Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Pastoralismus

Auch Naturweidewirtschaft oder pastorale Tierhaltung auf Naturweiden; eine Form der Landnutzung mit extensiver Weidewirtschaft auf natürlich gewachsenem Busch- und Grasland, dessen anderweitige Nutzung wegen der klimatischen Bedingungen, seiner kargen Vegetation oder seiner Abgelegenheit nicht attraktiv oder nicht sinnvoll ist. Beim Pastoralismus wird eine mobile und eine sesshafte Form unterschieden. Wenn die Subsistenzstrategie einer lokalen Gemeinschaft auf Pastoralismus und Feldwirtschaft beruht, spricht man von Agropastoralismus. Der Begriff Pastoralismus beschreibt eine ökonomische Tätigkeit und eine kulturelle Identität.

Auf jedem Kontinent der Welt – vor allem in den trockensten, steilsten, kältesten und heißesten Gebieten – gibt es Hirtenvölker, die mit Herden von Alpakas, Kamelen, Rentieren, Rindern, Schafen, Wasserbüffeln, Yaks und Ziegen die Gebiete der Erde bewirtschaften, die kaum anders genutzt werden können. Es handelt sich um mehr als 26 Millionen Quadratkilometer, das ist mehr als die gemeinsame Fläche
der USA, Chinas und der EU.

Trotz der häufig marginalen Produktionsflächen spielt Pastoralismus in vielen Ländern auch ökonomisch eine zentrale Rolle. In Burkina Faso werden mehr als 70 Prozent der Tiere in pastoralen Systemen gehalten, in Niger und im Tschad mehr als 80 Prozent, und im Sudan, in Tansania und Somalia sogar über 90 Prozent. In Indien, dem Land mit der größten Zahl armer Nutztierhalterinnen und -halter, stammen
mehr als die Hälfte der Milch und mehr als 70 Prozent des Fleisches aus pastoralen Systemen.

Geschätzt leben weltweit mehr als 200 Millionen Menschen als Pastoralistinnen und Pastoralisten. Die FAO geht davon aus, dass etwa eine Milliarde Tiere in pastoralen Gesellschaften leben. In den ganzjährig trockenen und den von jährlichen Trockenzeiten geprägten Gebieten Afrikas und Asiens, aber auch in den Anden Südamerikas und der Arktis sind sie für die Ernährung und das Einkommen vieler Menschen von großer Bedeutung. Beides, Ernährung und Einkommen, ist bei den pastoralistisch Wirtschaftenden im nördlichen Sahel sicherer als bei den sesshaften Bäuerinnen und Bauern derselben Region.

In der Regel gehörten große Herden weidender Huftiere seit jeher zum „Inventar“ aller natürlichen Offenlandschaften. In vielen Fällen ersetzten die domestizierten Arten die ökologische Nische der vormaligen Wildtiere. Daraus folgt, dass pastorale Viehhaltung vom Grundsatz her eine ökologisch angepasste Strategie darstellt. Dies gilt insbesondere für die seit Jahrhunderten angepassten Rassen im Trockengürtel der Alten Welt, die den Wildtieren gleichgesetzt werden können.

Die Aufgabe der Weidenutzung in Trockenräumen hat nicht selten negativere Folgen für die Ökosysteme als die Überweidung. Das in längeren Abständen wiederholte kurzzeitige intensive Abweiden mit Viehtritt und Dung der Tiere sind ausgesprochen positive Aspekte der Dynamik von Trockenbiomen, denn sie fördern einerseits den Wachstumsimpuls, das Wurzelwachstum und die Widerstandskraft der Pflanzen, andererseits die Humusbildung, Bodenfruchtbarkeit und Wasseraufnahme und -speicherfähigkeit.

Je nach Biomtyp gelten in grober Verallgemeinerung 5 bis 16 (im Extrem < 1 bzw. bis 50) Großvieheinheiten (= z. B. ein Rind) pro 100 ha Fläche als extensiver Tierbesatz. Neuere Untersuchungen belegen, dass sehr dichte Bestockung in Trockenräumen mit 2.000 bis 5.000 Großvieheinheit pro ha, welche das natürliche Herdenverhalten der wilden Herbivoren (z. B. Gnuherden) imitieren und alle paar Stunden weiterbewegt werden, zu besserer Bodenfruchtbarkeit, Wasseraufnahme und -speicherung, CO2-Sequestrierung durch Wurzelbildung im Boden und Begrünung der Landschaft führen.

Entscheidend für die Vegetation der Trockengebiete und damit für die Tragfähigkeit der Naturweiden ist die Bodenfeuchte. Somit lassen sich die Formen des Pastoralismus über die Menge der jährlichen Niederschläge abgrenzen:

Mobiler Pastoralismus

Der mobile Pastoralismus umfasst die traditionellen Formen der Fernweidewirtschaft (synonymer Begriff) auf zumeist nicht eingehegten Weiden, bei denen mehrmals im Jahr die Futtergründe gewechselt werden, die zudem in der Regel nicht an dem dauerhaften Wohnsitz des Eigentümers liegen. Mobiler Pastoralismus ist in Gebieten mit starken Klimaschwankungen üblich (vor allem semiarides Klima). In Nordafrika und Zentralasien ist er am weitesten verbreitet. Die Weiden sind dabei meist in kommunalem Besitz (Allmendegut).

