Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Dorfgrundriss

Auch Dorfform; Bezeichnung für das zentrale Kriterium zur physiognomischen Beschreibung und Typisierung ländlicher Siedlungen. Der Siedlungsgrundriss setzt sich aus der Verkehrsfläche und der bebauten Flächenstruktur, sowie der Form und Anordnung der Flurstücke zusammen. Der Dorfgrundriss beinhaltet das Punkt-/ Liniengefüge von Straßen, Plätzen, Häusern und Hofstellen in ihrem Verlauf und ihrer Zuordnung.

In den einzelnen Teilregionen Deutschlands haben sich unter dem Einfluss von Naturraum, Tradition, Kultur und Gesetzgebung unterschiedliche Dorfformen herausgebildet.

Die regionale Differenzierung der traditionellen Ortsgrundrissformen ist das Ergebnis der historischen Phasen einer ca. 1500 Jahre währenden Kulturlandschaftsentwicklung. Die Grundrissmuster zerfallen um 1950, d.h. noch vor der Verstädterung vieler Dörfer, in planmäßig-regelhafte Ortsgründungen sowie in Ortsformen, die auf eine regellos-gewachsene Entwicklung zurückgehen. Ihre jeweilige Genese steht im Zusammenhang der Siedlungsträger und ihrer Motive sowie im Rahmen der jeweiligen agrarökologischen Situation.

Ländliche Ortsformen
Ländliche Ortsformen

Quelle: Haversath, J.-B. und Ratusny, A. (2002): Traditionelle Ortsgrundrissformen und neuere Dorfentwicklung. In: Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland/5. – Dörfer und Städte / Institut für Länderkunde, Leipzig (Hrsg.). Mitherausgegeben von Klaus Friedrich, Barbara Hahn und Herbert Popp. Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag, 2002, S. 50ff.

Ländliche Ortsgrundrissformen

Einzelhöfe Einzelhöfe, zu denen meist die sie umgebende unregelmäßige Blockflur gehört, finden sich im gesamten Gebiet der Bundesrepublik, sind aber landschaftsbestimmend vor allem zwischen Niederrhein und mittlerer und unterer Weser (wo sie teilweise von Kleinweilern, sog. Drubbeln, durchsetzt sind), im Schwarzwald und im Niederbayerischen Tertiärhügelland (wo sie einer hochmittelalterlichen Ausbauzeit angehören). Im Allgäu sind sie die Folge einer frühen Flurbereinigung seit dem 16. Jh.
Weiler Auch Weiler (Gruppensiedlungen von 3-20 Höfen) kommen in Gestalt regelloser oder – in geringerer Zahl – regelhafter Ortsformen in altbesiedelten Räumen wie auch in jungbesiedelten Mittelgebirgen vor. Sie können als solche planmäßig angelegt oder als Wachstumsformen aus Einzelhöfen entstanden sein. Im Bereich der mittelalterlichen Ostsiedlung treten sie in wesentlich geringerer Zahl und disperser auf als im westlichen Deutschland.
Haufendörfer Die Verbreitung unterschiedlich großer Haufendörfer, d.h. unregelmäßiger ländlicher Siedlungen mit mehr als 20 Hof- bzw. Hausstellen, fällt zu einem Teil mit den altbesiedelten thermisch begünstigten Lagen mit fruchtbaren Böden zusammen. In mittleren Höhenlagen kommen sie dort vor, wo Lehmböden auf Kalk eine natürliche Gunst gewährleistet haben. Sie entstanden meist aus frühmittelalterlichen Einzelhöfen und Kleinweilern im Lauf des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit durch Zuwanderung, aber auch durch natürliches Bevölkerungswachstum, meist bei gleichzeitiger mehr oder weniger starker Zersplitterung der ackerbaulich genutzten Fläche.
regelhafte Ortsgrundrisse Regelhafte Ortsgrundrisse sind z. B. die Reihensiedlungen in Form von Waldhufen-, Hagenhufen-, Marsch- und Moorhufensiedlungen, die sich zeitlich vom 12. bis zum 18. Jh. einordnen lassen. Ihr linearer Grundriss ist durch einen weiten Abstand zwischen den einzelnen Höfen gekennzeichnet, an die sich jeweils breit- und langstreifig die Flur mit weitgehend komplettem Hofanschluss anfügt.
Straßendörfer Ebenfalls ein linearer Grundriss kennzeichnet Straßendörfer, jedoch mit einem weitaus engständigeren, eher zeilenartigen Charakter der Hof- bzw. Häuserreihen. Ihr Hauptverbreitungsgebiet liegt östlich der Elbe-Saale-Linie im Gebiet der mittelalterlichen Ostsiedlung.
Angerdörfer Eine weitere mittelalterliche Planvariante sind Angerdörfer, deren wesentliches Merkmal der mehr oder weniger ovale, von zwei Hofzeilen umschlossene Platz (Anger) ist. Dieser diente als Viehsammelplatz oder – bachdurchflossen bzw. vom Dorfteich eingenommen – als Viehtränke und kann sich bis hin zum Rechteckplatz in Quellmuldenlage erweitern. Das Hauptverbreitungsgebiet des Angerdorfes ist mit dem des Straßendorfes mehr oder weniger identisch; beide Formen kommen häufig vergesellschaftet vor.
Rundsiedlungen Die Gruppe der Rundsiedlungen nimmt eine Sonderstellung ein: Oft von weilerartiger Größe, können sie aufgrund ihrer markanten runden oder hufeisenartigen Anordnung der Höfe um einen Platz genetisch teils als regellos gewachsen, teils als planmäßig angelegt interpretiert werden. Der flächenhaft geschlossene Bereich der Rundsiedlungen im Elbe-Saale-Raum steht im Zusammenhang mit der Begegnung zwischen slawischen und deutschen Ethnien während der Ostsiedlung. Einem genetisch völlig anderen Rundsiedlungstyp gehören die Wurtendörfer der deutschen Nordseeküste an.
Güter und Gutsdörfer

