Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Edelkastanie

Die Edelkastanie (Castanea sativa), auch Esskastanie und Echte Kastanie genannt, ist der einzige europäische Vertreter der Gattung Kastanien (Castanea) aus der Familie der Buchengewächse (Fagaceae).

In Süd- und Westeuropa wird sie wegen ihrer essbaren Früchte und als Holzlieferant angebaut. Im 20. Jahrhundert gingen die Bestände durch den Befall mit dem Kastanienrindenkrebs stark zurück, erholten sich jedoch Ende des 20. Jahrhunderts wieder. Die Esskastanie wurde zum Baum des Jahres 2018 gewählt. Weil sie sehr anpassungsfähig ist und gut mit Wärme und trockenen Böden zurechtkommt, gilt sie mit Blick auf den Klimawandel seit einiger Zeit als Baum der Zukunft.

Die Früchte werden zum einen mit dem Überbegriff Kastanien bezeichnet, mit dialektalen Varianten wie Keschde in der Pfalz und Keschtn in Südtirol. In weiten Teilen Österreichs ist sie im Dialekt unter dem Begriff Kestn bekannt. Zum anderen sind sie als Maronen bekannt, mit den Varianten Maroni in Österreich und Marroni in der Schweiz. Vom Mittelalter bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Edelkastanie in den Bergregionen Südeuropas das Hauptnahrungsmittel der Landbevölkerung, da sie anspruchsloser als z. B. Weizen ist.

Die in Europa weit verbreitet gepflanzten Rosskastanien sind trotz vieler Ähnlichkeiten weder mit der Edelkastanie verwandt noch sind die Früchte der Rosskastanie zum menschlichen Verzehr geeignet.

Beschreibung

Die Edelkastanie ist ein sommergrüner Baum und bildet stärkereiche Nussfrüchte. Selten wachsen Edelkastanien strauchförmig. Sie werden durchschnittlich 15 bis über 25 Meter, selten bis über 35 Meter hoch. Der Stammumfang liegt meist bei 1 bis 5 Metern, kann bei sehr alten Bäumen aber durchaus über 10 Meter erreichen. Der Stamm ist meistens gerade und kräftig, die Verzweigung beginnt oft in geringer Höhe, wobei wenige starke Äste gebildet werden. Die Krone ist weit ausladend und hat eine rundliche Form. Über 100 Jahre alte Bäume werden oft hohl.

Edelkastanien erreichen in der Regel ein Alter von 500 bis 600 Jahren. In Mitteleuropa werden sie kaum über 200 Jahre alt, in Westeuropa können sie bis 1000 Jahre alt werden. Der größte bekannte Baum ist der sehr dicke Castagno dei Cento Cavalli (Kastanienbaum der hundert Pferde) auf Sizilien, der auf ein Alter von mindestens 2000 Jahren geschätzt wird.

Verbreitung

Die Edelkastanie hat während der letzten Kaltzeit in mindestens drei voneinander isolierten Regionen „überwintert”, und zwar auf der Iberischen und Italischen Halbinsel, im südöstlichen Balkan und nordwestlichen Anatolien sowie im Gebiet südlich des Kaukasus. Dort, im nordöstlichen Teil Anatoliens, begann vermutlich die Kulturgeschichte der Esskastanie. Später waren es dann die Griechen, die die Kultivierung und Veredelung der Esskastanie weiterentwickelten und ihre Erfahrungen dann im gesamten Mittelmeerraum verbreiteten. So kam das Wissen auch ins Römische Reich und mit den Römern letztlich nach Mittel- und Westeuropa. Obwohl außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets, hat die Esskastanie in Südwestdeutschland ausreichend warme Standorte gefunden, auf denen sie sich voll entfalten und wohl auch längerfristig behaupten kann. DiegrößtenEss-Kastanienbestände befindensichimOberrheingrabenamOstranddesPfälzerwaldes,dersogenanntenHaardt,sowie amWesthangdesSchwarzwaldes,vorallemimOrtenaukreis. Auch im übrigen Deutschland und noch weiter nördlich (Dänemark und Südschweden) ist die Esskastanie anzutreffen.

