Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Klimaszenario (Westeuropa) und Landwirtschaft

Die folgenden Aussagen des Bundesumweltministeriums über die Entwicklung des europäischen Klimas aufgrund der anthropogenen Einflüsse beruhen im wesentlichen auf den Ergebnissen der am Hamburger Max-Planck-Institut und am Hadley Centre in Bracknell, England, erstellten Klimaprognosen mit gekoppelten Ozean-Atmosphäre-Zirkulationsmodellen. Beide Szenarienrechnungen gehen von einer jährlichen Zunahme der CO2-Äquivalenz-Konzentrationen von 1 Prozent aus.

Temperatur:

Für Westeuropa wird eine Temperaturzunahme von ca. 0,2 °C pro Dekade prognostiziert. Gegenüber der heutigen Mitteltemperatur werden damit im Jahre 2030 die Temperaturmittelwerte um etwa 0,75 °C gestiegen sein. Es wird damit gerechnet, daß die Temperaturerhöhung in östlicher und nördlicher Richtung zunimmt und für Osteuropa +0,35 °C pro Dekade betragen wird. Die winterlichen Perioden extremer Kälte werden zurückgehen und die heißen Sommer häufiger werden. Die natürliche Variabilität der jährlichen Oberflächenmitteltemperatur von etwa 1 °C kann die anthropogene Erwärmung für Westeuropa etwa für 1 - 2 Dekaden verdecken.

Niederschläge:

In Nord- und Mitteleuropa werden die winterlichen Niederschläge um etwa 20 Prozent (max. 40 Prozent) zunehmen. Auf der Iberischen Halbinsel wird mit einem Niederschlagsrückgang gerechnet. Die Sommerniederschläge werden nach den gerechneten Modellen für die Gesamtregion zwischen Mittelmeer und Schottland abnehmen.

Insgesamt ist mit einer Zunahme konvektiver Niederschläge (Schauer) zu rechnen, deren stärkere Intensität zu einer Vergrößerung der Niederschlagsmenge bei gleichzeitiger Abnahme der "Tage mit Niederschlag" führen kann. Die natürliche Variabilität der Niederschläge beträgt für Westeuropa etwa 30 - 40 Prozent (max. 60 Prozent), so daß erst nach einigen Dekaden klimaänderungsbedingte Trendverschiebungen signifikant nachweisbar sind.

Bodenfeuchte:

Für das Winterhalbjahr wird für Westeuropa keine wesentliche Veränderung der Bodenfeuchte vorhergesagt. Nur auf der Iberischen Halbinsel muß wahrscheinlich mit zunehmender Bodenaustrocknung gerechnet werden. Im Sommer wird besonders in Südeuropa eine fortschreitende Austrocknung der Böden eintreten, wobei die nördliche Begrenzung dieser Austrocknungszone noch umstritten ist.

Landwirtschaft:

Steigende Temperaturen verlängern die Vegetationsperiode, so z.B. in Europa um schätzungsweise zehn Tage bei einem Temperaturanstieg um 1 °C. Soweit Licht, Wasser und Nährstoffe in entsprechender Menge vorhanden sind, kann sich dadurch die Produktivität eines Standortes erhöhen. Zugleich erweitern sich die Anbaumöglichkeiten besonde7rs wärmeliebender Arten und Sorten. Pflanzenspezifische Minimaltemperaturen für die Keimung, die Blütenbildung oder andere Stadien innerhalb der Pflanzenentwicklung werden auch in höheren Breiten eher erreicht bzw. überschritten. Pro Grad Celsius Temperaturerhöhung verlagern sich die Anbaugebiete um 200 bis 300 km polwärts bzw. im Bergland um 200 Meter höher. Weiter im Norden liegen jedoch häufig schlechter entwickelte und weniger fruchtbare Böden. Zudem schränkt die prognostizierte Zunahme extremer Wetterereignisse den erweiterten Spielraum möglicherweise ein, da häufiger Früh- und Spätfröste und andere Wetterextreme auftreten werden.

Durch einen Temperaturanstieg werden außerdem die Anbaumöglichkeiten in niederen Breiten zunehmend eingeschränkt oder zumindest die Erträge deutlich reduziert, da hier vielfach das pflanzenspezifische Temperaturoptimum bereits erreicht oder überschritten ist.
Die Situation höheren Winter- und geringeren Sommerniederschlags trifft auf die nur sehr mangelhafte Fähigkeit von Böden, fehlende Sommerniederschläge durch Speicherung der erhöhten Winterniederschläge auszugleichen. Selbst dort, wo die Niederschläge auch im Sommer ansteigen, wird durch die gleichzeitige Temperaturerhöhung die Verdunstung soweit zunehmen, daß die Niederschlagszunahme meist überkompensiert wird und die Bodenfeuchte abnimmt. Die Nährstoffaufnahme würde dadurch eingeschränkt. Möglicherweise müssen Standorte mit leichten Böden, die heute schon unter Wassermangel leiden, ganz aus der landwirtschaftlichen Produktion genommen werden. Der Bewässerungsfeldbau wird als Folge bis in die gemäßigten Breiten hinein massiv zunehmen.

