Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Kippenboden

Kippenböden sind junge Böden, die sich innerhalb von Jahrzehnten in Bergbaufolgelandschaften entwickelt haben. Sie entstehen aus verkipptem Abraum. In der deutschen Bodenklassifikation zählen diese Böden zur Klasse der Terrestrischen Rohböden und zur Klasse der Ah/C-Böden. Die verbreiteten Kipp-Regosole sind aus carbonatfreiem bis carbonatarmem Lockermaterial hervorgegangen. International (WRB) sind sie den Regosols zugeordnet, oder wenn stark sandig, den Arenosols.

Entwicklung und Eigenschaften

Im Rheinischen Revier zwischen den Städten Köln, Aachen und Mönchengladbach steht ausreichend kulturfreundliches Bodenmaterial als Deckschicht der geplanten Tagebaue an. Löss, Sand und Kies werden für die Rekultivierungsböden je nach Nutzungsziel als oberste Bodenschicht mit großen Absetzern rippenförmig abgekippt und im Anschluss planiert. Für eine landwirtschaftliche Folgenutzung wird mindestens 2 Meter kalkhaltiger Löss über wasserdurchlässigem Sand und Kies aufgetragen. Dies Flächen werden mehrere Jahre mit tiefwurzelnden Pflanzen wie Luzerne schonend bewirtschaftet, um die Böden mit Humus anzureichern, mit Mikroorganismen zu beleben, allmählich ein Bodengefüge aufzubauen und mit ausreichend Pflanzennährstoffen auszustatten.

Für eine forstliche Folgenutzung wird bereits beim Abräumen der Deckschicht in den Tagebauen des Rheinlandes eine Mischung aus Löss, Sand und Kies entnommen und anschließend verkippt. Das lockere Bodenmaterial kann ausreichend Wasser speichern und wird – häufig ohne weitere Vorbereitung – gleich im Anschluss mit einer Mischung aus geeigneten Laubbaumarten bepflanzt.

Die standortkundliche Gunst des Kippmaterials ist in der Lausitz deutlich geringer als im Rheinischen und auch im Mitteldeutschen Revier. Neben nährstoffarmen, sandigen Kippsubstraten aus Ablagerungen der Eiszeiten werden häufig stark saure Kippsubstrate aus dem tertiärzeitlichen Deckgebirge verkippt. Dies führt zu Schwierigkeiten vor allem bei der Herrichtung für eine landwirtschaftliche Nutzung.

Ein nachhaltiger Erfolg der forstlichen Rekultivierung erfordert zunächst eine zielgerichtete, tiefgründige Melioration der Kippsubstrate. Dazu werden Kalk- und Nährstoffgaben in den Boden eingearbeitet. Da häufig stark saure Kippsubstrate an der Oberfläche vorliegen, sind mitunter sehr hohe Kalkgaben als kohlesaurer Kalk bis 100 cm Tiefe erforderlich. Diese werden mit der Tiefspatenfräse eingearbeitet. Die verabreichten Hauptnährstoffe werden bis 30 cm tief eingefräst.

Frisch aufgetragenes Bodenmaterial für eine landwirtschaftliche oder forstliche Folgenutzung oder auch für eine naturbelassene Besiedlung durch Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen beginnt als Rohboden, als Lockersyrosem mit initialer Humusbildung. Erstes abgestorbenes Pflanzenmaterial oder auch zugeführte organische Düngung wird zerkleinert, zersetzt, humifiziert und mineralisiert. Dabei entstehen Humus und Pflanzennährstoffe, die Voraussetzungen für das Wachstum höherer Pflanzen. Allmählich entwickelt sich ein durchgehender humoser Oberboden, bei landwirtschaftlicher Nutzung eine Ackerkrume. Aus dem rohen Lockersyrosem entsteht bei kalkfreiem Bodenmaterial ein Kipp-Regosol und bei kalkhaltigem Kippmaterial eine Kipp-Pararendzina. Erst im Verlauf von Jahrhunderten entwickeln sich diese Böden durch Entkalkung, Verwitterung und Gefügebildung in unserem atlantischen bis subkontinentalen Klima zu Braunerden, Parabraunerde oder unter Kiefer auf stark saurem Substrat zu Podsolen.

Nutzung

Die chemischen und physikalischen Eigenschaften der verkippten Substrate entscheiden über die Nutzungsmöglichkeiten der daraus entstehenden Böden.

Auf Rekultivierungsflächen mit bindigen (lehmigen) und nährstoffreichen Kipp-Substraten ist eine dauerhafte landwirtschaftliche Folgenutzung möglich. Im Mitteldeutschen und auch im Rheinischen Braunkohlenrevier prägen daher landwirtschaftliche Nutzungsformen die Bergbaufolgelandschaften.

Sandige, wasser- und nährstoffärmere Kipp-Regosole werden nach entsprechender Melioration zumeist forstwirtschaftlich genutzt. In der Lausitz dominiert die forstliche Rekultivierung mit der anspruchslosen Gemeinen Kiefer. Dazu kommen verschiedene Laubbaumarten, insbesondere Trauben- und Stieleiche, Gemeine Birke, Winterlinde oder Roteiche.

Ziel der Rekultivierung zur landwirtschaftlichen Nutzung sollten abwechslungsreich strukturierte Folgelandschaften mit nicht zu groß dimensionierten Ackerflächen sein, die sowohl der landwirtschaftlichen Nutzung als auch der biologischen Vielfalt Rechnung tragen und so einem Rückgang an Insekten, Vögeln und Pflanzen entgegenwirken können.

Auf ausgedehnten Flächen sind in der Bergbaufolgelandschaft der Lausitz und Mitteldeutschlands aber auch in der Ville zwischen Köln und Grevenbroich im Rheinland Areale entstanden, auf denen sich Kippsubstrate kleinflächig stark unterscheiden und die meist trocken und nährstoffarm sind, mitunter auch kohle- und schwefelhaltig oder vernässt. Sie werden nicht oder nur geringfügig melioriert und bleiben meist sich selbst überlassen. Solche Flächen eignen sich kaum für eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung. Sie bieten aber für Pflanzen und Tiere ein Mosaik unterschiedlichster ökologischer Nischen, die in unserer stark genutzten Kulturlandschaft kaum mehr zu finden sind. Sie können für den Arten- und Biotopschutz wertvoll sein.

Verbreitung

Große Flächen mit Kippenböden kommen vor allem in Bergbaufolgelandschaften der Braunkohletagebaue im Bereich der Lausitz, im Mitteldeutschen Revier, im Rheinland sowie in Hessen und Bayern vor. Als typische Rekultivierungsböden der Tagebaue nehmen sie eine Gesamtfläche von ca. 1.550 km² in Deutschland ein. Das entspricht der Gesamtfläche der Städte Berlin, Köln und Chemnitz. Bis zur Beendigung der Braunkohlengewinnung in Deutschland werden diese Flächen noch deutlich zunehmen. Deutlich kleinflächiger sind weitere Kippenböden in ganz Deutschland verbreitet. Sie entstehen überall dort, wo humusarmes Unterbodenmaterial an der Erdoberfläche verkippt wird und erneut einer Bodenentwicklung unterliegt.

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