Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Nomadismus

Wanderviehwirtschaft mit dem Nutzungssystem des Weideflächenwechsels. Es handelt sich um die am weitesten in die Randbereiche der Ökumene vorgeschobene agrarische Nutzform in enger Anpassung an die Naturgrundlagen (z.B. <100 mm N). Die Bevölkerung wandert mit den Herden und ihren Siedlungen (Zelte, Jurten, Hütten) zwischen den bis zu mehreren hundert Kilometern voneinander entfernten Weidegründen, deren Tragfähigkeit und auch Trinkwasserangebot mit dem Niederschlags- und Temperaturgang jahreszeitlich und von Jahr zu Jahr wechselt. Die Futterversorgung kann nur durch die Wanderung zwischen Winter- und Sommerregenzeit, Tiefland und Höhengebieten erfolgen, da keine Vorratshaltung besteht. Die Produktionsgrundlage der nomadischen Viehwirtschaft bildet stets die Naturweide, eine Weidepflege findet nicht statt. Transporttiere, die neben den Herdentieren gehalten werden, befördern den gesamten Hausrat während des mehrmals pro Jahr erfolgenden Weidewechsels. Ein weiterer Grund für das Wanderungsverhalten ist das Bemühen standortspezifischen Tierkrankheiten auszuweichen.

Dieser Vollnomadismus ist in seiner Reinform heute selten geworden. Er unterscheidet sich vom Halbnomadismus, bei dem die Viehhalter über einen festen Wohnsitz verfügen, in dessen Nähe i.d.R. Anbauwirtschaft betrieben wird. Zeitweise wandert die gesamte Familie des Herdenbesitzers oder ein Teil davon mit der Herde in entfernte Weidegebiete. Marktwirtschaftliche Verflechtungen sind gering, Selbstversorgung und regionaler Tauschhandel herrschen vor. Oft besteht eine symbiotische Beziehung zwischen Weidenomaden und seßhaften Oasenbauern. Daneben spielen andere Tätigkeiten und zusätzliche Einkommen aus dem Handel, aus Transport- oder Geleitschutz für den Handel, aus handwerklicher Arbeit (Lederbearbeitung oder Teppichknüpferei) oder aus dem Grundbesitz, den man durch Pächter oder hörige Bauern bewirtschaften läßt, eine bedeutsame Rolle.

Während sich der Vollnomadismus gut an die ökologischen Bedingungen anpasst, verschärft sich im Halbnomadismus häufig die Futtersituation. Sind die Tiere im Einzeleigentum der Familien und die Fläche ist Gemeineigentum, versucht jede Familie die Anzahl der Tiere hoch zu halten. Eine Überstockung kann dann zu Überweidung führen.

Die Produktivität der nomadischen Herden, gemessen am Fleischzuwachs und an der Milchleistung, ist gering. Wachstum und Milchleistung sind sehr stark vom Vegetationsrhythmus abhängig.

Nomadismus gibt es als altweltliche Wirtschaftsform vor allem in den Trockenräumen Afrikas, des Mittleren und Fernen Ostens. Der Nomadismus in der arktischen Tundrenzone mit Rentieren ist selten geworden. In der Neuen Welt hat es dagegen nie einen Nomadismus gegeben, da die Weidetiere nicht vorhanden waren. Stets ist der Nomadismus mit tribalistischen Gesellschaftsstrukturen verbunden.

Häufigste Nutzvieharten sind Schafe und Ziegen. Reinbestände einer Tierart sind selten, häufiger werden gemischte Herden gehalten (Verwertung verschiedener Pflanzen, Risikostreuung). Als Prestigetiere gelten in der Sahara und in der Arabischen Wüste das Kamel, in den Wüsten Turkestans und in der Mongolei das Pferd. Die Größe des Viehbestandes bestimmt den sozialen Rang und das Ansehen der Eigentümer der Gemeinschaft, so daß man sich nur selten zum Schlachten oder zum Verkauf eines Tieres entschließt. Aus der Wolle und dem Haar der Tiere werden Kleidungsstücke, Decken und Zeltplanen gefertigt.

Allen Nomaden gemeinsam ist, daß die Milch als Grundnahrungsmittel dient, wobei alle Tierarten gemolken werden: Kamele, Dromedare, Pferde, Esel, Kühe, Ziegen und Schafe.

Neben dem Grad der Mobilität dienen als weitere Differenzierungskriterien Futtergrundlage, Tierarten und Lebensformen wie Wüsten- oder Steppennomadismus.

Fehlende statistische Erhebungen erlauben nur vage numerische Aussagen über Bedeutung und Verbreitung des Nomadismus. Wahrscheinlich können z.Z. weniger als 10 Mio. Menschen als Nomaden bezeichnet werden. Als räumliche Schwerpunkte gelten vor allem der Sahel, Somalia, die ostafrikanischen Hochländer sowie die Hochländer Irans und Afghanistans. In Somalia machen die Nomaden z.B. noch 58 % der einheimischen Bevölkerung aus.

Generell ist aber seit langem von einem deutlichen Niedergang des Nomadismus auszugehen, auch wenn sich in ehemals sozialistischen Ländern eine gewisse Wiederbelebung anzubahnen scheint (Mongolei). Arnold (1997) trug folgende Hauptgründe dafür zusammen:

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