Hunger
Der Begriff 'Hunger' beschreibt das subjektive Gefühl, das Menschen nach einer gewissen Zeit ohne Nahrung empfinden. Das Wort wird meist mit den Begriffen Nahrungsmangel oder chronisches Kaloriendefizit gleichgesetzt. Die biologische Funktion des Hungerreizes besteht darin, die ausreichende Versorgung des Organismus mit Nährstoffen und Energie sicherzustellen. Reguliert wird das Hungergefühl unter anderem durch Neurotransmitter, die im Hypothalamus produziert werden.
Bei Hunger handelt es sich um ein physisches, soziales, gesellschaftspolitisches, geschichtswissenschaftliches, psychologisches aber auch wirtschaftliches Phänomen, das je nach Betrachtungsweise unterschiedlich dargestellt werden kann.
Nach der Definition der Vereinten Nationen hungert ein Mensch, wenn er weniger zu essen hat, als er täglich benötigt, um sein eigenes Körpergewicht zu halten und leichte Arbeit verrichten zu können.
Fachleute unterscheiden drei Arten von Hunger: akuten, chronischen und verborgenen Hunger.
Akuter Hunger (Hungersnot) bezeichnet Unterernährung über einen abgrenzbaren Zeitraum. Es ist die extremste Form von Hunger und tritt häufig in Zusammenhang mit Krisen auf wie Dürren bedingt durch El Niño, Kriege und Katastrophen. Oft trifft er Menschen, die bereits unter chronischem Hunger leiden. Das gilt für knapp acht Prozent aller Hungernden weltweit.
Chronischer Hunger bezeichnet einen Zustand dauerhafter Unterernährung. Der Körper nimmt dabei weniger Nahrung auf, als er braucht. Obwohl die Medien meist über akute Hungerkrisen berichten, ist chronischer Hunger global am weitesten verbreitet. Er tritt meist in Zusammenhang mit Armut auf.
Verborgener Hunger (hidden hunger) ist eine Form des chronischen Hungers. Aufgrund einseitiger Ernährung fehlen wichtige Nährstoffe wie Eisen, Jod, Zink oder Vitamin A. Die Folgen sind auf den ersten Blick nicht unbedingt sichtbar, langfristig führt der Nährstoffmangel aber zu schweren Krankheiten. Insbesondere Kinder können sich geistig und körperlich nicht richtig entwickeln. Das Todesrisiko ist hoch. Weltweit leiden zwei Milliarden Menschen an chronischem Nährstoffmangel, auch in den Industrieländern. Verborgener Hunger schadet nicht nur den einzelnen Menschen, sondern kann die gesamte Entwicklung in den betroffenen Regionen hemmen, weil die Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Menschen abnehmen.
Die Landwirtschaft erzeugt weltweit derzeit genug Lebensmittel, um zumindest rein rechnerisch alle Menschen zu ernähren. Dennoch muss jeder neunte Mensch auf der Welt jeden Abend hungrig schlafen gehen. Und das, obwohl das Recht eines jeden Menschen auf Nahrung – und zwar in ausreichender Quantität und Qualität – ein Menschenrecht ist, das im internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) völkerrechtlich verbindlich verankert ist. (BMEL)
Ursachen von Hunger
- Armut: Diese strukturelle Ursache von Hunger führt dazu, dass Menschen hungern, weil sie sich nicht genügend Lebensmittel leisten können. Wer unter extremer Armut leidet und über weniger als 1,90 US-Doller am Tag verfügt, hat sehr eingeschränkte Möglichkeiten, für sich und die Familie Nahrung zu kaufen. Daraus entsteht ein Teufelskreis: Wer sich kein nahrhaftes Essen leisten kann, wird körperlich schwächer, hat weniger Chancen, ausreichend Geld zu verdienen. Kleinbäuerliche Produzenten haben dementsprechend weniger Geld für Wasser, Land, und Dünger und können wenig Nahrung selbst anbauen. Oft fehlen fachgerechte Lagermöglichkeiten für Getreide.