Güter und Gutsdörfer, vornehmlich im Osten bzw. im Nordosten vorkommend, sind geknüpft an Großgrundbesitz und gebunden an die Entstehung von Gutsherrschaft und Gutswirtschaft seit dem späten 15. Jh.. Die historischen Wurzeln der Gutsbildung im Osten sind vielfältig; sie gründet letztlich wirtschaftlich auf dem fernmarktorientierten Getreidebau, der vom niederen Adel in der frühen Neuzeit vielfach unter Beseitigung älterer ländlicher Siedlungen (Bauernlegen) angestrebt wurde.

In der Verbreitung dieser acht Haupttypen ländlicher Ortsformen spiegelt sich auch der siedlungsgeographische Gegensatz zwischen West- und Ostmitteleuropa wider. Während sich im Westen vornehmlich die gewachsenen Formen befinden, liegen im ostelbischen Raum großflächig die geplanten Formen der Ostsiedlung und – bis etwa zur Mitte des 20. Jhs. – die Güter und Gutsdörfer

In der Verbreitung dieser acht Haupttypen ländlicher Ortsformen spiegelt sich auch der siedlungsgeographische Gegensatz zwischen West- und Ostmitteleuropa wider. Während sich im Westen vornehmlich die gewachsenen Formen befinden, liegen im ostelbischen Raum großflächig die geplanten Formen der Ostsiedlung und – bis etwa zur Mitte des 20. Jhs. – die Güter und Gutsdörfer.

In gewissem Sinne ist die folgende Karte heute bereits historisch, weil seit ca. 1950 zum einen die Durchdringung des ländlichen Raumes mit nicht-ländlichen Funktionen die Ortsgrundrisse verändert hat und weil im Nordosten die Gutssiedlungen weitgehend eliminiert wurden

Der nachhaltige Funktionswandel des ländlichen Raumes seit dem Zweiten Weltkrieg hat auch die tradierten ländlichen Siedlungsformen so stark verändert, dass die typischen "Normalformen" häufig nicht mehr vorhanden oder erkennbar sind (z.B. Prozess der Suburbanisierung im Stadtumland). Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Ortsgrundrissen erfährt in der jüngeren Zeit eine verstärkte Nachfrage. Einmal versuchen Freilichtmuseen mehr und mehr ganze Dorftypen grundrissgetreu darzustellen, zum anderen wird der überlieferte Ortsgrundriss zunehmend im Rahmen der erhaltenden Dorferneuerung erfasst und als Entwicklungsperspektive genutzt.

Typen ländlicher Siedlungen
Typen ländlicher Siedlungen

Quelle: Haversath, J.-B. und Ratusny, A. (2002): Traditionelle Ortsgrundrissformen und neuere Dorfentwicklung. In: Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland/5. – Dörfer und Städte / Institut für Länderkunde, Leipzig (Hrsg.). Mitherausgegeben von Klaus Friedrich, Barbara Hahn und Herbert Popp. Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag, 2002, S. 50ff.

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