Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Biodiversitätswandel in Wald und Forst (Mitteleuropa)

Mitteleuropa ist Waldland. Außerhalb der Alpen stellen Wälder fast überall die potentielle natürliche Vegetation dar. Nicht-Waldökosysteme sind natürlicherweise entweder auf azonale Sonderstandorte beschränkt (z.B. Hochmoore, Flussauen, Küstenmarschen, Felsen und Blockhalden) oder sie sind die Folgen menschlicher Landnutzung. Seit Jahrtausenden sind die Wälder durch den Landwirtschaft betreibenden Menschen mit beeinflusst (Waldweide).

Heute bedecken Wälder nur noch ca. 30 % der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt aber auch Regionen, in denen der Mensch das Wachstum von Wäldern erst möglich gemacht hat, vor allem durch das Trockenlegen von Mooren in Norddeutschland und im Alpenvorland.

Wälder stellen komplexe terrestrische Ökosysteme dar. Intensive biotische Interaktionen erklären die Bereitstellung vielfältiger biotisch vermittelter ökologischer Nischen. Global gesehen entfällt ein großer Teil der biologischen Vielfalt auf Wälder. Selbst in den vergleichsweise strukturarmen Waldökosystemen unserer Breiten werden hohe Artenzahlen erreicht, z. B. 930 Käferarten in Eichenwäldern des norddeutschen Tieflandes.

Die heutigen Eigenschaften der mitteleuropäischen Wälder sind nur vor ihrer wechselhaften historischen Entwicklung mit Zeitskalen von mehreren hunderttausend Jahren zu verstehen. Im Pleistozän war der überwiegende Teil des heutigen Deutschlands während der vorherrschenden Kaltzeiten (Glaziale) von periglazialer Steppen-Tundren-Vegetation bedeckt. Sie wurden unterbrochen von relativ kurzen Warmzeiten (Interglaziale). In einer solchen Warmzeit leben wir gegenwärtig. Mit jeder Interglazialzeit kamen weniger Baumarten aus ihren südlichen Rückzugsräumen nach Mitteleuropa zurück, sodass dessen Baumflora mit jeder Kaltzeit an Vielfalt verlor. Und möglicherweise haben viele Baumarten auch nach 11.000 Jahren mit mildem und warmem Klima noch nicht ihr klimatisch mögliches Ausbreitungsgebiet ausgeschöpft.

Seit der Ausbreitung des Ackerbaus in Mitteleuropa vor ca. 700 Jahren beeinflusst der Mensch zunehmend die Wälder. Schon in der Steinzeit wurden lokal große Flächen entwaldet, weil die extrem ineffiziente damalige Landwirtschaft einen hohen Flächenbedarf hatte. In der Bronzezeit stieg der Bedarf nach Holz zusätzlich durch die Erzgewinnung und Verhüttung und seit Beginn der Eisenzeit (ca. 800 v. Chr.) durch weitere Industrien, z.B. die Salzproduktion oder später die Glasherstellung. Waldweide und die Nutzung von Laub- und Nadelstreu als Strohersatz im Stall und für die Bodenverbesserung auf Äckern entzogen den Wäldern zusätzlich Nährstoffe. Wahrscheinlich war der überwiegende Teil Deutschlands seit dem 14. Jahrhundert entwaldet und besaß auf weiten Flächen einen parkähnlichen Charakter. In dieser vom Menschen geprägten Kulturlandschaft mit ihrer differenzierten Flächennutzung (Streu- und Harznutzung, Plaggenwirtschaft, Brandwirtschaft, vielfältige Formen der Nieder- und Mittelwaldnutzungen, Hutewälder u. w.) hat eine Ausweitung des vorhandenen Spektrums der Standorte und Ökosystemtypen stattgefunden. Waldökosysteme mit für Hochwald typischen Ökosystemeigenschaften waren bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts in dicht besiedelten Gegenden selten. Auch die natürlichen Wälder vor dem Eingriff des Menschen waren aufgrund vielfältiger Störungen, wie z.B. Brände und Überschwemmungen, unter Umständen offener als viele unserer heutigen Nutzwälder. Vor allem im 19.Jahrhundert erfolgte eine massive Überführung der Nieder- und Mittelwälder in die heute vorherrschenden Hochwälder. Auch Reut- und Weidfelder, die beispielsweise im Schwarzwald verbreitet vorkamen, waren schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch in unbedeutenden Resten vorhanden. Dieser historische Biodiversitätswandel wird künftig weitere Änderungen durch den Klimawandel erfahren. (Mosbrugger et al., 2012)

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