Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Wachsen oder Weichen

Populäre Formulierung für den ökonomischen Zwang auf die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe, sich der Produktivitätsentwicklung im Agrarsektor anzupassen oder aus der Produktion auszuscheiden. Als Folgen des Prinzips 'Wachsen oder Weichen' sind ein drastischer Verlust von Arbeitsplätzen sowie eine hohe Überproduktion zu sehen, oft verbunden mit erheblichen negativen Umweltwirkungen.

Der Zwang zum Größenwachstum der Betriebe ergibt sich vor allem aus der Verschlechterung der Relation von Kosten und Erlösen.

Die EU-Statistik teilt die Agrarbetriebe in Größenkategorien (Eurostat) ein, die sich nach Flächen bzw. nach dem Standardoutput richten.

Flächenbezogene Klassen:

Standardoutput-bezogene Klassen:

Die Durchschnittsgröße landwirtschaftlicher Betriebe in der EU-28 nahm von 14,4  Hektar pro Betrieb im Jahr 2010 auf 16,1 Hektar 2013 zu, als Folge eines Rückgangs der Zahl der Betriebe um 11,5  % und eines Rückgangs von 0,7  % der landwirtschaftlich genutzten Fläche.

Noch sind sehr kleine und kleine Familienbetriebe nach Anzahl der Höfe und Arbeitskräfte in der Mehrheit. Aber ihre Zahl ist stark rückläufig. Große sowie sehr große Betriebe gewinnen an wirtschaftlicher Bedeutung. Unternehmen mit über 100 ha Fläche machen nur drei Prozent aller EU-Agrarbetriebe aus. Ihre Zahl aber ist in zehn Jahren um 16 Prozent gestiegen, und sie nutzen nun 52 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Wo sich Großbetriebe ausbreiten, geht dies Hand in Hand mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, mit weniger vielfältigen Anbausystemen und -produkten, mit intensiver Landwirtschaft und entsprechender Belastung der Umwelt.

Auf der anderen Seite machen kleine Höfe mit weniger als zehn Hektar und einer zumeist vielfältigen Produktion rund 80 Prozent aller Agrarbetriebe in der EU aus. Doch sie nehmen nur zehn Prozent des verfügbaren Landes in Anspruch.

Ihre Zahl sinkt rasant: 96 Prozent der Betriebe, die zwischen 2003 und 2013 verschwunden sind, verfügten über weniger als zehn Hektar. Die Kleinbetriebe leiden meist an denselben Problemen: Die niedrigen Lebensmittelpreise decken kaum die Produktionskosten. Die Gewinne machen nicht die Produzentinnen und Produzenten, sondern vor allem die Verarbeitungs- und Handelsunternehmen.

Diese Trends gehen auch auf die Liberalisierung der Agrarmärkte und die EU-Agrarpolitik mit ihren Subventionen und Marktregeln zurück. Produkt- und branchenspezifische Zahlungen haben in der Vergangenheit die Spezialisierung der Betriebe gefördert. Seit 2003 erhalten sie von der EU Direktzahlungen pro Hektar, das heißt, Landwirtinnen und Landwirte bekommen umso mehr Geld, desto mehr Land sie besitzen. Wenn diese Beihilfen einen wesentlichen Teil des Einkommens ausmachen, schafft dies einen Anreiz, mehr Land zu erwerben. Etablierte Großbetriebe, die bereits viel Land bewirtschaften, verfügen entsprechend über mehr Kapital und haben damit die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen und weiter Land hinzuzukaufen. Neueinsteiger und Neueinsteigerinnen, die erst noch auf der Suche danach sind, haben solche Vorteile nicht.

So hat sich das Gesicht der EU-Landwirtschaft und der ländlichen Räume seit dem Beginn der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) stark verändert, veranschaulicht in der folgenden Grafik. Heute ernähren weniger und größere Betriebe die Menschen in der EU. Von 2003 bis 2013 ging ein Viertel aller landwirtschaftlichen Betriebe in der Union ein. Diese Entwicklung betraf alle EU-Länder. Die Agrarpolitik unterstützt die Kleinbetriebe zu wenig gegenüber den Großen. Zugleich ist die Hofnachfolge oft schwierig zu sichern.

Anteile der wichtigsten Agrarexporteure am Weltagrarhandel 2018
Zunahme von Großbetrieben in der EU

Quelle: Agraratlas 2019, CC BY 4.0

(s. a. Agrarstruktur, Strukturwandel)

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