Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Digitalisierung der Landwirtschaft

Die Digitalisierung der Landwirtschaft beschreibt die Anwendung neuer Informationstechnologien für die landwirtschaftliche Wertschöpfung. Stichwörter wie „Landwirtschaft 4.0“, „Präzisionslandschaft“ oder „Precision Farming“, „Prescription Farming“, „Smart Farming“, „Digital Farming“, „Agrarinformatik“, „High-Tech-Landwirtschaft“ oder „automatisierte Acker“ werden hierfür oft als Synonyme benutzt. Drei überlappende Teilgebiete sind Charakteristika dieser Entwicklung:

Im Hintergrund der Digitalisierung der Landwirtschaft steht die Optimierung landwirtschaftlicher Prozesse (Steigerung der Erträge und Minimierung von Verbrauch und Verschwendung).

Modellrechnungen der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft zufolge ist das Potential der „Landwirtschaft 4.0“ sehr groß. Im Vergleich zum konventionellen Landbau spart der Landwirt bei einem digitalisierten Acker 12 % der Arbeitszeit und bis zu 10 % des Betriebsmitteleinsatzes sowie 10 % der notwendigen Menge an Pflanzenschutzmittel; der gesamte Energieverbrauch vermindert sich um 20 bis 60 %.

Zurzeit (Stand: Februar 2016) benutzen nur 30 % der deutschen Landwirte automatisierte Prozesssysteme (im Vergleich: für Großbetriebe in den USA liegt der Wert bei 70 %). Herausforderungen für die Zukunft sind der Breitbandausbau in ländlichen Gebieten, die Digitalisierung und damit Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette (Landwirtschaft 4.0), die Akzeptanz der Bauern gegenüber den neuen Technologien und die rechtliche Lage in Bezug auf Datensicherheit, -schutz und -eigentum.

Deutschlands Landwirtschaft ist von großen und kleinen Betrieben, Vollzeit- und Nebenerwerbslandwirten geprägt – und dies vorwiegend in ländlichen Regionen. Um digitale Technologien stärker zu verbreiten, sind nachfolgende Voraussetzungen zu erfüllen:

Experten gehen davon aus, dass allgemein durch den Einsatz neuer Technologien angestammte Arbeitsplätze verloren gehen könnten, dafür aber neue Beschäftigungsfelder entstehen. Wissenschaftler vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim fanden heraus, dass in Deutschland 42 Prozent der Beschäftigten eine Arbeit ausüben, die in etwa 20 Jahren digitalisiert oder automatisiert werden könnte. Für die landwirtschaftlichen Unternehmen stellt sich die Frage, ob eine Digitalisierung Auswirkungen auf die Betriebsstrukturen oder auf den Arbeitsplatz "Landwirt" hat. Ob kleine und mittlere Betriebe davon profitieren, wird unterschiedlich eingeschätzt. Insbesondere durch digitale überbetriebliche Ansätze können auch kleinere Betriebe an der Digitalisierung teilhaben.

Digitalisierung der Landwirtschaft: Wem dienen die Agrardaten?

Digitale Technologien haben bereits heute die Landwirtschaft vor allem in den Industrieländern tiefgreifend verändert. Neben Chancen durch gesteigerte Produktivität und Effizienz werden jedoch auch Risiken, etwa im Hinblick auf ungleich verteilte Zugangschancen, erwartbare Rebound-Effekte oder Pfadabhängigkeiten kontrovers diskutiert. Die zunehmende Verbreitung der Präzisionslandwirtschaft basiert auf der Nutzung von Big Data, Künstlicher Intelligenz und Robotik, aber auch auf Plattformen, um vernetzte Datenströme, Geräte und Akteure zusammenzuführen sowie Informationen und Wissen zu vermitteln.

Neben einer „digitalen Kluft“ (digital divide) für Entwicklungsländer besteht jedoch international die Gefahr verschärfter asymmetrischer Machtverhältnisse für Produzent*innen und Bürger*innen gegenüber der Agrarindustrie. Je stärker diese die Technologien, Plattformen und Daten gestaltet, besitzt und kontrolliert, desto größer ist das Risiko der Vergrößerung heutiger Machtasymmetrien. Dadurch aufgeworfene Fragen nach Datenschutz, -hoheit und -eigentum sind zentral – in Europa wie in den Entwicklungsländern, wo angesichts des schwächeren oder fehlenden Datenschutzes das Risiko eines „Datenkolonialismus“ im Agrarbereich noch höher ist. Wenn sich Marktmacht in den Datenzentren großer Konzerne konzentriert, verstärkt dies die ohnehin bereits bestehenden Abhängigkeitsverhältnisse.

Die Schlüsselfragen kreisen dabei darum, wer die Technologie und ihre Gestaltung sowie den Zugriff auf die Informationen kontrolliert. Ihre Beantwortung führt im Hinblick auf die „proprietären Märkte“ digitaler Plattformen (z. B. Amazon) auch im Agrarbereich unweigerlich zur wertebasierten Diskussion zwischen individualistischen und gemeinwohlorientierten Ansätzen.

