Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

postglazialer Biodiversitätswandel (Mitteleuropa)

Die nacheiszeitliche Faunen- und Vegetationsentwicklung ging einher mit dem wachsenden Einfluss des Menschen als Bestandteil und Gestalter seiner Umwelt und damit auch der Biodiversität.

Der entscheidende anthropogene Einfluss setzte ein, als vor ca. 5.000 Jahren der Übergang von der nomadischen Lebensweise zum Leben in mehr oder weniger permanenten Siedlungen begann. Dieser Prozess wurde durch den Übergang vom Sammeln und Jagen zur Landwirtschaft verursacht. Der entsprechende Zeitraum wird als neolithische Revolution bezeichnet. Zu dieser Zeit erfolgte eine gezielte Abholzung der Wälder, nicht nur zur Holzgewinnung, sondern auch zur Urbarmachung von Flächen für die Landwirtschaft. Mitteleuropa und damit auch Deutschland war damals zu über 90 % mit Wäldern bedeckt, lediglich der alpine Bereich und größere stark vernässte oder überschwemmte Flächen (z.B. Hochmoore, Flussauen, Küstenmarschen) waren waldfrei.

Der Hauptteil der angebauten Kulturpflanzen kam weitgehend aus Südeuropa und Kleinasien und stellte eine Bereicherung der lokalen Artenpools dar. Mit den Kulturpflanzen kamen auch viele Begleitpflanzen (z.B. Ackerwildkrautarten) und -tiere mit, die ganz erheblich die Artenvielfalt bereicherten. Zusätzlich passten sich einheimische Arten an die Ackernutzung an. Auch begannen viele Tierarten (Kulturfolger) diese neuen Lebensräume zu nutzen, beispielsweise Rebhuhn, Großtrappe, Feldhase, Kaninchen.

Obwohl große Waldflächen verschwanden, verringerte sich die Artenvielfalt nicht, da die bestehenden Wälder ausreichten, den Fortbestand typischer Waldarten zu sichern.

Generell führte das Aufkommen der Landwirtschaft zu einer Erhöhung der Biodiversität in Mitteleuropa. Dies änderte sich bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht entscheidend.

Mit der Entdeckung Amerikas und der Zunahme des Handels und Verkehrs konnten sich in Mitteleuropa immer mehr neue Arten in Mitteleuropa etablieren. Dieser Prozess verstärkte sich mit der industriellen Revolution. Die sich rasch entwickelnde Industrie war nicht nur für die vielen neuen Verkehrswege verantwortlich, sondern führte auch zu einer schnellen Ausweitung städtischer Siedlungen zu Lasten agrarisch genutzter Flächen. Damit verbunden war aber auch die Ausweitung der Gärten und städtischen Parks sowie die Nutzung und Kultivierung zahlreicher neuer Kultur- und Zierpflanzen und von vielen neuen Haustieren. Betrachtet man nur die Flora Deutschlands, so sind heute rund 18 % aller Arten nach 1500 eingewandert (Neophyten).

Mit der weiteren Ausdehnung der Industrie, der Entwicklung industrieller Technologien in der Landwirtschaft und der zunehmenden Urbanisierung veränderte sich die Situation im 20. Jahrhundert ganz entscheidend. Lokal und regional begann ein bis dahin nicht gekannter Artenrückgang. Ganz wesentlich trug hierzu die moderne industrielle Landwirtschaft bei. Dieser Prozess verschärfte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entscheidend. Landwirtschaftliche Nutzflächen wurden immer stärker für die Energieproduktion bzw. zur Herstellung von industriellen Rohstoffen eingesetzt. Damit einhergehend wurden wertvolle Biotope in der Landschaft beseitigt, Lebensräume wurden isoliert und die Stickstoffeinträge stiegen.

Landnutzungswandel, Eutrophierung, Klimawandel, zunehmende Fragmentierung der Landschaft und Isolation von Biotopen und Populationen, Zunahme fremdländischer Arten sind die entscheidenden Faktoren des aktuellen und kommenden Biodiversitätswandels insgesamt, aber vor allem des Biodiversitätsverlustes.

Vom Artenschwund sind am stärksten die Agrarlandschaften betroffen. Die Betrachtung dieser Landschaften ist deshalb von großer Bedeutung, weil sie noch immer mehr als 50 % der Landesfläche Deutschlands ausmachen und gegenwärtig neuen Ansprüchen ausgesetzt sind. Noch im 19. Jahrhundert bildeten reich strukturierte Landschaften, die geprägt waren durch unterschiedliche Landnutzungsformen und einen hohen Anteil an naturnahen Habitaten, die Grundlage für einen hohen Artenreichtum in Mitteleuropa. Im vergangenen Jahrhundert führten jedoch die genannten Einflüsse zu wenig strukturierten und homogenisierten Landschaften mit geringem Artenreichtum. (Mosbrugger et al., 2012)

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