Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

BSE

Abk. für Bovine Spongiforme Encephalopathie, 1985 erstmals im englischen Kent diagnostizierte Tierkrankheit, von der bis Mitte der neunziger Jahre rund 900.000 Kühe auf der Insel infiziert waren. Von diesen erkrankten im Vereinigten Königreich bis Ende 1996 ca. 165.000 Tiere an BSE, während die anderen Tiere vor dem Ausbruch der klinischen Erkrankung geschlachtet wurden. 30 % der britischen Höfe waren betroffen.

BSE zählt zu den sogenannten Transmissiblen Spongiformen Enzephalopathien (TSE), einer Gruppe von Krankheiten, die das Gehirn und das Nervensystem von Menschen und Tieren befallen. Diese Krankheiten zeichnen sich durch eine Degeneration des Gehirngewebes aus, das sich schwammartig (= spongiform) verändert.

BSE ist benannt nach den Symptomen, denn die Gehirne der betroffenen Rinder weisen im Endstadium ihres Siechtums die Form eines löchrigen Schwamms auf. Die sich daraus ergebenden Verhaltensauffälligkeiten erklären auch den englischen Ausdruck "mad cow disease". Der anfänglich noch unbekannte Erreger ist über die Nahrungskette in die Rinderherden eingedrungen. Die Tiere waren mit Tiermehl gefüttert worden, wozu auch Schafskadaver verarbeitet wurden, die an der Traberkrankheit ("scrapie", 1730 bei Schafen und Ziegen erstmals beschrieben) verendet waren. Rationellere Verfahren mit reduzierten Verarbeitungstemperaturen bei der Fleischmehlproduktion begünstigten das Überleben der Erreger und damit ihre Verbreitung. Die Frage, ob der BSE-Erreger vom Scrapie-Erreger der Schafe und Ziegen abstammt oder ob er schon immer beim Rind auftrat, ist allerdings noch ungeklärt.

Durch die Verarbeitung der Kadaver von erkrankten Kühen zu Tiermehl ist ein eigentlicher Rinderzyklus des Erregers in Gang gesetzt worden. Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich vier bis fünf Jahre. Die Rinderkrankheit hatte sich in den frühen 90er Jahren in mehreren europäischen Ländern ausgebreitet, die Einschleppung durch Tiermehl britischen Ursprungs gilt als gesichert. Die Epidemie kann somit als Folge einer der Irrwege der Intensivlandwirtschaft angesehen werden.

Die Verfütterung von proteinhaltigen Erzeugnissen, von Fetten aus Geweben warmblütiger Landtiere und von Fischen an alle der Lebensmittelproduktion dienenden Nutztiere wurde verboten (im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland seit Dezember 2000, europaweit seit Anfang 2001). Dieses Verbot ist nach zwölf Jahren am 1. Juni 2013 ausgelaufen. Damit ist laut EU-Kommission Tiermehl aus nicht-wiederkäuenden Tieren wie Schweinen oder Hühnern wieder als Futtermittel für Fische und andere auf Aquafarmen gezüchtete Tiere zulässig. In der Schweiz war Tiermehl von Nichtwiederkäuern für die Fischfütterung nie verboten.

Bei der Mast von Schweinen und Hühnern sind diese unnatürlichen Proteingaben auch in Deutschland übliche Praxis. Neuerdings besteht der Verdacht (Nature, Bd. 392, 1998), dass selbst Tierarten, die nicht an BSE erkranken, den Erreger an - BSE-empfängliche - Menschen und Tiere weitergeben.

Es besteht weitgehende Einigkeit, daß die Erreger von Scrapie (für den Menschen ungefährlich), der Nerz-Encephalopathie, BSE und beim Menschen der seltenen, aber stets tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD), des Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndroms (GSS) sowie die tödliche familiäre Schlaflosigkeit (FFI) eng verwandt sind. Die Symptome sprechen dafür. Die gemeinsame Bezeichnung Transmissible Spongiforme Encephalopathien (TSEs) läßt sich mit 'übertragbare schwammartige Gehirnerkrankungen' übersetzen. Der BSE-Erreger überspringt anscheinend mühelos Artengrenzen. Katzen, Zooantilopen, Zuchtnerze und im Labor Mäuse, Ratten und Hamster wurden infiziert. Offen ist noch, ob der BSE-Erreger von der Mutterkuh aufs Kalb übertragen wird. Ausgelöst wird die Krankheit von Prionen, infektiösen Eiweißkörpern (proteinaceous infectious agent), denen auch Hitze nur wenig anhaben kann.

