Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Biodiversität

1. Auch Biologische Vielfalt, ein Begriff, der die Anzahl und Variabilität aller lebenden Organismen sowohl innerhalb einer Art (genetische Diversität) als auch zwischen den Arten und Ökosystemen umfaßt. Wie die Geodiversität mit ihren abiotischen Bestandteilen stellt die Biodiversität ein Teilmodell der Landschaftsdiversität dar.

2. In der Ökologie wird Diversität vorrangig als Artenvielfalt in einem Ökosystem verstanden.

Die biologische Vielfalt hat einen Eigenwert, stellt aber zugleich durch ihre verschiedenen ökonomischen Werte eine umfangreiche, durch den Menschen nutzbare Ressource dar.

Werte der biologischen Vielfalt
Eigenwert
(intrinsischer Wert)

Wert ergibt sich aus der Forderung nach einem Eigenrecht der biologischen Vielfalt auf Existenz.

Direkte Nutzwerte  

Konsumwerte

  • Der noch zu monetarisierende Wert von direkt genutzten Naturprodukten für die Selbstversorgung vor allem in Entwicklungsländern
  • Freizeit- und Erholungswerte
  • Soziokulturelle, wissenschaftliche, ästhetische und spirituelle Werte

Produktionswerte

  • Wert als Grundstoff für die weiterverarbeitende Produktion (vor allem land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse)
  • Werte für die Ernährungssicherheit und für medizinische oder andere industrielle Zwecke aufgrund der Vielfalt an Genen und biochemischen Produkten aus naturnahen Ökosystemen
Indirekte Nutzungswerte



Werte aus den Funktionen (Leistungen) der Ökosysteme wie Erosionsschutz, Regulierung der biogeochemischen Kreisläufe (z.B. Wasser- und Kohlenstoffkreislauf), photosynthetische Fixierung von Sonnenenergie, Aufrechterhaltung von Nahrungsnetzen und evolutiven Prozessen, die Regulation von regionalem und lokalem Klima, die Aufnahme und der Abbau von Schadstoffen

Optionswerte

Wert der Offenhaltung einer Option auf eine spätere Nutzung (Genpool), auch im Interesse künftiger Generationen (intergenerative Verteilung)

Existenzwerte

Werte aus einer ethischen Dimension, die dem Gefühl der Verantwortung und Fürsorge des Menschen gegenüber seiner lebenden Umwelt entspringt

Der besorgniserregende Trend des raschen Rückgangs der biologischen Vielfalt führte zu der 1993 in Kraft getretenen Biodiversitätskonvention (Convention on Biological DiversityCBD) unter der Ägide der UNEP (United Nations Environmental Programme). Rote Listen - Auflistungen der ausgestorbenen und als gefährdet geltenden Arten - belegen z.B. für Deutschland eine Gefährdung von rund einem Drittel der Farn- und Blütenpflanzen.

In der Konvention ist u.a. vorgesehen, den Export von lebenden modifizierten Organismen vom Einverständnis des Importlandes abhängig zu machen. Informationen über etwaige Umweltrisiken z.B. durch gentechnisch veränderte Organismen werden zu den Pflichten des Exporteurs gehören.

Mögliche Umsetzungsstrategien der Konventionsziele in Deutschland:

Landwirtschaft ist weltweit einer der größten Treiber von Biodiversitätsverlusten. Produktionszuwächse gehen fast immer auf Kosten der Biodiversität. Aber es wirkt sich unterschiedlich aus, ob und wo die Landwirtschaft expandiert oder intensiviert wird. Bei gleicher Menge an zusätzlicher Nahrungsmittelproduktion zeigen Ergebnisse einer Studie (Zabel et al. 2019), dass eine Expansion der landwirtschaftlichen Flächen die Biodiversität um ein Vielfaches stärker gefährdet als eine Intensivierung, da sie vor allem jene Regionen trifft, in denen die Artenvielfalt weltweit am höchsten ist, etwa in Zentral- und Südamerika. Eine Intensivierung der Landwirtschaft auf bereits bestehenden Anbauflächen wird dagegen besonders die Artenvielfalt in Afrika südlich der Sahara gefährden.

