Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Erbrecht

Hier die Gesamtheit der Rechtsnormen, durch die Vermögensrechte und -pflichten aus Anlaß des Todes eines Landwirtes auf eine andere Person übergehen sowie die Summe der Berechtigungen des Erben, der in die Rechte und Pflichten des Erblassers eintritt. Die Vererbung des landwirtschaftlichen Grundeigentums erfolgt häufig nach festen Regeln, die durch Sitte oder geschriebenes Recht festgelegt sind. In vielen Teilen Europas wird die Betriebsübergabe bereits zu Lebzeiten des Betriebsleiters durch Hofübergabevertrag vorgenommen. Seit dem WK II haben sich auch Formen einer vorbereitenden Hofübergabe entwickelt, die sogenannte gleitende Hofübergabe, bei der beispielsweise im Rahmen von Pacht- und Gesellschaftsverträgen sowohl der alte Landwirt als auch sein Nachfolger an der Betriebsleitung und/oder am Betriebsvermögen beteiligt sind. Verschiedentlich kommen in einzelnen Regionen Europas noch Familiengemeinschaften vor, wodurch eine Teilung des Hofes vermieden werden kann.

Im westlichen Teil Europas ist zwischen Ländern zu unterscheiden, die kein besonderes landwirtschaftliches Erbrecht kennen, in denen sich also ein landwirtschaftlicher Betrieb nach den Regeln des bürgerlichen Erbrechts vererbt, und solchen Ländern mit einem besonderen landwirtschaftlichen Erbrecht. Ganz allgemein läßt sich aber in der Gesetzgebung der europäischen Länder eine Tendenz zur Einführung eines landwirtschaftlichen Erbrechts feststellen. Nachdem ursprünglich ein solches Recht auf die deutschsprachigen Länder Mitteleuropas, auf Dänemark und Norwegen beschränkt gewesen ist, haben beginnend mit Frankreich auch weitere romanische Länder Sondererbrechte eingeführt.

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) der Bundesrepublik Deutschland geht in seinem Erbrecht nur an wenigen Stellen auf die besonderen Bedürfnisse der Landwirtschaft ein. Die Bundesländer besitzen die Befugnis zur Gesetzgebung, solange nicht der Bundesgesetzgeber die Materie regelt. So gibt es abweichend vom BGB für manche Regionen die Sonderregelung der geschlossenen Vererbung (Anerbenrecht, auch Höferecht), die grundsätzlich von der geteilten Vererbung (Realteilung) zu unterscheiden ist. In Baden-Württemberg gibt es mit dem Badischem Hofgütergesetz und dem Württembergischen Anerbengesetz ein besonderes Landes-Anerbenrecht. Dazwischen bestehen Übergangsformen, etwa dergestalt, daß der Hauptteil des Betriebes geschlossen, besonders attraktive Grundstücke mit Bauerwartungswert aber geteilt vererbt werden, oder daß die Erbteilung zwar vorgenommen, die Felder jedoch von den weichenden Geschwistern einem Erben zur geschlossenen Bewirtschaftung als Pachtland zu günstigen Bedingungen überlassen werden.

Beim Stockerbenrecht der Eifel erhält der übernehmende Erbe das Gehöft und jenen Bestand an Grundstücken, den schon der Erblasser einst übernommen hatte, während später durch Heirat, Kauf o.ä. hinzugekommene Äcker unter die übrigen Erben aufgeteilt werden. Bei der Realerbteilung gibt es neben der völligen Gleichstellung aller Erben recht häufig eine Bevorzugung der Söhne gegenüber den Töchtern. Diese Art der Erbfolge ist u.a. im islamischen Orient weit verbreitet. Ein weiteres Beispiel einer Zwischenform ist das patrilineare Erbrecht, wie es u.a. im Dukagjin (nordalbanische Alpen) praktiziert wird. Dort gehört der Grundbesitz unveräußerlich der männlichen Abstammungslinie. Eine Tochter kann den Besitz selbst dann nicht übernehmen, wenn sie das einzige Kind einer Familie ist.

Die Art der Vererbung prägt die Größe, Wirtschaftskraft, Betriebsausrichtung und Sozialstruktur der Betriebe, des weiteren die Größe, Verteilung und Mobilität der Besitzparzellen in der Flur und nicht zuletzt die Dichte und Art der Bebauung in den ländlichen Siedlungen. Ferner wird durch die Vererbungskonvention die Entwicklung des ländlichen Gewerbe- und Kulturlebens beeinflusst.

Landwirtschaftliche Vererbung in Baden-Württemberg
Landwirtschaftliche Vererbung in Baden-Württemberg

Quelle: LEL

Die Verbreitung der landwirtschaftlichen Erbsitten in Europa:

Ursachen für die unterschiedliche regionale Verbreitung der Erbsitten:

In den alten Bundesländern sind die regionalen Unterschiede zwischen den Gebieten mit vorherrschender Realteilung und vorherrschender geschlossener Vererbung seit dem 19. Jahrhundert bis heute deutlich erkennbar geblieben. Grundsätzlich ist aber ein Rückgang der Realteilung zu beobachten. Industrialisierung und betriebliche Entwicklung in der Landwirtschaft haben diese Tendenz gefördert. Das Reichserbhofgesetz von 1933 versuchte eine rigide Anerbenregelung für das ganze Reich durchzusetzen, es wurde nach dem 2. Weltkrieg aufgehoben. Die neuen Höfeordnungen einzelner Bundesländer respektieren wieder die älteren Erbregelungen, führten den Grundsatz der Freiwilligkeit ein, fördern jedoch den Gedanken der geschlossenen Vererbung. Eine bundeseinheitliche Regelung des Erbrechts für landwirtschaftliches Grundeigentum gibt es in Deutschland bislang nicht.

Bewertung der Vererbungssitten
Anerbensitte Realteilung
  • erhält landwirtschaftlich leistungsfähige Höfe
  • paßt in den aktuellen Trend zur Betriebsvergrößerung
  • lässt weniger landwirtschaftliche Existenzen zu
  • bedeutete früher eine Bevorzugung des Anerben (heute bietet ein außerlandwirtschaftlicher Beruf oft eine bessere Existenzgrundlage)
  • führt zu Betriebsverkleinerung und zu Zersplitterung der Fluren (Behinderung mechanischer Bewirtschaftungsmethoden)
  • Betriebe häufig nicht als Vollerwerbsbetriebe führbar
  • bei Sonderkulturen nicht besonders nachteilig
  • größere Erbgerechtigkeit

Weitere Informationen:

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