Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

nachhaltige Entwicklung

Ein von der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung im Jahre 1987 mit dem sogenannten Brundtland-Bericht "Unsere gemeinsame Zukunft" eingeführter und danach weiterentwickelter Begriff (engl. sustainable development) für eine auf Dauer sich selbst tragende Wirtschaft. Die Wirtschaft sollte so beschaffen sein, daß sie die Bedürfnisse der Gegenwart erfüllt, ohne daß die Möglichkeiten künftiger Generationen, ihre Bedürfnisse nach einer menschenwürdigen Existenz zu befriedigen, beeinträchtigt werden. Dazu gehört u.a. daß die Freisetzung von Stoffen und Energie nicht größer sein darf als es die Tragfähigkeit der Umweltmedien bzw. ihre Assimilationsfähigkeit zulassen. Eine unter dem Umweltaspekt nachhaltige Wirtschaft erhält den natürlichen Kapitalvorrat - eben das Naturvermögen - intakt und macht damit einen Raum zukunftsfähig.

Sustainable development ist ein nicht endgültig gefasster Begriff, für den es verschiedene Definitionen, Übersetzungen und Interpretationen gibt. Kontrapunktisch gegenüber stehen sich beispielsweise die Auffassung von der Natur als alleinig normativer Instanz und die Deutung, die das Leitbild der "nachhaltigen Entwicklung" primär auf die Systemgesetze der Wirtschaft bezieht und es als tragendes Prinzip zur Rechtfertigung ökonomischer Wachstumsprozesse in Anspruch nimmt.

Durch die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro ist die umfassende politische Zielbestimmung der sustainable development als wegweisende Programmatik für die Bewältigung der gemeinsamen Zukunft der Menschheit für die internationale Völkergemeinschaft verbindlich geworden. Mit diesem Leitbegriff wird kenntlich gemacht, daß ökonomische, soziale und ökologische Entwicklung notwendig als eine innere Einheit zu sehen sind. Die drei Elemente dürfen nicht voneinander abgespalten und gegeneinander ausgespielt werden. Soziale Not kann einem verantwortungslosen Umgang mit den Ressourcen der Natur ebenso Vorschub leisten, wie rücksichtsloses wirtschaftliches Wachstumsdenken oder ein Fortschritt, der gegen grundlegende Bedingungen der Natur verläuft. Als Fortschritt kann nur bezeichnet werden, was von den Bedingungen der Natur mitgetragen wird. Dauerhafte Entwicklung schließt sonach eine umweltgerechte, an der Tragfähigkeit der ökologischen Systeme ausgerichtete Koordination der ökonomischen Prozesse ebenso ein, wie entsprechende soziale Ausgleichsprozesse zwischen den in ihrer Leistungskraft immer weiter divergierenden Volkswirtschaften.

Ein sustainability-Konzept sollte nach einer Studie des Wuppertal-Instituts eine zweifache Verantwortungskomponente beinhalten: Verantwortung für künftige Generationen und Verantwortung für die Dritte Welt. Diese Verantwortung läßt sich in einem doppelten Gleichheitsgrundsatz ausdrücken: 1. Die künftigen Generationen sollen gleiche Rechte auf eine intakte Natur erheben dürfen. 2. Jeder Mensch hat das gleiche Recht, global zugängliche Ressourcen in Anspruch zu nehmen, solange die Umwelt nicht übernutzt wird.

Gefordert ist nach Auffassung des Umweltrates die Einbindung der Zivilisationssysteme in das sie tragende Netzwerk der Natur, und damit die dauerhafte Ausrichtung der sich fortschreitend entwickelnden Ökonomien an der Tragekapazität der ökologischen Systeme. Die hier maßgebliche ethische Kategorie heißt "Gesamtvernetzung" (Retinitätsprinzip, lat. "rete", das Netz). Das Konzept der sustainable development stellt mit seiner auf die innere Einheit der wirtschaftlichen, der sozialen und der ökologischen Entwicklung gerichteten Grundoption die notwendige und konsequente Operationalisierung des Retinitätsprinzips dar.

Soll die Wirtschaft zukunftsfähig sein, muß sie als zirkuläre Ökonomie so ausgelegt werden, daß die Produktionsprozesse von Anfang an in die natürlichen Kreisläufe eingebunden bleiben. Eine nicht umweltverträgliche Form des Wirtschaftens handelt letztlich ihrer eigenen Vernunft zuwider, indem sie das zerstört, wovon sie lebt. Vorrangig geht es also darum, die Umweltfunktionen zu erhalten. Das Naturkapital muß soweit geschont werden, wie es für die dauerhafte Aufrechterhaltung dieser Umweltfunktionen notwendig ist. Der Kapitalstock an natürlichen Ressourcen muß soweit erhalten bleiben, daß das Wohlfahrtsniveau zukünftiger Generationen mindestens dem Wohlfahrtsniveau der gegenwärtigen Generation entsprechen kann.

Daraus ergeben sich folgende Managementregeln der Nachhaltigkeit:

  1. Regeneration: Erneuerbare Naturgüter wie z.B. Holz oder Fischbestände dürfen auf Dauer nur im Rahmen ihrer Regenerationsfähigkeit genutzt werden, andernfalls gingen sie zukünftigen Generationen verloren.
  2. Substitution: Nicht-erneuerbare Naturgüter wie z.B. Mineralien und fossile Energieträger dürfen auf Dauer nur in dem Maße genutzt werden, wie ihre Funktionen durch andere Materialien oder durch andere Energieträger ersetzt werden können.
  3. Anpassungsfähigkeit: Die Freisetzung von Stoffen oder Energie darf auf Dauer nicht größer sein als die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme - z.B. des Klimas, der Böden oder der Wälder.

Eine auf nachhaltige Entwicklung zielende Politik benötigt eine Meßgröße, die das gesamtgesellschaftliche Nutzenniveau abbildet. Die Modifikation des herkömmlichen Konzepts zur Wohlfahrtsmessung in Richtung eines "nachhaltigen Nettoinlandsprodukts" ist nach dem Urteil der Ökonomen allerdings noch nicht praxisreif.

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