Prionen befinden sich von Natur aus in den Nervenzellen. Sie werden normalerweise gebildet, erfüllen eine Aufgabe und werden wieder abgebaut. BSE-Prionen sind dagegen nicht abbaubar. Sie sind anders gefaltet als ihre normalen Verwandten und wandern vom Verdauungstrakt ins Gehirn. Dort entfalten sie ihr tödliches Potential. Sie setzen eine Art Kettenreaktion in Gang: Ein fehlgefaltetes BSE-Prion reicht, um alle anderen normal gefalteten Prion-Eiweißkörper in einer Nervenzelle in die falsche Form wechseln zu lassen. Nach und nach verklumpen die Eiweißkörper, die Nervenzellen sterben ab. Übrig bleibt hochansteckendes Protein in einem schwammartig durchlöcherten Gehirn. Je ähnlicher die Prion-Proteine verschiedener Säugetierarten einander sind, umso niedriger ist auch die Artbarriere bei der Übertragung dieser Erreger.

Rückschau I:

Anfang der 90er-Jahre wurde bekannt, dass BSE auf Mäuse übertragbar war, die mit infiziertem Hirn geimpft wurden. Experten erklärten, die BSE-Rinder hätten sich wahrscheinlich durch den Verzehr von kontaminiertem Tiermehl angesteckt. Trotz dieser Hiobsbotschaften erklärte der ranghöchste medizinische Berater der Regierung, Sir Donald Acheson:

"Der Verzehr von britischem Rindfleisch ist ohne Risiko. Ob Kinder, Erwachsene, oder Krankenhauspatienten; sie alle können unbedenklich britisches Rindfleisch verzehren."

Die gleiche Botschaft wurde auch von Landwirtschaftsminister John Gummer ausgegeben. Um der wachsenden Panik in der britischen Öffentlichkeit entgegenzutreten, fütterte er seine kleine Tochter vor laufenden Kameras eigenhändig mit einem Hamburger und bekräftigte:

"Es gibt keinen Grund zur Sorge, ich werde weiterhin Rindfleisch essen und meine Kinder auch."

Quelle: Deutschlandfunk

Rückschau II:

Die Frau, die sehr früh die Deutschen vor BSE warnte, hat ihren Arbeitsplatz und ihren guten Ruf als Tierärztin verloren. Heute muss sie von einer kargen Rente leben. Trotzdem, sagt Margrit Herbst, würde sie alles wieder genauso machen wie damals im Herbst 1994: "Das ist doch meine tierärztliche Pflicht."

Die heute 74-Jährige hat teuer bezahlt für ihren Tabubruch. Über Jahre hatte die Inspekteurin in einem schleswig-holsteinischen Schlachthof ihre Vorgesetzten immer wieder auf merkwürdig trabende, torkelnde oder aggressive Kühe aufmerksam gemacht, die der Betrieb womöglich aus Großbritannien importiert hatte. Aber weil sich BSE damals kaum nachweisen ließ, wurden die Tiere doch zur Fleischverarbeitung durchgewunken.

Dann aber äußerte Herbst im Fernsehen einen ungeheuerlichen Verdacht: An deutschen Schlachthöfen würden möglicherweise Tiere mit Symptomen des tödlichen Rinderwahns zu Lebensmitteln gemacht. Prompt feuerte ihr Arbeitgeber, der Kreis Segeberg, die vermeintliche Nestbeschmutzerin: wegen Verstoßes gegen die Verschwiegenheitspflicht. [...]

Sie ist mehrmals für Zivilcourage geehrt worden - unter anderem mit dem renommierten Whistleblower-Preis, der kürzlich auch Edward Snowden zugesprochen wurde. Einmal stand sie kurz davor, das Bundesverdienstkreuz zu bekommen. Aber als das Land Schleswig-Holstein forderte, sie müsse dafür auf Ansprüche gegen Land und Kreis verzichten, sagte sie sofort Nein. Der Kreis Segeberg hat noch immer ein angespanntes Verhältnis zu der Tierärztin, die Deutschland vor einer verheerenden Seuche warnte. Anfang November hat der Kreistag mit den Stimmen von CDU, SPD und FDP gegen das Votum von Grünen, Linken und Piraten abgelehnt, Herbst wegen ihrer Kündigung zu entschädigen.