Nutzung

Holz: Das Holz der Edelkastanie hat einen warmen, goldbraunen Ton. Verglichen mit Eichenholz fehlen Markstrahlen, so dass die Maserung nicht so stark ausgebildet ist. Es ist leicht zu bearbeiten und im Freien auch ohne chemische Behandlung weitgehend witterungs- und fäulnisbeständig. Da der Faserverlauf meist gerade ist, kann es verhältnismäßig gut gebogen werden. Es nimmt Politur, Beizen, Lack und Farbe gut an. Holz von Hochwald-Bäumen wird zu Möbeln und zu Fenster- und Türrahmen verarbeitet, aber auch zu Telegraphenmasten und ähnlichem. Kleinere Hölzer aus dem Niederwald werden zu Gartenzäunen, Weidepfosten, Wein- und Likörfässern verarbeitet. In der Vergangenheit war die Holzkohlenerzeugung und die Nutzung als Feuerholz von großer Bedeutung. Das Holz wird außerdem für Eisenbahnschwellen, Decken- und Dachbalken und bei Hang- und Lawinenbauten sowie im Schiffbau eingesetzt. Weiterhin werden drei- bis vierjährige Schößlinge zur Herstellung von Wanderstöcken verarbeitet. Die Borke wurde in der Vergangenheit zum Ledergerben verwendet.

Frucht: Kastanien haben eine breite Verwendungspalette. Als Halbfertigprodukte werden geschälte Maroni und Kastanien sowie Kastanienpüree hergestellt, sie werden weiterverarbeitet, bevor sie an den Endverbraucher gelangen. Die Palette an Fertigprodukten ist wesentlich größer: ganze geschälte Kastanien werden vor allem in Frankreich zum Kochen im Haushalt verwendet, sie dienen häufig als Beilage. Kastanien können auch in Wasser, trocken oder vakuumverpackt sein, tiefgefroren oder in Zuckersirup eingelegt. Große Maroni (55 bis 65 Stück je kg) werden kandiert, das heißt langsam in Zuckersirup gekocht. Sie dienen unter anderem als Grundlage für die Herstellung von Marrons Glacés, glasierten Maroni. Weitere Produkte sind Maroni in Alkohol, Maronenkrem, -mehl und -flocken. Maronenmehl wird aus getrockneten und geschälten Kastanien hergestellt und meist mehrfach gemahlen. In der Vergangenheit war es sehr weit verbreitet und in vielen Gebieten ein Hauptnahrungsmittel. Es wird zu Gnocchi, Pasta, Brot, Polenta und Gebäck verarbeitet. Maronenflocken werden in Frühstücks-Müslis verwendet. In Frankreich und Italien wird aus Kastanien Likör hergestellt, auf Korsika und in der Schweiz Bier.

Vermicelles mit Vanilleeis Kastanien sind glutenfrei, das Mehl kann daher von Zöliakie-Kranken als Getreide-Ersatz verwendet werden.Kastanien werden gekocht oder geröstet als Beilage verwendet oder als Salatzutat. Sie werden zu Huhn, Truthahn, Schwein, Gans und Hase als Beilage gereicht oder zum Füllen verwendet. Als Süßigkeit werden Kastanien zu den erwähnten marrons glacés, zu Vermicelles, Mousse, Soufflé, Creme und Eiscreme verarbeitet. Traditionelle Desserts sind castagnacci (Kastanienbrot), necci (Pfannkuchen), Pudding und ballotte (Kastanien in Fenchelwasser gekocht). Weit verbreitet sind geröstete Kastanien, die auch außerhalb der Anbaugebiete im Winter auf Straßen verkauft werden. Maronen haben einen zart süßen, nussigen und etwas mehligen Geschmack. Aus den Maronen kann auch ein Bier gebraut werden.

Im Burgenland werden die Kaesten, wie die Edelkastanien im dortigen Dialekt bezeichnet werden, zu den traditionellen Lebensmitteln gezählt. Bereits die Zisterzienser, die hier als Urbarmacher der Region gelten, pflanzten Kastanien. Unter ungarischer Herrschaft vor 1918 waren zahlreiche Kulturen vorhanden.

Weitere Produkte: Kastanienhonig ist bernsteinfarben oder noch dunkler und aromatisch. In traditionell bewirtschafteten Wäldern können verschiedene Pilze geerntet werden, die einen Zuverdienst für die Kastanienbauern darstellen. Die Blätter werden zu einem kleinen Teil für die Produktion von Aftershave-Lotions und zum Färben von Stoffen verwendet. Neue Forschungsberichte belegen eine Wirksamkeit gegen MRSA-Bakterien. Traditionell ist die Schweinemast mit Kastanien, besonders in Spanien, Süditalien und auf Korsika. Aus ihrem Fleisch wird vorwiegend Schinken und Salami hergestellt. Traditionell wurden die abgefallenen Blätter als Streu sowohl als Dünger oder Einstreu in Stallungen verwendet. Die Blätter werden in der Volksmedizin bei Husten, zur Wundbehandlung und bei Durchfall eingesetzt.

Weitere Informationen:

Pfeil nach linksEdaphonHausIndexEFAPfeil nach rechts