Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Kibbuz

(Mz. Kibbuzim), von hebr. Siedlung; Form landwirtschaftlicher Genossenschaftsbetriebe in Israel mit unterschiedlich starkem Vergesellschaftungsgrad, die aus der Verbindung des jüdischen Geschichtsbewußtseins (Errichtung einer Heimstätte des jüdischen Volkes in Palästina) und der sozialistischen Zukunftsvision von Gleichheit entstand. Alles Eigentum, mit Ausnahme des persönlichen Besitzes, ist Gemeingut. Das Kollektiv tritt als Gesellschaft des öffentlichen Rechts auf und nimmt alle Pflichten und Rechte einer Kommune wahr (Schul- und Gesundheitswesen etc.), wobei die Mitglieder systemkonform keine Kommunalsteuern zahlen. Die Arbeit wird auf kollektiver Basis organisiert. Jedes Mitglied ist verpflichtet, im Rahmen seiner Fähigkeiten und nach Anordnungen der gewählten Gremien für die Kommune zu arbeiten. Umgekehrt ist die Kommune verpflichtet, für sämtliche Bedürfnisse ihrer Mitglieder (Wohnung, Möbel, Kleidung, Essen, Erholung) gemäß ihrer finanziellen Möglichkeiten aufzukommen. Entsprechend ist auch die Verwaltung unmittelbar-demokratisch. Es existiert keine sozial privilegierte Funktionärskaste. Die Ideale des auf freiwilliger Basis beruhenden Gemeinschaftslebens werden konsequent gepflegt (gemeinsame Essenseinnahme, Sozialisation der Kinder vornehmlich in ihrer Altersgruppe). Jedes Mitglied hat jederzeit das Recht, das Kollektiv zu verlassen. Die Unterschiede zu realsozialistischen Kommunetypen, etwa der Kolchose, werden damit überdeutlich.

Die mittlere Größe eines Kibbuz schwankt zwischen 400 und 1200 Einwohnern. Als Wohnort stellt er eine ausgezeichnete Kombination von städtischer Lebensform und ländlicher Umgebung dar. Von der gesamten jüdischen Bevölkerung leben lediglich ca. 3 % in Kibbuzim, was sich wohl aus dem starken Bedarf an ideologischer Motivierung erklärt, die nötig ist, um auf einen großen Teil seiner individuellen Freiheiten zu verzichten.

Wirtschaftlich stellt jeder Kibbuz einen landwirtschaftlichen Großbetrieb dar mit zahlreichen Zweigen, deren Leitung in den Händen von Agronomen mit Hochschulausbildung oder langjähriger Erfahrung liegt. Konsequenterweise sind die Kibbuzim Träger landwirtschaftlichen Fortschritts sowohl hinsichtlich der Produkte, als auch der Produktionsverfahren und -techniken.

Neben der Landwirtschaft werden in jüngerer Zeit verstärkt industrielle Betriebe aufgebaut, z.T. auch Tourismusangebote gemacht, um der nachfolgenden Generation, den im Gefolge der Mechanisierung freiwerdenden Fachkräften bzw. den Frauen Arbeitsplätze zu sichern und eine Krisenanfälligkeit zu vermeiden.

Kibbuzim wurden häufig als Neusiedlungen von Einwanderern gegründet, oft als Grenzsiedlungen mit Wehrfunktion. Im Kibbuz, dessen erste Realisierung 1909 in Deganya am Kinneretsee erfolgte, drückt sich die Haltung der Neueinwanderer und Siedler aus: Offenheit gegenüber technologischen wie organisatorischen Neuerungen, Freiheit von Traditionszwängen, starke nationale und soziale Motivierung, sozialistische Tendenzen.

Es gab 2014 noch 272 dieser Siedlungen mit einer Größe von bis zu 2000 Einwohnern. Zu Neugründungen kommt es seit 1999 kaum mehr. Zur Zeit der Gründung des Staates Israel lebten etwa 8 % der Israelis in einem Kibbuz, heute (2014) sind es etwa 1,8 %. Es gab bereits seit den 1990er Jahren Abwanderungen, besonders der Jugend, die nur teilweise durch Zuwanderung aus dem Ausland, beispielsweise aus den USA, Kanada und Europa, aufgefangen werden konnten. Der allgemeine Abwärtstrend setzt sich daher auch seit 2010 fort, da die meisten Jugendlichen spätestens nach Absolvierung ihres Militärdienstes den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen außerhalb der Kibbuzim wahrnehmen und nicht mehr zurückkehren.

Eine Abspaltung der Kibbuzbewegung hatte 1920 zur Einführung einer neuen Siedlungsform, dem Moshav (Mz. Moshavim) geführt. Er besitzt heute eine größere zahlenmäßige Bedeutung.

(s. a. agrarsoziale Systeme)

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