Quelle: SPON

Die Übertragung auf den Menschen gilt mittlerweile als gesichert. Spongiforme Hirnleiden beim Menschen haben eine lange Inkubationszeit, bei der CJD beispielsweise von 5 bis 15 Jahren in manchen Formen bis 30 Jahren. Allerdings entdeckten Wissenschaftler 1996 eine CJK-Variante, kurz vCJK, an der vor allem junge Menschen sterben. Weltweit gibt es bisher (2013) 224 bestätigte oder wahrscheinliche Fälle von vCJK, die überwiegende Mehrheit davon trat in Großbritannien auf. Weitere Fälle meldeten Frankreich (27 Fälle), Spanien (5 Fälle), Irland (4 Fälle), und eine Reihe weiterer Länder - ausgenommen Deutschland. Die klassische CJK gibt es dagegen auch in Deutschland.

Der Mensch kann sich über den Verzehr von mit dem BSE-Erreger kontaminiertem Rindfleisch infizieren. Aber das ist offenbar nicht der einzige Ansteckungsweg. Der Erreger scheint, wie bei der klassischen CJK auch, durch chirurgische Instrumente, Bluttransfusionen und Plasmapräparate übertragbar zu sein.

Zum spezifizierten Risikomaterial gehören derzeit Gehirn, Augen und Rückenmark von Rindern über 12 Monaten, Lymphdrüsen und Darm mit Darmgekröse von allen Rindern unabhängig vom Alter sowie die Wirbelsäule eines Rindes über 30 Monaten. Spezifiziertes Risikomaterial wird im Schlachthof farblich markiert, sterilisiert und verbrannt, die Reste auf speziellen Deponien vergraben.

Veterinärmediziner und Zoologen hatten schon vor dem Auftreten der BSE vor einer Übertragung von Krankheitskeimen durch den Zusatz von zermahlenen Tierkadavern zum Viehfutter gewarnt.

In Großbritannien traten zwischen 1986 und 2006 immerhin 180.000 gemeldete BSE-Fälle bei Tieren auf. Von dort breitete sich die Infektion auch auf andere Länder aus. 1992 wurde der erste BSE-Fall in Deutschland verzeichnet.

Am 24. November 2000 wurde BSE erstmals bei einem in Deutschland geborenen Rind bestätigt. Bis 2016 wurden in Deutschland 416 Fälle (BMEL) von BSE bestätigt. Zuletzt wurde am 5. Februar 2014 bei einer elfjährigen Milchkuh ein atypischer BSE-Fall festgestellt. Bei älteren Tieren, wie dieser Kuh, kann in äußerst seltenen Fällen spontan die atypische BSE auftreten. Danach gab es offiziell keinen weiteren BSE-Fall in Deutschland. Im Jahr 2010 wurden in Europa nur noch 67 Tiere positiv getestet.

95 % der BSE-Fälle traten bei Milchkühen auf, davon 90 Prozent Schwarzbunte. Extensivrassen, wie beispielsweise die zotteligen Galloways erkranken selten. Verbraucher können ihr nicht auszuschließendes Risiko durch den Kauf von Fleisch aus Betrieben, in denen kein Tiermehl verfüttert wird, deutlich senken.

Die zehn wichtigsten Abnehmerländer britischen Rindfleisches im Jahre 1994
Frankreich 81,502 t Irland 19,922 t Italien 18,681 t Niederlande 15,521 t
Südafrika 10,325 t Ungarn 6,951 t Spanien 5,394 t Mauritius 3,809 t
Belgien 3,134 t Irak 2,385 t

Quelle: The Observer 19.11.1995

Es wurde während des Höhepunkts der BSE-Krise nicht ausgeschlossen, dass auch Kosmetika und Medikamente infizierte Rinderbestandteile enthielten.

Weit über 200 Zoonosen, krankmachende Keime, die zwischen Tier und Mensch hin- und herpendeln, kennt die Wissenschaft. Fast immer geschieht die Ansteckung über die Nahrungskette. Die WHO sieht in nahrungsmittelbedingten Zoonosen ein erhebliches Gefahrenpotential.

Weitere Informationen:

Pfeil nach linksBruttowertschöpfungHausIndexBSTPfeil nach rechts