Biodiversität in der Landwirtschaft

Als Entsprechung zur Biodiversität wurde der Begriff "Agrobiodiversität" geprägt. Das Wissen über das entsprechende natürliche Potential ist noch gering. Von Hunderttausenden von Pflanzenarten hat der Mensch bisher kaum einige Tausend genutzt, einige Hundert kultiviert, und ein knappes Dutzend dient als Haupternährungsquelle der gegenwärtigen Menschheit und deren Nutztiere. Wie bei der biologischen Vielfalt allgemein, weisen die Länder des Südens (insbesondere die mit Tropenwäldern) auch bei den Kultur- und Nutzpflanzen eine außerordentliche Formenvielfalt auf.

Weltweit betreffen die Gefährdung und der Verlust von Biodiversität der Kulturpflanzen und Nutztiere sowohl das Artenspektrum als auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Im Zuge der Intensivierung der Landwirtschaft sind viele Kulturpflanzenarten und -sorten sowie Nutztierrassen verschwunden oder auf Restbestände zurückgegangen. Diese Arten, Sorten und Rassen weisen wichtige regionaltypische Anpassungen auf, deren Verlust in mehrfacher Hinsicht zu Lasten der Umwelt und des verfügbaren Genpotentials für Züchtungen geht. Insofern sind wesentliche Grundlage für die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung gefährdet. Überdies ist Pflanzenvielfalt der Rohstoff der Biotechnologie-Wirtschaft. Nach Schätzungen der FAO (1998) stirbt weltweit jede Woche eine Nutztierrasse aus. Etwa 30 % aller Nutztiere seien bedroht.

In Asien ist in den letzten Jahrzehnten mit der Ausbreitung der Hybridsorten und der stärkeren Kommerzialisierung des Reisanbaus die Zahl der angebauten Reisvarietäten von einigen Tausend auf wenige Dutzend zurückgegangen. In Thailand sank die Zahl von 16.000 auf nur 37, und die Hälfte der Reisflächen wird nur von zwei Varietäten bestellt.

In China wurden im Jahr 1949 noch 10.000 lokale Weizensorten angebaut, heute sind es weniger als 1.000, die in großem Umfang genutzt werden. Mit anderen Worten: 90 Prozent der dortigen Weizensorten wurden innerhalb eines halben Jahrhunderts aus dem Anbau verdrängt.

Die Gründe für den Verlust von Artenvielfalt in der Landwirtschaft sind vielfältig und komplex. In erster Linie hat die moderne Landwirtschaft selbst durch Intensivierung, Rationalisierung, Spezialisierung und Konzentration der Produktion maßgeblich zur Verringerung der landwirtschaftlichen Vielfalt beigetragen. Auch ist die Verarmung der Biodiversität innerhalb von Arten vor dem Hintergrund der Globalisierung und Standardisierung der Nahrungsmittel zu sehen. Denn die Vermarktung einer einzigen Sorte erleichtert die Ernte und macht das Verpacken sowie die Verarbeitung und den Transport kostengünstiger. Außerdem entspricht ein einheitliches Produkt gleichermaßen den Wünschen der Supermärkte wie der Verbraucher. Auch die Einführung gentechnisch veränderter Sorten, fehlende ökonomische Anreize für den Biodiversitätserhalt sowie die zunehmende Privatisierung genetischer Ressourcen sind wichtige Gründe für den Arten- und Sortenschwund.

Seit Langem ist bekannt, dass eine geringe intraspezifische Vielfalt die Anfälligkeit für Veränderungen der Umwelt (z. B. Witterungsschwankungen) und für Schädlinge und Krankheiten erhöht. Das klassische Beispiel dafür ist die Kartoffel: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in Irland Kartoffeln als ertragsreiches Grundnahrungsmittel auch für Arme eingeführt, insbesondere die anspruchslose Sorte Irish Lumper. Beim Auftreten der Phytophthora infestans in den 1840er Jahren kam es zu einer katatstrophalen Hungersnot, da die genetisch identischen Kartoffeln zu einem ungenießbaren Schleim faulten. Die uralte Praxis des Kartoffelanbaus in den Anden unterscheidet sich davon grundlegend. Die Bauern erhalten die genetische Vielfalt der Kartoffeln, indem sie viele verschiedene Kulturvarietäten neben wilden Sorten anbauen. 20 oder mehr Varietäten werden auf einem feld in "Mischkultur" angepflanzt. Neben dem Erhalt einer größtmöglichen Vielfalt sorgt diese Strategie auch für zuverlässige Ernten, da die verschiedenen Sorten unterschiedlich auf Umweltbedingungen (z. B. zu feucht / zu trocken) reagieren, der Gesamtertrag aber gesichert bleibt.