Quelle: WBGU 2020

Die Landwirtschaft war Vorreiter bei der Nutzung von GPS-Daten im zivilen Bereich. Durch GPS-Steuerung verbunden mit geeigneten Computerprogrammen konnten für den Traktor und selbstfahrende Erntefahrzeuge der Fahrweg optimiert und Treibstoff eingespart werden. Wetter-Apps, Drohnen und anderen Datenmanagementsystemen helfen, Boden- und Ernteverfahren zu optimieren. Cloudlösungen, beispielsweise für die Grund- und Stickstoff-Düngung, ermöglichen, Pflanzen besser und effizienter zu versorgen. Komplexe Prozessabläufe, wie beispielsweise die Silomais-oder Zuckerrübenernte, können in Echtzeit überwacht und gemeinschaftlich organisiert werden. Und Futterroboter, Messeinrichtungen zur Milchinhaltsstoffbestimmung oder Klimaführungssysteme leisten einen wesentlichen Beitrag zum Tierwohl, der Umwelt und dienen der Arbeitserleichterung. Durch neue Entwicklungen in der Sensortechnik kann das Tierverhalten ermittelt und bewertet werden.

Die Landwirtschaft nutzt schon seit etwa zwei Jahrzehnten alle Möglichkeiten, um die Prozesse entsprechend der fachlichen guten Praxis möglichst optimal und präzise zu gestalten (Precision Farming) und durch intelligente Steuerung weiter zu optimieren (Smart Farming). Hard- und Software werden weiter optimiert und erlauben, das Gespann von Traktor und Anbaugerät besser aufeinander abzustimmen und den Bereich der Logistik einzubinden. Denn die Landwirtschaft nutzt Betriebsmittel (zum Beispiel Saatgut, Düngemittel, Pflanzenschutzmittel) und erzeugt Produkte, die transportiert und weiterverarbeitet werden, bis sie schließlich beim Verbraucher ankommen.

Diese Stoff- und Transportströme digital abzubilden und abzustimmen, davon erwarten viele einen Effizienz- und Transparenzgewinn sowie Arbeitserleichterungen. Auch werden positive Effekte für die Umwelt durch einen nachhaltigen Ressourceneinsatz und bedarfsgerechte Behandlung in Ackerbau und Tierhaltung mit der Digitalisierung der Landwirtschaft verbunden.

Der Hauptunterschied zwischen "normaler" computergestützter Arbeit und der sog. Landwirtschaft 4.0 liegt in der Vernetzung. So können Satelliteninformationen mit Klimadaten und Bodenanalysen verbunden werden, um das perfekte Zeitfenster zum Düngen oder Spritzen einer bestimmten Fläche zu errechnen. Der Traktor sendet wiederum alle Informationen, die er auf dem Feld sammelt, zum Beispiel über Schädlinge, an den Hof und in die Cloud. So könnten sie auch zeitnah Nachbarbetrieben zugänglich gemacht werden. Das voll vernetzte Leben setzt allerdings eine gute Mobilfunkabdeckug im ländlichen Raum voraus. Da stößt das Cloud-Computing heute noch an seine Grenzen.

In der Computerwoche-Online vom Mai 2018 werden einige Beispiele genannt, wie die Digitalisierung dem Precision Farming schon heute zu neuen Möglichkeiten verhilft:

Für die großen Agrartechnikkonzerne eröffnet sich ein völlig neuer Markt. Einige Übernahmen und Joint Ventures der vergangenen Jahre zeigen diese Entwicklung. 2014 haben AGCO und der Pestizidhersteller DuPont eine Zusammenarbeit bei der digitalen Datenübertragung angekündigt. Im selben Jahr unterzeichneten CNH und die Sparte "Climate Corporation" von Monsanto ein Abkommen zur Entwicklung einer neuen Präzisionspflanztechnologie. Ein Jahr später vereinbarte Deere mit der Climate Corporation, Geräte zu entwickeln, die dem Farm-Management-System von Deere erlauben, online auf die riesigen Datensätze der Climate Corporation zuzugreifen. Zugleich gingen AGCO, der Chemiekonzern BASF und Monsanto eine Partnerschaft ein, um ein konkurrierendes Farm-Management-System zu entwickeln. Und 2016 führte CHN autonom fahrende Traktoren vor. Sie werden über Sensoren gesteuert und kommen ohne Fahrzeugkabine aus.

Die Abhängigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe von Agrarkonzernen steigt. AGCO erwartet, dass sich in Zukunft ein Konsortium um Deere herausbildet und eines rund um Claas. Die US-Nichtregierungsorganisation ETC Group sagt sogar voraus, dass die großen Agrartechnikkonzerne aufgrund ihrer Kapitalmacht die vorgelagerten Bereich Saatgut und Pestizide übernehmen werden. (Heinrich Böll Stiftung u. a. 2017)

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