Für die Auswirkungen der zu erwartenden Klimaänderungen auf die Vegetation spielen neben direkten Wirkungen veränderter physikalischer Klimaparameter auch die indirekten Wirkungen einer veränderten stofflichen Zusammensetzung der Atmosphäre mit den daraus resultierenden Änderungen im Stoffaustausch zwischen Atmosphäre und Biosphäre eine mitentscheidende Rolle.
Klimaänderungen führen zu einem Selektionsdruck, dessen Resultat im Rahmen von Anpassungsprozessen wegen der vielfältigen Wechselwirkungen nicht vorhersagbar ist. Sicher ist aber, daß bei diesem Anpassungsprozeß die Stabilität des Ökosystemgefüges durch das Auftreten neuer konkurrierender Arten, neuer oder vermehrt auftretender Schädlinge, neuer oder aggressiverer Krankheitserreger, erhöhter Feuergefahr und Bodenerosion, beeinträchtigt werden kann. Mit zunehmendem Temperaturanstieg wird sich auch das Verbreitungsgebiet tropischer Krankheitserreger polwärts ausdehnen und die Zahl der bekannten Schädlinge in vielen Regionen zunehmen.

Von den direkten Wirkungen der stofflich veränderten Atmosphäre stehen die durch den veränderten CO2-Gehalt hervorgerufenen im Vordergrund.

Aufgrund seines hohen Anteils in der Atmosphäre und wegen seiner Schlüsselrolle in der pflanzlichen Photosynthese kommt dem CO2 eine besondere Bedeutung zu. In den vergangenen ca. 130 - 150 Jahren hat der CO2-Gehalt stetig von 280 auf 355 ppm zugenommen und steigt weiter an.

Da nahezu die gesamte Trockenmasse von Pflanzen aus der Reduktion des atmosphärischen CO2 zu Kohlehydraten während der Photosynthese stammt und die heutige, mittlere CO2-Konzentration der Troposphäre bei sonst optimalen Bedingungen limitierend auf die Photosynthese - zumindest von C3-Pflanzen wirkt - wird sich ein unmittelbarer Einfluß dieses CO2-Konzentrationsanstiegs auf das Pflanzenwachstum bzw. auf terrestrische Ökosysteme insgesamt bemerkbar machen.

Der oftmals vermutete "Düngungseffekt" einer erhöhten CO2-Konzentration ist umstritten. Gegenwärtig werden lediglich 10 Prozent der Erhöhung landwirtschaftlicher Pflanzenerträge auf diesen, nur C3-Pflanzen betreffenden Effekt zurückgeführt. Eine deutliche Steigerung wird teilweise erwartet.

Nahezu unbekannt ist die Reaktion mehrjähriger Kulturen (z.B. Dauergrünlandarten, Winterannuelle) auf hohe CO2-Gehalte der Atmosphäre. Die mehrfach nachgewiesene Stärke- bzw. Zuckerakkumulation im Pflanzengewebe könnte sich z. B. auf die Reservestoffgehalte in den Speicherorganen (Wurzeln, Stoppeln etc. auswirken und die Widerstandsfähigkeit gegen Stressperioden im Winter bzw. den Wiederaustrieb im Frühjahr verändern.

Erste Hinweise deuten zudem auf erhebliche Änderungen in der chemischen Zusammensetzung von Pflanzen (z. B. veränderte C/N-Verhältnisse) durch das hohe CO2-Angebot hin. Inwieweit dies neben einer Minderung der Qualität des Ernteguts bei Kulturpflanzen Konsequenzen hat für die Aktivität bzw. den Befall mit Fraßinsekten, für die Bodenlebewesen (aufgrund geänderter Zusammensetzung von Laubstreu und anderen Pflanzenresten) sowie für die Nährstoffumsätze im allgemeinen, ist noch wenig bekannt.

Auch der mit steigenden CO2-Konzentrationen einhergehende Anstieg der mittleren globalen Temperaturen wird zu Wechselwirkungen dieser beiden Wachtumsfaktoren führen.

Die Auswirkungen einer globalen Klimaveränderung auf die Trockenmassebildung von landwirtschaftlich genutzten Pflanzen sowie auf Wildpflanzen und damit auf die Dynamik der natürlichen Vegetation und auf die Rückkopplungseffekte zwischen der Kohlenstoffbilanz von Ökosystemen und der CO2-Konzentration der Atmosphäre können jedoch mit dem heutigen Kenntnisstand noch nicht quantitativ bewertet werden. Auch sind die Kombinationswirkungen veränderter Anteile von Luft- oder Strahlungskomponenten sowie qualitativ veränderten Klimaelementen noch unzureichend bekannt.

Es muß aber davon ausgegangen werden, daß die Geschwindigkeit der Klimaveränderung die Anpassungsfähigkeit landwirtschaftlicher und natürlicher Ökosysteme überfordert. Andererseits hält es das Bundeslandwirtschaftsministerium für möglich, die mitteleuropäische Landwirtschaft rein technisch an veränderte Klimabedingungen anzupassen, unklar ist jedoch, wie die damit verbundenen Anpassungsprobleme ökologisch, ökonomisch, strukturell, sozial und handelspolitisch zu bewältigen sind.

Lokale und regionale Ausweich- bzw. Anpassungsmöglichkeiten auf Klimaänderungen (nach Sauerbeck 1991):

Global gesehen wird bei allen Vorbehalten hinsichtlich aktueller Ertragsmodelle mit sinkenden Erträgen in den niederen Breiten gerechnet, mit regionalen Ertragszuwächsen in den mittleren und höheren Breiten. Insgesamt muß aber mit klimabedingten Ertragsverlusten in der Landwirtschaft gerechnet werden.

(s. a. Kohlendioxid, Treibhauseffekt)

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