Nomadismus

In den heißen und kalten Wüsten und Halbwüsten, in gemäßigten Trockensteppen und tropischen Dornsavannen mit einem Jahresniederschlag von unter 100 bis 250, maximal bis 600 mm wird heute vor allem ganzjährige mobile Tierhaltung mit Kamelen und Ziegen betrieben. Etwa bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts lebten noch ganze Völker von einem hirtennomadischen Pastoralismus auf der Grundlage einer weitreichenden Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung). Der Fachbegriff für diese Wirtschaftsweise und die zugehörige traditionelle Kulturform ist „Nomadismus“. Heute gibt es nur noch sehr wenige Vollnomaden.

Rentier-Pastoralismus

Eine Sonderform des nomadischen Pastoralismus, bei der man den natürlichen Wanderungen der Tiere folgt, ist der Rentier-Pastoralismus Nordeurasiens. Da die Tiere in den meisten Regionen Eurasiens im Hochsommer in der Tundra und im Winter im Wald relativ stationär sind, leben die modernen Rentierhirten heute während dieser Zeit grundsätzlich in festen Wohnsitzen. Man sollte demnach eher von einem halbnomadischen Pastoralismus sprechen, obgleich die Begriffe häufig nicht differenziert verwendet werden. Der Lebensraum der Rentierhirtenvölker, der sich von den lappländischen Fjellbergen über die nordrussischen Tundren und Waldtundren bis zur Tschuktschen-Halbinsel erstreckt, wird in der Ethnologie bisweilen als Kulturareal „Sibirien“ bezeichnet. Die Rentierhaltung ist heute subsistenz- und marktorientiert. Man kann sagen, dass der für den Markt produzierte Anteil von Nordeuropa ostwärts kontinuierlich abnimmt.

Transhumanz

In subtropischen Gebirgen mit Trockensteppen und in den trockensten Gebieten der mediterranen Hartlaubvegetation zwischen unter 300 bis 550, maximal bis 900 mm Niederschlag liegt das Hauptverbreitungsgebiet der klassischen Transhumanz – der saisonalen Wanderweidewirtschaft mit Ziegen und Schafen, auch „Yaylak-Pastoralismus“ genannt. Sie wurde ursprünglich von angestellten Hirten durchgeführt, während die Eigentümer der Herden sesshaften Ackerbau betrieben. Im Winter beaufsichtigten die Hirten die Tiere auf Weiden nahe der Wohngebiete, um sie im Frühjahr – wenn das Futterangebot zurückging – auf die Hochweiden zu treiben, die nunmehr ausreichend Futter für den Sommer boten. Diese ursprüngliche Transhumanz wird heute in den Mittelmeerländern und im Nahen Osten nur noch selten betrieben, da die klimatischen Bedingungen in den Ebenen bereits ertragreichere landwirtschaftliche Nutzungen zulassen. In marginalen Räumen wird sie jedoch zum Teil als nachhaltige und umweltfreundliche Wirtschaftsform und aus Naturschutzgründen finanziell gefördert. Transhumanz ist grundsätzlich bereits ein stärker marktorientiertes Wirtschaftssystem.

Mobile Tierhaltung

Heute sind viele ehemalige Nomaden aufgrund eines dramatischen Kulturwandels ihrer Lebensweise (mit einer zunehmenden Marktorientierung) zu „degradierten“ Formen der Pastoralwirtschaft übergegangen, die zum Teil dem Yaylak-Pastoralismus ähneln. Das ist jedoch nicht nachhaltig, da langfristig ungeeignete Regionen mit maximal 300 mm Jahresniederschlag betroffen sind. Diese Form wird hier zumeist halbnomadisch betrieben, indem ein Teil einer lokalen Tierhaltergemeinschaft saisonal mit den Herden wandert, während der andere sesshaft ist und anderen Berufen nachgeht. Solcherart „modernisierter“ Wanderweidewirtschaft und andere postnomadischen Formen werden heute „mobile Tierhaltung“ genannt.
(Anmerkung: „Mobile Tierhaltung“ ist demnach auch „mobiler Pastoralismus“; jedoch „mobiler Pastoralismus“ ist nicht nur (moderne) „mobile Tierhaltung“!)

Alm, Seter, Hochweide

Die Almwirtschaft der Alpen hat zwar „pastorale Wurzeln“, wird jedoch heute mehrheitlich auf anthropogenem Grünland betrieben. Hingegen kann die sehr ähnliche Seterwirtschaft Skandinaviens noch zur Naturweidewirtschaft gerechnet werden. Eine echte Form des mobilen Pastoralismus stellt auch die isländische Hochweidewirtschaft mit Schafen und Pferden dar, bei der eine Winterweide bzw. Stallungen im Tiefland und eine naturbelassene Sommerweide im Hochland genutzt werden. Die Tiere streifen während dieser Zeit frei umher. Im Herbst werden sie zu Pferd zusammengesucht und zurückgetrieben. Alle diese Weidewirtschaftsformen produzieren weitgehend marktorientiert.

Quelle: Wikipedia

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