Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Stein-Hardenbergische Reformen

Zusammenfassende Bezeichnung für die unter den preußischen Staatsmännern Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein und Karl August Fürst v. Hardenberg zwischen 1807 und 1812 durchgeführten bzw. begonnenen wirtschaftlichen und sozialen Reformen. Deren Ziel war es , dem preußischen Staat nach der Niederlage gegen Napoleon in der Schlacht bei Jena und Auerstedt ( 1806) eine reformierte Staats- und Wirtschaftsverfassung zu geben, die den in Aufklärung und Liberalismus wurzelnden Freiheitsansprüchen zum Durchbruch verhelfen sollte.

Wichtig sind besonders das Oktoberedikt vom 9.10.1807, das die Bauernbefreiung einleitet, das Edikt vom 2.11.1810 mit der Einführung der Gewerbefreiheit und das Regulierungsedikt vom 14.9.1811 zur Fortführung der Agrarreform. Hinzu kommen die Städteordnung vom 19.11.1808 als Grundstein der kommunalen Selbstverwaltung, das Standesunterschiede aufhebende Offiziersreglement vom 6.8.1808 und die Neuregelung der Staatsverwaltung vom 24.11.1808 mit der Errichtung von Fachministerien. Wenn auch die 1815 einsetzende Restaurationspolitik einer Weiterentwicklung dieser Reformen hinderlich war, schufen sie doch wichtige Grundlagen für die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Entwicklung im 19. Jahrhundert. Bis 1807 waren die Bauern durch die Erbuntertänigkeit leibeigen. Sie wurden durch Frondienste und Abgaben belastet.

Das Oktoberedikt stand zeitlich am Beginn der Reformpolitik in Preußen. Es hob alle bislang bestehenden Berufsschranken auf, beseitigte die Erbuntertänigkeit der Bauern und gab den Güterverkehr frei. Die Bauern waren seither persönlich frei. Auch ihre Freizügigkeit wurde durch die Abschaffung der Loskaufsgelder und des Gesindezwangsdienstes hergestellt. Damit eng verbunden waren das Recht auf freien Eigentumserwerb und die Freiheit der Berufswahl für alle preußischen Bürger. Damit konnten Bauern in die Stadt abwandern, Bürger konnten Landgüter erwerben, und Adeligen, die zuvor nur standesgemäßen Tätigkeiten nachgehen konnten, war es nun möglich, bürgerliche Berufe zu ergreifen. Mit der persönlichen Freiheit der Landbevölkerung entfiel auch die bisherige Pflicht, vom Gutsherren einen Ehekonsens zu erwirken. Die Freiheit der Eheschließung führte zu einer Erhöhung der Geburtenziffer und letztlich zum Wachstum besonders der ländlichen Bevölkerung.

Die Reform brachte durch die Art ihrer Umsetzung für die Landbevölkerung aber auch gravierende Nachteile. Der freie Güterverkehr beseitigte die bisherigen Einschränkungen des Bauernlegens. Nunmehr konnten die Gutsbesitzer Bauernland, wenn auch staatlich kontrolliert, einziehen. Außerdem entfiel die Pflicht der Gutsherren, für Unterkunft bei Invalidität oder Alter der ehemals gutsuntertänigen Personen aufzukommen. Die Herstellung des völligen Eigentums an den bewirtschafteten Flächen und die Abschaffung feudaler Dienstpflichten ging allerdings mit Entschädigungen einher. Anstelle einer meist unmöglichen Ablösung in Geld wurden die Bauern verpflichtet, die ehemaligen Gutsherren zu entschädigen und die Höfe abzulösen. Sie mussten zwischen der Hälfte und einem Drittel des genutzten Landes abtreten. Um von vornherein das Entstehen von Besitzungen zu verhindern, die nicht genug zum Überleben abwarfen, wurde 1816 die Ablösung im anfänglichen Umfang auf größere Höfe eingeschränkt. Die kleineren Besitzungen blieben von den Abtretungen ausgeschlossen. Andere mit der Gutsuntertänigkeit verbundene Lasten wie der Zwangsgesindedienst, Heiratserlaubnisgebühren und Ähnliches wurden ohne Gegenleistung abgeschafft. Anders verhielt es sich mit den Fron- und Naturaldiensten. Deren Wert wurde ermittelt, und die Bauern hatten das Fünfundzwanzigfache in Raten an den Gutsherrn zu zahlen, um auch diese Pflichten abzulösen.

Im Jahr 1821 folgte dann eine weitere Regelung für die Ablösung des grundherrschaftlichen Eigentums, das in den neupreußischen Gebieten verbreitet war. Allein die 12.000 Rittergüter in Preußen vergrößerten durch die Abtretungen ihren Besitz zusammen um anderthalb Millionen Morgen. Hinzu kam ein Großteil der Allmende, also das bislang von allen nutzbare Land eines Dorfes. Von diesem fiel nur 14 % an die Bauern, der Rest ging ebenfalls in den Besitz der Gutsbesitzer über. In der Folge verloren viele Kleinbauern ihre Existenzgrundlage und mussten ihr überschuldetes Land an die Grundherren verkaufen. Diese vergrößerten so weiter ihren Besitz, während die ehemaligen Bauern meist Landarbeiter wurden. Die Zahl der je nach Region und Rechten unterschiedlich bezeichneten Landarbeiter (Instleute, Gesinde, Tagelöhner) stieg um das Zweieinhalbfache. Die Zahl der Kleinbesitzer, regional Kätner genannt, nahm um das Drei- bis Vierfache zu. Viele waren auf einen handwerklichen oder sonstigen Nebenerwerb angewiesen.

Einen gewissen Ausgleich für die Bauern bot die Nutzbarmachung brachliegender Flächen, allerdings bedeutete dies die Abdrängung auf schlechtere Böden. Für die fiskalischen Interessen des Staates, die letztlich hinter der Bauernpolitik standen, waren die Maßnahmen äußerst erfolgreich. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche wurde bis 1848 von 7,3 Millionen auf 12,46 Millionen Hektar vergrößert, und die Produktion erhöhte sich um vierzig Prozent. Obwohl die Reformer mit diesem Edikt hauptsächlich für mehr Freiheit sorgen wollten, vergrößerte sich in der Folgezeit die besitzlose ländliche Unterschicht. Letztlich profitierten außer einem begrenzten bäuerlichen Mittelstand die Großgrundbesitzer und adligen Junker von der Reform, die auf diese Weise ihren Landbesitz mehren konnten.

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