Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Streuobstwiesen

Streuobstwiesen sind in Mitteleuropa, Schweiz und Österreich traditionelle, bis in die römische Zeit zurückreichende Formen des Obstanbaus mit starkwüchsigen und großkronigen Bäumen (überwiegend Hochstämme) unterschiedlicher Obstarten auf Grünland, die wie zufällig über die Wiese oder Weide "verstreut" wirken. Gelegentlich sind sie auch auf Ackerland zu finden (Streuobstacker). Dabei kann es durchaus auch zu Block- oder Reihenpflanzungen kommen. Die Bäume unterscheiden sich in der Regel hinsichtlich ihres Alters, der verwendeten Arten und Sorten. Die Bestände werden extensiv bewirtschaftet, d.h. nicht regelmäßig nach Spritz- Dünge- und Schnittplänen behandelt. Als Stockwerkbau spart diese Bewirtschaftungsweise Platz, lässt aber keine intensive Nutzung zu. Häufig finden sich die Bestände an Steillagen, wo kein Ackerbau betrieben werden kann. Von den geschlossenen Blöcken moderner Niederstamm-Dichtpflanzungen unterscheiden sich die Streuobstwiesen alleine schon physiognomisch. Streuobstwiesen liefern Tierprodukte, Heu/Grünfutter sowie Obst (v.a. Äpfel, Birnen, Kirschen, auch Pflaumen und Walnüsse) oder dienen als Weide.

Die Bezeichnung hat nichts mit den für Obstbäume meist viel zu feuchten Streuwiesen zu tun, bei denen der Name mit dem von ihnen gewonnenen Mähgut zusammenhängt, das wegen seiner schlechten Futterqualität nur zur Einstreu verwendet werden konnte.

Streuobstanbau geht bis in die Römische Zeit zurück (Herzog 1998). Früher ergänzte die Obstproduktion die magere Nahrungsmittelversorgung, stellte aber auch die Basis für die kommerzielle Obstproduktion dar, weshalb ökonomische Gründe für die Entwicklung des Systems entscheidend waren (Nerlich et al. 2013).

Im 18. und 19. Jh. wurde die Ausdehnung der Obstbaumbestände durch Landesherren gefördert, so beispielsweise in Württemberg (Weller 1996). Diese erließen Vorschriften über die Zahl der von ansässigen Bürgern auf Allmenden und an Straßenrändern zu pflanzenden und zu pflegenden Obstbäume. Für diese Entwicklung waren natürlich nicht landschaftsästhetische, sondern vorrangig wirtschaftliche Überlegungen ausschlaggebend ("Auf jeden Raum pflanz' einen Baum, und pflege sein, er trägt's Dir ein").

Die Baumpflanzungen wurden allmählich in größerem Umfang auch auf die landbaulich wertvolleren Grundstücke ausgedehnt. Eine besondere Massierung erfolgte im Bereich ehemaliger Weinberge. In der Regel erfolgte die Umstellung nicht direkt zu den Streuobstwiesen, sondern es entstanden Baumäcker mit wechselnden Unterkulturen. Später wurden sie aufgrund ihrer meist beschwerlichen Nutzung durch Hanglage oder schwere Böden in Baumwiesen umgewandelt.

Die Ablösung der Hochstammkulturen begann in den überwiegend kleinbäuerlichen Betrieben Südwestdeutschlands ansatzweise erst in den 30er Jahren. Demgegenüber leiteten einige Spezialbetriebe die Ablösung des Hochstammes durch niedrige Baumformen im Rheinland schon ab 1900, im Magdeburger, Berliner und Dresdner Raum nach dem 1. WK ein. Viele Quellen weisen aber darauf hin, daß noch bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg ein Höhepunkt in der Ausdehnung von Streuobst erreicht wurde, andere Quellen sprechen sogar von einem Maximum kurz nach dem 2. WK.

Als sich diese alten Strukturen als unwirtschaftlich zu erweisen begannen (u.a. aufgrund moderner Obstproduktionsverfahren), kam es ab Mitte der fünfziger Jahre des 20. Jh. zu Rodungen dort, wo moderne Niederstamm-Dichtpflanzungen oder andere Intensivnutzungen möglich waren. Gefördert wurden die Rodungen durch EG-Prämien auf der Grundlage des Generalobstbauplans von 1957. Im Alten Land bei Hamburg waren noch 1965 über die Hälfte der Apfel- und Birnbäume hoch- oder halbstämmige Bäume. Heute sind es nur noch etwa 5 %.
Neben den aus Landesmitteln und EG-Zuschüssen finanzierten Rodungen wurden Flurbereinigungsverfahren zum Anlass genommen, die Beseitigung hochstämmiger Obstwiesen voranzutreiben. Mit gleicher Wirkung folgenreich war auch die rege Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte.

Streuobstflächen in Baden-Württemberg 2017<br>Streuobst ohne Wiesennutzung (NC 481)

Streuobstflächen in Baden-Württemberg 2017
Streuobst ohne Wiesennutzung (NC 481)

Streuobst bezeichnet verstreut in der Landschaft stehende Obstbäume und grenzt die traditionelle Form des Obstbaus von den modernen Niederstammkulturen ab. In Baden-Württemberg gibt es heute auf 116.000 Hektar etwa 9,3 Millionen Streuobstbäume. Damit steht fast jeder zweite Streuobstbaum Deutschlands in Baden-Württemberg. Knapp die Hälfte der Bäume sind Apfelbäume, etwa 25 Prozent sind Kirschbäume. Darauf folgen Zwetschge, Birne, Walnuss und andere Obstbaumarten.

Quelle: MLR

Die Erlöse aus den Streuobstwiesen reichen für ihren Erhalt nicht aus, auch weil die Erträge zu stark schwanken. Beispielsweise wurden 1999 in Baden-Württemberg 600 000 Tonnen Streu- und Gartenobst geerntet, im darauf folgenden Jahr 1,3 Mio. Tonnen, aber 2001 nur 450 000 Tonnen. So wurden mit staatlicher Unterstützung allein in Baden-Württemberg, der wichtigsten Region für den Apfelanbau, 15 700 Hektar Streuobstwiesen gerodet. Inzwischen werden Streuobstwiesen staatlich gefördert, da sie das Landschaftsbild bereichern und einer großen Zahl von Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten.

Merkmale von Streuobstwiesen:

Der stetige Rückgang der Streuobstwiesen führt zu einer Verknappung von aromatischem, säurereichem Mostobst, für das die Fruchtsaftindustrie neuerdings wieder steigendes Interesse zeigt. Für die Verwertungsindustrie insgesamt bildet der Streuobstbau mit Abstand die wichtigste Produktionsgrundlage.

Für den Erhalt der Streuobstwiesen sind aufwendige Pflegemaßnahmen durch die Grundeigentümer unerläßlich. Vereinzelt helfen Naturschutzverbände durch den Verkauf von Obstsäften aus ungespritzten Streuobstanlagen, dieses kulturlandschaftliche Element zu erhalten und leisten damit gleichzeitig eine on farm-Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen.

2021 ist der Streuobstanbau auf Antrag des Vereins Hochstamm Deutschland e.V. mit Unterstützung des NABU, weiterer Verbände und rund 500.000 Unterschriften als Immaterielles Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt worden.

Weitere Informationen:

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