Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Dorfentwicklung

Die Entwicklung von Dörfern wird durch ihre räumliche Lage und verkehrliche Anbindung, die historische Entwicklung, soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen geprägt. Der Begriff Dorfentwicklung hat zum einen eine prozessuale Bedeutung: Stattfindende Veränderungsprozesse kleiner Siedlungseinheiten in ländlichen sowie in verstädterten Räumen werden als Dorfentwicklung bezeichnet. Zum anderen versteht man unter Dorfentwicklung die aktive Förderung angestrebter Veränderungen durch lokale oder externe Akteure mittels verschiedener Instrumente raumbezogener Planung und Politik. Die Handlungsfelder der Dorfentwicklung decken ein breites Spektrum von Fragen der baulichen, funktionalen und ökologischen Entwicklung über soziale und kulturelle Belange bis zur wirtschaftlichen Entwicklung ab.

Typen der Dorfentwicklung
Typen der Dorfentwicklung

Quelle: Haversath, J.-B. und Ratusny, A. (2002): Traditionelle Ortsgrundrissformen und neuere Dorfentwicklung. In: Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland/5. – Dörfer und Städte / Institut für Länderkunde, Leipzig (Hrsg.). Mitherausgegeben von Klaus Friedrich, Barbara Hahn und Herbert Popp. Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag, 2002, S. 50ff.

Auf Grund der unterschiedlichen Entwicklungsdynamik in den einzelnen Landesteilen können besondere Typen der Dorfentwicklung ausgewiesen werden. Sie spiegeln die Hauptkategorien der räumlichen Entwicklung im Stadt-Land-Kontinuum wider.

Typ 1: In den stark wachsenden suburbanen Randzonen der Verdichtungsräume bilden ehemals bäuerlich geprägte Dörfer physiognomische Inseln, die von einem Kranz neuer Wohn- und Gewerbegebiete umgeben sind. Baulicher Zuwachs bedeutet für diese Gemeinden eine funktionale Stärkung und einen wirtschaftlichen Gewinn. Auf gesellschaftlicher Ebene bildet sich in der Regel eine Kluft zwischen der einheimischen und der zugezogenen Bevölkerung.

Typ 2: In günstiger Lage zu den Verdichtungsgebieten, aber doch deutlich hiervon abgesetzt, bilden Revitalisierung und Dorferneuerung die hervorstechenden Kennzeichen. Rückbesinnung auf die örtlichen Traditionen führt im baulichen und gesellschaftlichen Bereich vielfach zu einer Renaissance alter Strukturen. Einheimische und Zugezogene finden im Idealfall über eine gemeinsame regionale und lokale Identität zu einem neuen dörflichen Selbstverständnis.

Typ 3: In Orten mit ausgeprägtem überregionalem Fremdenverkehr nehmen die bauliche Erhaltung und Pflege eine noch wichtigere Rolle ein, weil sie das Image der Siedlung maßgeblich beeinflussen. Die forcierte Wiederbelebung gesellschaftlicher Aktivitäten in Form von Dorffesten, der Pflege von Brauchtum und Vereinswesen zeigt vielfach folkloristische Züge.

Typ 4: In abseits gelegenen, weiterhin agrarisch geprägten Regionen stagniert der Baubestand der meisten ländlichen Siedlungen. Die Einwohnerzahl schrumpft, Schule, Post, Lebensmittelgeschäfte oder andere örtliche Kommunikationszentren wie Wirtshaus und Gemeindebüro sind längst verschwunden. Nur wo es der technische Standard oder die Lebensansprüche verlangen, wird umgebaut, ansonsten überwiegen tradierte Raumstrukturen.

Ländliche Lebensverhältnisse im Wandel 1952, 1972, 1993 und 2012

Eine 2015 abgeschlossene Untersuchung für eine einzigartige wissenschaftliche Langzeitstudie, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in kleinbäuerlichen Dörfern in Westdeutschland begonnen wurde und die sich für das Alltagsleben in diesen Dörfern, den Wandel der Lebensverhältnisse und der Arbeit interessierte. 2012 konnte die Studie ein viertes Mal in zehn Dörfern der alten Bundesländer und zum zweiten Mal in vier ostdeutschen Dörfern durchgeführt werden.

Das auffälligste Ergebnis der „14-Dörfer-Studie“ ist die Vielfalt dörflicher Entwicklungen – sowohl bezogen auf die letzte Erhebung 2012/2014 als auch im Zeitvergleich seit 1952 (möglich für die zehn westdeutschen Untersuchungsdörfer) bzw. seit 1993/95 (bezogen auf die vier ostdeutschen Dörfer). Die Entwicklungen verliefen nicht linear, und viele der aus den früheren Erhebungen abgeleiteten Zukunftsprojektionen sind nicht eingetreten. Nicht einzelne Faktoren, etwa die verkehrliche Lage oder regionale, wirtschaftliche und demografische Entwicklungen, waren dafür verantwortlich, sondern vor allem die Anstrengungen und das Engagement der Menschen vor Ort, vielfach unterstützt durch staatliche Programme. (BMEL)

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