Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

bäuerliche Landwirtschaft

Agrarsoziologischer und agrarpolitischer Begriff, der darauf abzielt, dass die Grundbesitzverhältnisse Auswirkungen auf die ländliche Sozialstruktur, auf die Agrarökonomie und auf die Ökologie haben. Vielfach wird der bäuerliche Familienbetrieb als Gegenmodell zur industriellen Landwirtschaft beschrieben. Nur ein Landwirt, der eigenes Land bewirtschaftet, ist demnach ein Bauer. Einer solchen „bäuerlichen Landwirtschaft“ werden im Vergleich zur „Agrarfabrik“ eine Reihe von positiven Eigenschaften zugeschrieben, darunter vor allem ökologische und soziale Nachhaltigkeit, die auf die Verbindung von Eigentum und Arbeit zurückgeführt werden. Der Agrarindustrie werden dagegen extreme Arbeitsteilung, Arbeitsplatzreduzierung und kapitalintensive Rationalisierung zugeschrieben. Dass die Industrialisierung der Landwirtschaft starke Produktivitätserfolge vorweisen kann und sich die globale Agrarproduktion deutlich gesteigert hat, wird dabei nicht bestritten. Die ökologischen und sozialen Kosten dafür seien aber zu hoch.

Kritiker dieser Sichtweise betonen dagegen, dass nicht automatisch davon ausgegangen werden könne, dass „bäuerliche Landwirtschaft“ ökologisch oder sozial nachhaltiger sei, als andere Organisationsformen der Landwirtschaft.

Bäuerliche Landwirtschaft

Der Begriff »bäuerliche Landwirtschaft« nimmt Bezug auf die landwirtschaftliche Vergangenheit und assoziiert umgangssprachliche Begriffe wie Bauernhof. Bäuerliche Landwirtschaft war lange Zeit ein Begriff für eine rückwärtsgewandte Wirtschaftsweise, ist jedoch mittlerweile positiv besetzt, vonseiten der Landwirtschaft und ihrer Interessenvertretung genauso wie in der Gesellschaft und Politik (Hiß 2016; Theuvsen et al. 2017, S. 71 f.). »Bäuerlich« oder »Bauer« ist Teil des Namens wichtiger landwirtschaftlicher Interessenverbände (Deutscher Bauernverband, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft). Bäuerliche Landwirtschaft wird in der Regel mit dem bäuerlichen Familienbetrieb gleichgesetzt, der seit Langem ein wichtiges Leitbild der deutschen Agrarpolitik ist (Böhme 2014; Theuvsen et al. 2017, S. 73). Bäuerliche Landwirtschaft wird nicht in erster Linie an der Betriebsgröße festgemacht. Vielmehr gibt es verschiedene, komplexe Annäherungen, wie die folgenden exemplarischen Beschreibungen bäuerlicher Landwirtschaft zeigen:

  • »Bäuerlichkeit – Bäuerliches Leben, Denken und Wirtschaften – bedeutet Verbundenheit mit Hof, Natur und Heimat, Verantwortung für Tiere, Boden und Pflanzen, weitgehend selbstverantwortliches Arbeiten, Denken in Generationen und Kreisläufen, Arbeiten im Zusammenhang mit der Familie oder anderen engen Sozialbeziehungen. Ziel bäuerlichen Wirtschaftens ist natürlich ein möglichst gutes Einkommen, aber stets vor dem Hintergrund des Erhalts von Arbeitsplatz und Hof – und nicht die kurzfristige Maximalrendite von Kapital ohne Rücksichten auf Inhalt und Standort der Produktion« (AbL 2015).
  • »Soziale, ökologische, tierschützerische, ökonomische, globale und generative Verträglichkeit sind die Säulen einer bäuerlichen Landwirtschaft« (AgrarBündnis 2001).
  • »Bäuerlichkeit (ist) als Wirtschafts- und Lebensstil zu verstehen, der unter historischen Bedingungen entwickelt wurde und einen Ausgleich zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen und Anforderungen auf den Höfen organisiert hat« (Thomas 2015)
  • »Eine bäuerliche Landwirtschaft ist eine auf zukünftige Generationen ausgerichtete Erzeugung von Mitteln zum Leben, welche eine selbständige, eigenverantwortliche und ressourcenschonende Wirtschaftsweise pflegt, die Umwelt schützt, die natürliche Artenvielfalt erhält und Mitgeschöpfe und Schöpfung respektiert« (KLB, 2017).
  • »Bauer sein heißt, einen erfüllenden Beruf in selbständiger Entscheidung und Verantwortung gegenüber Mensch, Tier und Natur auszuüben – für die Erzeugung von Lebensmitteln und Energie, in der Verpflichtung für Familie, Eigentum und ländliche Gemeinschaft. […] Wir sind […] unternehmerisch im Denken, bäuerlich im Herzen, unserem Eigentum verpflichtet und verwurzelt in der Region« (DBV 2011).

