Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Grundherrschaft

Bezeichnung (in Österreich und anderen Gebieten auch Erbuntertänigkeit oder Patrimonialherrschaft genannt) für ein im frühmittelalterlichen Europa entstandenes und im Hoch- und Spätmittelalter sich regional ausdifferenzierendes komplexes Herrschafts- Wirtschafts- und Sozialgebilde. Es stellte ein Kernelement der mittelalterlichen Agrarverfassung dar und prägte als solches über Jahrhunderte hinweg die Ordnungen des ländlichen Raums in weiten Teilen Europas. Der Zweck dieses Gebildes war zu Beginn in erster Linie auf die unmittelbare Versorgung des herrschaftlichen Haushaltes mit Gütern des alltäglichen Bedarfs ausgerichtet. Von zentraler Bedeutung hierfür waren zum einen die Abgaben von vollbäuerlichen Agrarproduzenten, zum anderen die Bewirtschaftung eines Herrenhofes mit bäuerlichen Spanndiensten und mit etlichen anderen Leistungen von Kleinbauern, Gesindekräften und Handwerkern. (Kießling et al. Bd. 1)

Grundherrschaft bezeichnet demnach die Verfügungsgewalt der Herren über die Bauern auf der Grundlage der Verfügung über das Land. Grundherrschaft ist ein kennzeichnender Begriff aus der mittelalterlichen und neuzeitlichen Sozial- und Rechtsgeschichte, tritt so aber erst in neuzeitlichen Quellen auf.

Ein Grundherr war in der Regel ein Angehöriger der ersten zwei Stände: des Adels oder des Klerus. Er war nicht nur Grundeigentümer oder Inhaber einer Pacht mit Verfügungsgewalt über das Land, sondern übte zumeist mit entsprechenden Verwaltern auch weitreichende Verwaltungs- und Gerichtsfunktionen aus. Die Beziehungen zwischen den mit Herrschaftsrechten ausgestatteten, ständischen Herrschaftsträgern und den auf Landzuteilung angewiesenen Gruppen wurde nach Maßgabe römischer und germanischer Rechtstraditionen geregelt. Entsprechende Bestimmungen wurden in Urbaren, Rechtsordnungen und Hofrechten während des Früh- und Hochmittelalters festgehalten, um dann durch solche in Weistümern, Dorfordnungen, Verträgen und Landrechtsordnungen im Verlauf des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit ergänzt oder ersetzt zu werden.

Als Vergütung für die Überlassung von Land bezogen Grundherren entweder Arbeits-, Natural- und Geldrenten von den Leihenehmern oder Zinsen bzw. Ertragsanteile von den Pächtern.

Dem Grundherrn oblag die rechtliche Verwaltung und Nutzungsvergabe von land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen und die Ausübung öffentlich-rechtlicher Befugnisse, wie der Polizeigewalt und der Gerichtsbarkeit in ihren verschiedenen Ausprägungen der Bestrafung bei Aufständen der zu Leistungen verpflichteten Untertanen. Er hatte das Recht, in religiösen oder besitzrechtlichen Fragen über seine Untertanen zu bestimmen. Der Grundherr verfügte über das Patronatsrecht.

Allerdings hatte der Grundherr nicht nur für den Gehorsam seiner meist mittellosen Grundholden (Untertanen) zu sorgen, sondern auch Schutz und Schirm zu gewähren. Die Grundherrschaft umfasste daher nicht nur eine mit dem Feudalismus zusammenhängende agrarische Wirtschaftsform, sondern eine Herrschafts- und Besitzstruktur, die alle Bereiche des Lebens bis in das 19. Jahrhundert beherrschte und Ausprägungen wie Erbuntertänigkeit, Leibherrschaft, Schutzherrschaft, Gerichtsherrschaft, Zehntherrschaft, Vogteigewalt und Dorfobrigkeit hatte. Kriegspflicht setzte nicht zwingend die Leibherrschaft voraus.

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