Auch Plantagenarbeiter*innen – zum Beispiel im Teesektor – beziehen buchstäblich nur Hungerlöhne und können sich nicht ausreichend Nahrungsmittel kaufen. - Ungleichheit: Die Agenda 2030 ruft dazu auf, niemanden zurückzulassen. Gleichzeitig verschärft sich die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sowohl global als auch innerhalb der einzelnen Länder. Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt fast die Hälfte des Weltvermögens. Die „untere Milliarde“ der Armen und Hungernden hat kaum eine Chance, sich aus ihrer Misere zu befreien. Der Food Security Standard (FSS) soll die Ernährungssicherheit durch mehr Gerechtigkeit weltweit überwachen.
- ungleiche Landverteilung: Land ist sehr ungleich verteilt und wird immer knapper. Dabei sind kleinbäuerliche Produzenten gleich mehrfach benachteiligt: Ihre Anbaufläche ist sehr klein und ihr Risiko, durch sogenanntes Landgrabbing vertrieben zu werden, ist hoch. Häufig kaufen oder pachten Investoren riesige Landflächen – ohne Rücksicht auf die Rechte der lokalen Bevölkerung. Statt für den Anbau von Nahrungsmitteln werden die Flächen dann für andere Zwecke genutzt.
- Ressourcenverschwendung und Klimawandel: Wenn alle Menschen so lebten wie die reichen Länder, wären Ressourcen wie Wasser und Böden bald verbraucht. Die Folgen haben andere zu tragen: Ausbreitung von Wüsten, Bodenerosion, Wasserknappheit und extreme Wetterphänomene als Folge des Klimawandels machen sich vor allem in den Ländern bemerkbar, die ohnehin an Hunger und Armut leiden.
- Klimawandel: Hunger ist häufig eine Folge der immer gravierender werdenden klimatischen Krisen. Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen oder Dürre, zerstören Ernten und damit die Existenzgrundlage von Kleinbauern. Sie gehören ebenfalls zu den strukturellen Ursachen von Hunger und betreffen ganze Regionen von Ländern oder das ganze Land. Schon jetzt gibt es „Klima-Flüchtlinge“ und weltweite Schätzungen zu einem Anstieg von gesundheitsbedingten Todesfällen aufgrund der prognostizierten Erderwärmung.
- Naturkatastrophen: Heuschreckenplagen, Wetterextreme u. w. haben seit jeher zu Hungerkrisen geführt. Dürren oder Überschwemmungen zerstören Ernten. Mit dem Klimawandel nehmen extreme Wetterereignisse zu. Dürren in mehreren aufeinander folgenden Jahren schwächen die Widerstandskraft (Resilienz) der Bevölkerung. Sie müssen ihre Vorräte an Saatgut aufbrauchen oder Vieh schlachten.
- Kriege und Konflikte: Aufgrund bewaffneter Auseinandersetzungen müssen Menschen fliehen und sind daher nicht mehr in der Lage, ihre Felder zu bestellen. Häufig verlieren sie ihren gesamten Besitz. Straßen und landwirtschaftliche Infrastruktur wie Bewässerungsanlagen werden zerstört. Durch die eingeschränkte Sicherheit leidet auch der Handel, Nahrungsmittel werden rar und teuer.
- Ungleichheit zwischen den Geschlechtern: Eine weitere strukturelle Ursache: Frauen sind traditionell diejenigen, die sich um die Ernährung der ganzen Familie kümmern. Aber neben der Zubereitung von Essen für die gesamte Familie, sind sehr viele Frauen im globalen Süden auch mit dem Anbau von Lebensmitteln beschäftigt sowie der Ernte und ihrem Verkauf. Dies verwehrt ihnen häufig den Zugang zu Bildung und anderen einkommensschaffenden Möglichkeiten. Häufig sind Frauen zudem doppelt belastet durch Arbeit und Kindererziehung. Es ist deshalb besonders wichtig, sie in Ernährungs- und Hygienefragen zu beraten und auszubilden. Die Bildung der Frauen und Mädchen ist einer der wichtigsten Schlüssel zur Bekämpfung von Hunger.