Negative Erfahrungen mit zu starker genetischer Vereinheitlichung sind nicht selten. In den USA führte 1979 der Pilzbefall einer einzigen, weit verbreiteten Maissorte zu einem Milliardenverlust. Seit den 1980er Jahren mussten in Kalifornien alle - bis dahin als resistent geltenden - Weinreben ersetzt werden, da ein neuer Stamm der Reblaus sich ausgebreitet hatte. Derzeit bedrohen gleich zwei Krankheiten den Bananenanbau. Denn obwohl es ca. 1.000 Bananenvarietäten gibt, gehören etwa 47 % der weltweit angebauten und 95 % der international gehandelten Frucht zur samenlosen Cavendish-Sorte.

Auch in der Tierhaltung ist die genetische Erosion bereits weit fortgeschritten, was an der raschen Entwicklung einer Reihe von molekularen und reproduktiven Technologien liegt. Selektive Züchtung in Kombination mit assistierten Reproduktionstechnologien (ARTs) wie künstliche Befruchtung und Embryotransfer führte zu immer spezialisiertren Sorten. Als "genetische Gewinne" zählen z. B. eine schnelle Wachstumsrate, eine gute Futterverwertung, frühes Eintreten der Geschlechtsreife, große Zahl der Nachkommen, gute Erträge und Qualität von Fleisch, Milch oder Eiern.

Abnehmende Biodiversität bei 10 Gemüsesorten in den USA (1903-1983)

Abnehmende Biodiversität bei 10 Gemüsesorten in den USA (1903-1983)

Eine Studie, die 1983 von der Rural Advancement Foundation International durchgeführt wurde, verglich verschiedene Listen von Saatgutsorten, die vom USDA geführt wurden. Es handelte sich zum einen um eine Sortenliste von Pflanzen, u. a. Gemüsearten, die 1903 von Handelshäusern in den USA vertrieben wurden, zum anderen um eine Liste von Sorten der gleichen Pflanzenarten, die 1983 im National Seed Storage Laboratory (heute National Center for Genetic Resources Preservation) gelagert waren. Die Studie, die insgesamt 66 Pflanzen umfasste ergab, dass 93 % der Sorten verschwunden waren.

Quelle: Good Food World

Die Erhaltung und Pflege tiergenetischer Ressourcen in der Landwirtschaft kann durch die Lebenderhaltung, die Kryokonservierung von Sperma und Embryonen oder mit Hilfe von DNA-Banken erfolgen.

Ein wesentlicher Beitrag zur Erhaltung der Pflanzenvielfalt stellt die Erhaltung "on farm" (in situ) dar. Die Erhaltung von genetischem Material in Genbanken (ex situ) stellt lediglich eine zusätzliche Möglichkeit dar. Von Nichtregierungsorganisationen wird als weitere Strategie die Erhaltung und Stärkung der Rechte von Bauern und bäuerlichen Gemeinschaften verfolgt, Saatgut aus der eigenen Ernte zurückzubehalten, weiterzuverwenden, zu züchten und zu vermarkten. Patentmonopole auf Saatgut hätten nicht nur zu Uniformität im Angebot der industriellen Pflanzenzüchter geführt, sondern auch zu Monokulturen auf den Feldern.

Eine neuere Studie belegt die Förderung der Biodiversität in Agrarlandschaften durch kleine Felder und vielen Arten von Nutzpflanzen. Vor allem eine Verkleinerung der Ackerflächen unter sechs Hektar führt zu einer stark erhöhten Artenvielfalt, weil auf diese Weise viele Insekten-, Vogel- und Pflanzenarten unterschiedliche Ressourcen nutzen können. Auch fördert eine Landschaft mit vielen Rändern die Lebensraum-Vernetzung. (Sirami 2019)

Weitere Informationen:

Pfeil nach linksBiodieselHausIndexBiodiversitätskonvention (CBD)Pfeil nach rechts