Die verschiedenen Beschreibungen weisen eine deutliche Verknüpfung von bäuerlicher Landwirtschaft mit den Leitbildern Nachhaltigkeit und multifunktionale Landwirtschaft auf (Theuvsen et al. 2017, S. 73; Thomas 2015). Außerdem ist die regionale Verankerung ein weiteres Merkmal, das vielfach mit bäuerlicher Landwirtschaft in Verbindung gebracht wird (Theuvsen et al. 2017, S. 74).

Schließlich stellt der Begriff bäuerliche Landwirtschaft eine Verbindung mit der Vergangenheit als etwas Erhaltenswertem her. Die heutigen Vorstellungen sind aber nicht mit der bäuerlichen Landwirtschaft der Vergangenheit gleichzusetzen. Sie war eine Lebens- und Wirtschaftsform, die überwiegend auf den vor Ort vorhandenen sozialen und natürlichen Ressourcen basierte und vorrangig der Versorgung der Sozialgemeinschaft des Hofes mit Lebensmitteln diente, wobei der Verkauf von Überschüssen am Markt zweitrangig war (Hiß 2017). Eine solche traditionelle Landwirtschaft existiert nur noch in der Form der Semisubsistenzbetriebe in einigen ost- und südeuropäischen EU-Ländern, insbesondere in Rumänien (Kap. 2.3.1). In Deutschland und den anderen west- und nordeuropäischen Ländern ist diese traditionelle bäuerliche Landwirtschaft faktisch nicht mehr vorhanden.

Für den bäuerlichen Familienbetrieb gibt es ebenfalls keine allgemein anerkannte Definition, er ist kein Begriff des deutschen und europäischen Agrarrechts (Böhme 2013, 2014). Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) hat 2014 das Internationale Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe begangen (FAO 2014). In diesem Kontext hat die FAO über 36 verschiedene Definitionen von bäuerlichem Familienbetrieb aus Wissenschafts-, Regierungs- und NGO-Kreisen zusammengetragen und ausgewertet. Der am häufigsten genannte Punkt war, dass die Familie den landwirtschaftlichen Betrieb auf eigene Rechnung führt und die Arbeit auf dem Betrieb hauptsächlich von Familienangehörigen verrichtet wird. Daneben nehmen die ausgewerteten Definitionen auf die Größe des Betriebs, den beschränkten Zugang zu Ressourcen wie Land und Kapital sowie die Landwirtschaft als Haupteinkommensquelle Bezug (Garner/de la O Campos 2014; Theuvsen et al. 2017, S. 74). Die Ergebnisse aus verschiedenen globalen Abschätzungen zeigen, dass weltweit landwirtschaftliche Familienbetriebe (»family farms«) 90 bis 98 % aller landwirtschaftlichen Betriebe ausmachen und diese Familienbetriebe 53 bis 77 % der gesamten landwirtschaftlichen Fläche bewirtschaften (Graub et al. 2016; Lowder et al. 2016).

Die Abgrenzung von »bäuerlich« ist im Einzelfall schwierig, da verschiedene Formen von Familienbetrieben bzw. -unternehmen in der deutschen Landwirtschaft bestehen (Tab. 2.7). Viele Betrachter werden vermutlich die Mehrzahl der Familienbetriebe, insbesondere in Form der Einzelunternehmen, und einen großen Teil der Mehrfamilienkooperationen als bäuerlich einstufen. Uneinheitlicher wird das Meinungsbild im Hinblick auf landwirtschaftliche Familienunternehmen ausfallen, die häufig aus der Weiterentwicklung von Familienbetrieben entstanden sind, sowie hinsichtlich der Familienholdings, bei denen der Bezug zum Familienbetrieb oft nur noch eine ferne Tradition und außerlandwirtschaftliches Kapital für den Aufbau entscheidend ist (Böhme 2014; Theuvsen et al. 2017, S. 75). [...]

In der Bevölkerung wird bäuerliche Landwirtschaft assoziiert mit Familienbetrieben, die klein sind, mit wenigen Maschinen arbeiten und vergleichsweise mehr Kontakt zu ihren Tieren haben, sowie mit Direktvermarktung. Die Wahrnehmung in der Bevölkerung ist mit nostalgischen bzw. romantischen Vorstellungen verbunden, wobei viele die bäuerliche Landwirtschaft im Verschwinden sehen (Zander et al. 2013). Der bäuerliche Familienbetrieb entspricht in der Wahrnehmung der Bevölkerung eher einem Ideal- denn einem Realtypus. Im Begriff bäuerliche Landwirtschaft schlagen sich gesellschaftliche Vorstellungen nieder von regional verankerten, familiengeführten Betrieben begrenzter Größe, die nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit, jedoch nicht primär unter finanziellen Aspekten geführt werden, mit dem Ziel, sie zu gegebener Zeit an die nachfolgende Generation weiterzugeben (Theuvsen et al. 2017, S. 76 f.)

Quelle: TAB Arbeitsbericht Nr. 188, 2021

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