- Krankheiten und geringe soziale Fürsorge: Unterernährung ('undernutrition') folgt einer unzureichenden Nahrungsaufnahme oder kann durch Krankheiten wie Diarrhö, die oft bei mangelhaften Gesundheits- und Hygienebedingungen vermehrt auftreten, verursacht werden. Dadurch wird die aufgenommene Nahrung nicht angemessen vom Körper verwertet. Inadäquater Zugang zu Gesundheitsleistungen und eine ungesunde Umwelt kann ein vermehrtes Auftreten von Krankheiten wie Lungenentzündungen und Darmerkrankungen begünstigen. Dadurch wiederum kann akuter Hunger auftreten.
- Ernährungssicherheit: Millionen Familien haben kein oder wenig Zugang zu Lebensmitteln - damit geht Ernährungsmittelunsicherheit einher. Dieser Faktor kommen verstärkt in humanitären Katastrophen wie Kriegen, großer Armut aber auch als Folge von Naturkatastrophen vor.
- dysfunktionale Nahrungsmittelsysteme: Die aktuell bestehenden Nahrungsmittelsysteme bescheren einerseits den reichen Industriestaaten einen Überfluss an Nahrungsmitteln, Ländern des globalen Südens - und dort vor allem den ärmsten Bevölkerungsschichten - steht diese Vielfalt an Nahrungsmitteln ganzjährlich nicht zur Verfügung. Daran hat auch der weltweite Handel Schuld, von welchem vor allem große Unternehmen profitieren: Die Interessen beispielsweise von Kleinbauern, kommen dabei zu kurz.
- verzerrter Welthandel: Die reichen Staaten bestimmen die Regeln der internationalen Politik. Unfaire Handelsabkommen und Subventionen schaffen Marktzugänge und Preisvorteile für Unternehmen aus den Industrienationen. Entwicklungsländer exportieren vor allem Rohstoffe, die Gewinne schöpfen reiche Staaten ab. Ein gerechter Agrarhandel fördert Kleinbauerinnen und Kleinbauern sowie die ländliche Wertschöpfung (Value Chains).
- Spekulation: Wenn Finanzakteure auf Preise von Agrarrohstoffen spekulieren, treiben sie damit die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe. Darunter leiden vor allem Menschen aus armen Ländern, die bis zu 80 Prozent ihres Monatseinkommens für Essen ausgeben müssen. Explodieren die Preise für Nahrung, könnte sich eine Krise wie 2008 wiederholen, als die Zahl der Hungernden weltweit auf über eine Milliarde Menschen stieg. Profitiert haben indes Agrarkonzerne wie Cargill, die Wetten auf steigende Preise abgeschlossen hatten.
- Agrosprit und Biosprit: Auf Millionen von Hektar Land werden Pflanzen für Agro- bzw. Biosprit (s. Biokraftstoff) angebaut – immer weniger Fläche steht für die Produktion von Nahrungsmitteln zur Verfügung. Weltweit wird Ethanol mehrheitlich aus Mais, Agrodiesel vor allem aus Soja- und Palmöl hergestellt. Von Kleinbäuerinnen und -bauern genutzte Agrarflächen werden immer häufiger von privaten Investoren aufgekauft. Nahrung, die auf den Teller gehört, landet im Tank.
- Schlechte Regierungsführung: Die Regierungen in Entwicklungsländern richten ihre Politik meist nicht an den Bedürfnissen der ärmsten Bevölkerung aus. Es fehlen Strategien, die Landwirtschaft im eigenen Land so zu fördern, dass niemand mehr hungern muss. Korruption ist eines der größten Entwicklungshemmnisse, Landraub ein großes Problem.
Die Auflistung basiert auf Darstellungen von Welthungerhilfe, OXFAM und CARE und hat teilweise überlappende Inhalte.
Weitere Informationen:
- Ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung (BMZ)
- Dossier Welternährung (bpb)
- Welthungerhilfe - Startseite
- Care - Startseite
- World Food Programme - Startseite (WFP)
- The State of Food Security and Nutrition in the World 2019. Safeguarding against economic slowdowns and downturns (FAO)
- 10 Gründe für Hunger (OXFAM Deutschland)