Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Sahel

Von arabisch ساحل „Küste“ oder „Ufer der Wüste“; regionalgeographische Bezeichnung für den Südrand der Wüste Sahara. Charakteristisch für dieses Gebiet sind die sehr unregelmäßigen Niederschläge zwischen 100 und 500 mm pro Jahr. Der unausgeglichene Wasserhaushalt verhindert die vollständige Entwicklung der Böden und begünstigt die Ausbildung einer Dorn- und Sukkulentensavanne. Die sogenannte Sahelzone zieht sich vom Westrand der Sahara bis hin zum Nil. Sie ist der Prototyp eines Lebensraumes am Rande der warm-ariden Ökumene, der von einem hohen Risiko für das Eintreten von Naturkatastrophen, vor allem langen Dürreperioden, geprägt wird. Der Begriff 'sahelisch' wird daher für alle Trockenräume der Erde mit damit vergleichbaren Bedingungen verwendet. Dies sind darüber hinaus die Hauptverbreitungsgebiete der Desertifikation.

Nutzung

Traditionell sind die meisten Menschen in der Sahelzone Halbnomaden, die Ackerbau und Viehzucht in einem System der Transhumanz betreiben, was wahrscheinlich die nachhaltigste Art ist, die Sahelzone zu nutzen. Der Unterschied zwischen dem trockenen Norden mit höheren Nährstoffgehalten im Boden und dem feuchteren Süden mit mehr Vegetation wird genutzt, indem die Herden in der Regenzeit im Norden auf hochwertigem Futter grasen und in der Trockenzeit mehrere hundert Kilometer in den Süden wandern, um dort auf reichhaltigerem, aber weniger nahrhaftem Futter zu grasen.

Die Ackerbauern im Sahel betreiben vorwiegend Hirseanbau. Aber auch Maniok, Yams und Bataten werden für Subsistenzwirtschaft angebaut. Mit den Jahren verlagerten sie ihre Ackerflächen wegen der enormen Bevölkerungszunahme zunehmend in den Norden, wobei sie die Agronomische Trockengrenze überschritten und nun eine Bewässerung der Felder nötig ist. Ein verbreitetes System zur Wiederinstandsetzung degradierter Trockengebiete und Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit ist das Zaï. In verschiedenen Dörfern wird versucht, oft mit Hilfe von Entwicklungshilfeorganisationen, der weit verbreiteten Mangelernährung durch Gartenbau in Bewässerungstechnik zu begegnen, allerdings kommt es auf Grund von Wassermangel immer wieder zu Rückschlägen. Nachhaltig sind nur sehr ausgeklügelte Systeme des Pflanzenbaus, die den Wasserbedarf minimieren.

Der zweite wichtige Agrarzweig in der Sahelzone ist die Viehhaltung. Die Menschen vergrößern im Zuge des enormen Bevölkerungswachstums ihre Rinder- und Ziegenherden. Hinzu kommt, dass ihnen Quantität wichtiger ist als Qualität. Dadurch kommt es dazu, dass die vielen Tiere die Pflanzen samt der Wurzel fressen und der ohnehin schon harte, trockene Boden von den Tieren festgetreten und verdichtet wird. Dies verstärkt die Desertifikation der Böden. Außerdem stellten die Bauern auf Grund von niederschlagsreichen Perioden, Brunnenbau und Entwicklungshilfe die Weidewanderungen ein, d. h., dass man nicht mehr mit dem Niederschlag mitwanderte. All diese Faktoren führen letztendlich zu einer starken Überweidung, wodurch sich Pflanzen, weil sie immerzu abgefressen werden, nicht mehr regenerieren können, der Boden durch den Urin und Kot der Tiere versauert und immer mehr Bäume absterben, weil die Ziegen deren Rinde anknabbern.

Boden als knappe Ressource

Vor allem im West-Sahel sind Acker- und Weideflächen in den letzten 30 Jahren zu einer hochgradig umkämpften Ressource geworden – erkennbar unter anderem an den stark gesunkenen Brachezeiten.

Die wichtigste Ursache dafür dürfte der demographische Faktor sein, also der Umstand, dass sich die Bevölkerungszahlen zwischen 1960 und 2020 mehr als vervierfacht haben – in Mali, Burkina Faso und Niger von 13,4 Mio. auf 61,8 Mio. Menschen.

Weitere Ursachen für die Verknappung von Land sind "Landgrabbing" und Desertifikation. Bei Landgrabbing sind vor allem zwei Formen zu unterscheiden: Zum einen die Verpachtung riesiger Acker- und Weideflächen an agrarindustrielle Investoren oder Rohstoffunternehmen, zum anderen die Konfiszierung von Land durch staatliche Stellen oder (korrupte) Politiker, Beamte und Geschäftsleute. Die Desertifikation immer größerer Landstriche hat seit Ende der 1960 Jahre extreme Ausmaße angenommen: Seitdem ist die Ackerbaugrenze im Sahel zwischen 30 und 150 Kilometer nach Süden gewandert, nicht nur wegen fehlender Niederschläge, sondern auch als Folge falscher Landnutzung. Neben der Überbeanspruchung durch Ackerbau sind v.a. die Überweidung durch ständig größer werdende Viehherden und die Abholzung infolge des wachsenden Bedarfs an Brennholz bzw. Holzkohle zu nennen.

Die wohl fatalste Konsequenz von Bodenknappheit und Klimawandel dürfte darin bestehen, dass sich Land- und Weidekonkurrenzen zwischen halbnomadischen Viehhirten und sesshaften Ackerbauern massiv zugespitzt haben. Eigentlich wirtschaften die beiden Gruppen bereits seit langem komplementär: Erstens, indem die Tiere auf den abgeernteten Feldern die übrig gebliebenen Halme fressen können, zweitens, indem die dabei anfallenden Ausscheidungen die Felder düngen und drittens, indem Viehhirten und Ackerbauern Milch- und Getreideprodukte austauschen. Dieses Gleichgewicht ist jedoch unter Druck geraten: Immer mehr Weideland wird in Ackerland umgewandelt, während umgekehrt Viehherden regelmäßig auf noch nicht abgeerntete Felder geraten und dort beträchtliche Schäden anrichten.

Hinzu kommt, dass nicht nur die Durchzugswege für die riesigen Herden, sondern auch die Zugänge zu Wasserstellen immer öfter durch neu angelegte Felder blockiert werden. Ergebnis ist eine massive, mitunter auch tödliche Zuspitzung der Verteilungskonflikte. (BpB 2021)

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