Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Urbaner Gartenbau

Urbaner (städtischer) Gartenbau, häufig auch Urban Gardening, ist die meist kleinräumige, gärtnerische Nutzung städtischer Flächen innerhalb von Siedlungsgebieten oder in deren direktem Umfeld zu verstehen. Dazu zählt man beispielsweise Hobbygärtner, die auf dem Balkon Obst, Kräuter oder Gemüse anziehen oder auf freien städtischen Flächen gartenbaulich aktiv werden sowie solche, die in geteilten Gärten gemeinsam mit anderen freiwilligen Helfern die dort angepflanzten Pflanzen pflegen und ernten. Auch das Anpflanzen von Blumen und Pflanzen, die nicht für den Verzehr geeignet ist, ist eine Variante des Gärtnerns in der Stadt. Die nachhaltige Bewirtschaftung der gärtnerischen Kulturen, die umweltschonende Produktion und ein bewusster Konsum der landwirtschaftlichen Erzeugnisse stehen im Vordergrund.

Das Gärtnern in der der Stadt ist ein weltweit immer beliebter werdender Trend, ohne allerdings ein neues Phänomen zu sein. Kleingärten, oder auch Schrebergarten genannt, waren schon immer ein begehrter Rückzugsort für Städter. Zudem gab es im Zuge der von dem Engländer Ebenezer Howard Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Gartenstadtidee, viele Gründungen von neuen Städten, auch in Deutschland, nach klar festgelegten Strukturen, die viel „Grün“ beinhalteten und ländliches mit städtischem Leben verknüpften.

Ein Ziel von „Urban Gardening“ kann die Eigenversorgung mit regionalen Nahrungsmitteln sein, die Nahe am Ort der Produktion auch konsumiert werden. Dabei sollen Ressourcen aber auch Transportkosten und Treibhausgase eingespart werden. Ein weiteres Ziel solcher Tätigkeiten kann es sein, die Vielfalt der Pflanzen, die Biodiversität, zu erhalten und auszubauen. Zu diesem Zweck können beispielsweise alte Sorten angepflanzt werden, die kommerziell (fast) nicht mehr angebaut werden. Darüber hinaus „begrünt“ man die Stadt. Über den rein ästhetischen Mehrwert hinaus, kann das förderlich sein für das Mikroklima und die Luftqualität sowie Lebensraum für Tiere wie bestäubende Insekten bieten.

Je nachdem in welchem Teil der Welt man sich befindet, kann der Beweggrund für die gärtnerische Arbeit in der Stadt ein anderer sein. Während für manche der Aspekt der selbstständigen Nahrungsversorgung im Fokus steht, ist für andere die Freude am Gärtner, das Erleben und Gestalten der Natur und das körperliche Arbeiten im Freien der Hauptantriebsgrund. Teilweise geschieht es auch aus dem Wunsch heraus, genau zu wissen, wie die Nahrungsmittel angebaut wurden.

Diese Sonderform des Gartenbaus gewinnt aufgrund des urbanen Bevölkerungswachstums bei gleichzeitiger Reduktion landwirtschaftlicher Anbauflächen als Folge des Klimawandels oder durch Flucht aus ländlichen Bürgerkriegsregionen in sichere Städte auch für die Armutsbekämpfung an Bedeutung.

Gesellschaftliche Hintergründe des Urban Gardening-Booms
Gesellschaftliche Entwicklungen Merkmale des urbanen Gartenbaus

Globalisierung

  • Bedürfnis nach Nahraumerfahrungen
  • Wunsch nach eigentätiger Ästhetisierung der Nahwelt

Individualisierung und posttraditionale Vergemeinschaftung


  • individuellen Ausdruck in den Produkten finden
  • neue Gemeinschaftsorientierung
  • Nutzung der Gärten wie Allmenden
  • Entstehung von potmodernen Netzwerk-Nachbarschaften

Neoliberalisierung

  • Selber-Machen
  • Entkopplung von konsumgesellschaftlichen Wirkmechanismen

Globale Ressourcen- und Nahrungsmittelkrise



  • starkes ökologisches Bewusstsein
  • Rückbesinnung auf lokale und regionale Ressourcen
  • Entkopplung von den Produktionskette der globalen Nahrungsmittelindustrie

Wertewandel (Erosion vorgegebener Sinn-, Deutungs- und Biographiemuster)

  • Suche nach Identitätsankern, Selbstverwirklichung und Handlungsfähigkeit
  • Bildung neuer urbaner Stil-Gemeinschaften
Beschleunigung des Alltags

  • urbane Gärten als Entschleunigungsinseln
  • Sehnsucht nach Ruhe, Stille, Kontemplation
Entkörperlichung und Digitalisierung der Lebenswelt

  • Sehnsucht nach produktiver Tätigkeit
  • Betonung der Körperlichkeit und Sinnlichkeit des eigenen Tuns
Komplexitätszunahme in politischen Entscheidungsprozessen
  • Wunsch nach Gestaltung, Einfachheit und Klarheit
  • Suche nach neuen Formen gesellschaftlicher Teilhabe
Verwissenschaftlichung des Alltags
  • neues Gesundheitsbewusstsein
voranschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft

  • individuellen Ausdruck in den Produkten finden
  • postmoderne Konsumethiken
  • Rückkehr der Natur in die Stadt

Quelle: Peters 2016 (leicht verändert)

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