. In Indien beträgt die Nutzungsdauer z. B. zwei Schnitte, in Brasilien dagegen fünf Schnitte. Eine Zuckerrohrpflanze kann bis zu 20 Jahre alt werden.

Das Zuckerrohr sollte nach der Ernte möglichst schnell verarbeitet werden, weil im tropischen Klima der Zuckerabbau schnell einsetzt. Aus Presssaft kristallisiert der Zucker, der anschließend in mehreren Schritten gereinigt wird (Raffination). Übrig bleiben die Fasern des Rohrs, die sogenannte Bagasse. Sie dient als Energieträger in der Zuckerfabrik, aber auch als Viehfutter oder zur Herstellung von Faserplatten und Tür-Innenverkleidungen.

Die Arbeitsbedingungen auf den Zuckerrohrfeldern sind teilweise problematisch. Häufig werden Kinder als Arbeitskräfte eingesetzt; geringe Bezahlung ist in den Regionen des Zuckerrohranbaus ohnehin an der Tagesordnung. Brasilianische Plantagenarbeiter bekommen etwa 1,4 Reais (ca. 60 Eurocents – Stand Juni 2007) pro gehackter Tonne Zuckerrohr. Die Tagesleistung liegt bei guten Arbeitern bei circa 15–20 Tonnen. Im Mittel bringt Zuckerrohr in Brasilien einen Hektar-Ertrag von rund 75 Tonnen mit 10 bis 20 Prozent Gewichtsanteilen Zucker (Quelle: FAO, 2013). Das machen 7,5 bis 15 Tonnen Zucker pro Hektar.

In Brasilien kontrollieren sieben Joint Ventures aus brasilianischem Kapital und westlichen Rohstoffkonzernen über 50 % der Zuckermühlen. Die brasilianische Seite bilden meist Zusammenschlüsse von Familienunternehmen, deren Reichtum auf Großgrundbesitz basiert.
So kontrolliert Copersucar, das sich 2014 mit dem US-Agrarkonzern Cargill zusammenschloss, 47 eigene Zuckermühlen und 50 weitere über Verträge. Raízen ist ein Zusammenschluss des brasilianischen Cosan-Konzerns mit dem Mineralöl-Multi Shell, und Biosev von Santelisa Vale mit dem Cargill-Konkurrenten Louis Dreyfus Company. Zwar expandieren Zuckerrohrplantagen in vielen Teilen der Welt, doch nirgendwo so rasant wie in Brasilien. Dort hat sich die Anbaufläche zwischen 2005 und 2013 von fünf auf zehn Millionen Hektar verdoppelt. Diese Expansion hat erhebliche soziale und ökologische Folgen. (Heinrich-Böll-Stiftung u. a. 2017)

Historisch gesehen war Zuckerrohrproduktion auch ein wichtiger Faktor für globale Migrationsströme, am bekanntesten ist wohl der Austausch von Sklaven gegen Zucker, Melasse und Rum. Jeweils am Ende der Sklaverei nahm die Produktion in den Hauptanbauländern (britische Kolonien, USA und Brasilien) deutlich ab und wurde durch Kontraktarbeiter aufgefangen.

Verwendung

Zuckerrohr wird hauptsächlich für die Gewinnung von Zucker genutzt. Momentan (2016) deckt Zuckerrohr rund 80 Prozent des Weltzuckermarkts ab.

Zur Zuckergewinnung wird der sehr saftreiche Halm, dessen weißes Mark 11–20 % Zucker enthält, geerntet, von den Blättern befreit und ausgepresst. Der frische Presssaft wird als Getränk genossen, zur Gewinnung von braunem Rohrzucker eingedampft bzw. zur Gewinnung weißen Zuckers gereinigt und konzentriert, bis sich der Zucker in Kristallform abscheidet. Die bei der Raffination als Restprodukt anfallende Melasse, eine dunkelbraune, zähflüssige, bittersüß schmeckende Masse mit ca. 50 % Zuckergehalt, wird Viehfutter beigemischt oder dient, in vergorenem Zustand, zur Destillation von Rum und Arrak. Die Pressrückstände (Bagasse) finden Verwendung als Brennstoff oder bei der Herstellung von Isoliermaterial, Zellstoff und Papier.

Aus Zuckerrohr kann ferner ein Wachs hergestellt werden, aus dem Policosanol in reiner Form gewonnen werden kann. Sowohl Zuckerrohrwachs als auch Policosanol werden industriell hergestellt.

Die Zuckerrohrfasern (Blätter) werden, als Alternative zu Holzfasern, zur Herstellung von Papier oder Faserformteilen (ähnlich wie Eierkartons) eingesetzt.

Eine stark wachsende Bedeutung hat Bioethanol aus Zuckerrohr als Kraftstoff bzw. Biokraftstoff. Dieser wird, wie die Zuckerrohrspirituosen, durch Fermentation von Zucker im Zuckerrohrsaft oder der Melasse zu Alkohol umgesetzt. Bei der anschließenden Destillation wird daraus fast reiner Alkohol gewonnen, der in bestimmten Verbrennungsmotoren (Flexible Fuel Vehicle) nutzbar ist. Beispielsweise werden in Brasilien jährlich ungefähr 16 Milliarden Liter Ethanol produziert und zum großen Teil als PKW-Kraftstoff, aber auch für Flugzeuge, wie dem propellerbetriebenen Agrarflugzeug Embraer EMB 202A, genutzt.

Weitere Informationen:

Pfeil nach linksZuckermaisHausIndexZuckerrübePfeil nach rechts