Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Globalisierung im Agrifood-System

Die aus einer multidimensionalen Reihe von sozialen Prozessen bestehende Globalisierung, schafft, vervielfacht und intensiviert weltweite soziale Zusammenhänge und Austauschformen. Im Agrifood-System weist sie u. a. folgende Charakteristika auf:

  1. Intensivierter Handel, vergrößerte Handelsvolumina, Zunahme des Anteils der international gehandelten Nahrungsmittel (in Form von Rohstoffen oder verarbeiteten Produkten)
  2. Handel mit Betriebsmitteln (Saatgut, Agrarchemikalien etc.) wurde international, Entstehen von Lieferketten durch agrartechnologische Unternehmen
  3. Machtzuwachs von privaten Akteuren bzw. von Unternehmen (corporate power, global player), begünstigt durch Deregulierungen und Liberalisierung, Unternehmenszusammenschlüsse und -übernahmen, oft auch von lokalen Unternehmen in den Ländern des Südens
  4. Gleichzeitig Etablierung neuer transnationaler Normen und Standards und Schaffung von über Ländergrenzen hinweg regulierenden Institutionen (WTO, TTIP)
  5. Wissen(schaft) und Information mit Bezug zum Agrifood-System werden zu internationalen Handelsgütern mit Konzentration bei zunehmend weniger Unternehmen, gleichzeitige Verdrängung oder Auslöschung von traditionellem Wissen als vorgeblich obsolet
  6. Tendenz zur Vereinheitlichung der Ernährungsgewohnheiten bzw. -muster, dadurch Veränderung der Versorgungsstruktur z. B. im Globalen Süden (Fast Food-Ketten und Supermärkte statt einheimischer Produkte/Marken)
  7. Nutzung weltweiter ökologischer Ressourcen und Arbeitskräfte durch große Unternehmen, gleichzeitige Konkurrenz armer Länder mit Beschleunigung des race to the bottom

Die Globalisierung wird weiterhin vom Globalen Norden gesteuert, auch wenn die Integration der Länder des Globalen Südens sehr unterschiedlich verläuft. Bei den Nord-Süd-Beziehungen im Agrarsektor können drei Arten unterschieden werden:

  1. Lang bestehende Beziehungen betreffen die klassischen tropischen Agrarprodukte wie Kaffee, Tee, Kakao, Baumwolle und Bananen. Allerdings ist die Nachfrage nach diesen Produkten unelastisch und/oder sinkend. Zudem droht z. T. eine Substitution durch andere Produkte, wie im Falle von Zucker durch Zuckerersatzstoffe. Da viele Entwicklungsländer aufgrund ähnlicher komparativer Vorteile dieselbe Spezialisierung gewählt haben, gibt es letztlich eine strukturelle Überproduktion, was sich am Verfall der Produzentenpreise zeigt. Dennoch sind auch heute noch 40 Länder mit mehr als 20 % ihrer Handelswareneinnahmen von diesen Produkten abhängig.
  2. Völlig neue und sehr spezifische Handelbeziehungen haben sich seit den 1990er Jahren im Bereich von hochwertigen Produkten wie etwa im Gartenbau und in der Aquakultur entwickelt. Beispiele sind Kenia (Gemüse, Blumen) und Vietnam (Pangasius-Fisch).
    Andere Länder sind mit nicht-traditionellen hochwertigen Produkten global integriert. Dazu gehören u. a. Brasilien (tropische Früchte und Obstsäfte), Mexiko und Chile (Obst, Gemüse) sowie Südafrika (Zitrusfrüchte).
  3. In einigen wenigen Ländern, die mit den größten und kostenmäßig günstig produzierenden Ländern in Nordamerika und Europa mithalten können, haben sich große Agrarexporte entwickelt. Das wichtigste Beispiel ist Brasilien, das früher für seinen Export von klassischen tropischen Agrarprodukten wie Kaffee, Zuckerrohr, Maniok, Bananen und Sisal bekannt und in den 1970er Jahren noch wenig entwickelt war. Danach setzte eine rasche Agrarindustrialisierung ein und machte das Land zu einem der bedeutendsten Agrar- und Nahrungsproduzenten und -exporteure, nicht zuletzt mit Soja. (Schmied 2018)

Die Unterschiede zeigen, dass die Integration in das globale Agrifood-System ein ungleicher und diskontinuierlicher Prozess ist. Einige Regionen besitzen noch eine beschränkte Autonomie, während andere bereits vertikal integriert sind.

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