Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Real(erb)teilung

Auch Freiteilbarkeit; Vererbung des landwirtschaftlichen Betriebes an alle Erbberechtigten. Es muß daraus jedoch keine tatsächliche Aufsplitterung eines Betriebes erfolgen. In der Regel dient der Grund und Boden als Teilungsmasse, während das eigentliche Gehöft von der Teilung ausgespart bleibt. Dennoch gibt es z.B. im südwestdeutschen Raum auch Hofgebäudeteilungen bis hin zum Stockwerkseigentum. Im Extrem kam es bei der Aufteilung von Stuben innerhalb von Häusern unter jeweils mehreren Eigentümern im Oberinntal und im Trentino zur Markierung der Zimmeranteile mit Kohlestrichen auf dem Boden.

Trotz notariell vollzogener Aufteilung des Erbgutes kann der Fortbestand des Betriebes gewahrt werden, wenn einer der Erben oder ein Pächter den Hof übernimmt, die anderen Erben in nichtlandwirtschaftlichen Berufen tätig sind und Pachtgeld beziehen. Die freie Teilbarkeit des Bodeneigentums ist den politisch-gesellschaftlichen Ideen des Liberalismus, der Gleichheit und Gerechtigkeit verpflichtet. Das Prinzip, allen Erbberechtigten die gleichen Startchancen zu bieten, hat Vorrang vor der Sicherung des Hofes, der sogenannten Hofidee, die das Anerbenrecht prägt. Die Folge ist ein ständiger Auf- und Abbau der landwirtschaftlichen Betriebe.

Für die landwirtschaftliche Betriebsplanung auf lange Sicht bedeutet die Erbsitte der Freiteilbarkeit ohne Zweifel eine Erschwernis. Jede Generation muß neu disponieren und auch die Mühen des Betriebsaufbaus erneut auf sich nehmen. Nicht zuletzt führt die Mobilisierung des Bodens häufig zu überhöhten Bodenpreisen, die in keinem Verhältnis mehr zur Ertragsfähigkeit stehen und somit Überschuldungen zur Folge haben.

Auch wo jeder Erbe sein Erbteil für sich in Anspruch nimmt, bedeutet die Realteilung als vorherrschende Erbsitte nicht zwingend eine fortgesetzte Verkleinerung der landwirtschaftlichen Betriebe, weil durch Heirat und Zukauf sich die Betriebe auch wieder vergrößern lassen. Die Mobilität des Bodens ist in Realteilungsgebieten meist größer als in Gegenden mit vorherrschendem Anerbenrecht. Vor allem sind Stückelung und Gemengelage des Grundbesitzes in den Realteilungsgebieten meist sehr beträchtlich (Flurform). Das bedeutet überdurchschnittlich lange Fahrtzeiten, Erschwerung des Maschineneinsatzes etc.

Durch das Bestreben der Landwirte große Schläge zu bewirtschaften, werden vielfach Flächen getauscht bzw. zusammengelegt. Für den Betrachter sind dann auch in einem typischen Realteilungsgebiet die zugrundeliegenden kleinen Flurstücke nicht mehr erkennbar und vermitteln eine scheinbar normale Flächenstruktur.

Zu den besonderen Vorzügen der Realteilung gehört neben der größeren Erbgerechtigkeit, daß für jeden Erben Anreize zu wirtschaftlichem, und sozialem Aufstieg geschaffen sind, Tüchtigkeit und innovatives Handeln werden damit gefördert. Der Zwang zur Abwanderung großer Teile der jungen Generation ist daher in Realteilungsgebieten, die meist eine wachsende Bevölkerung aufweisen können, nicht so stark. Charakteristisch ist die berufliche Mischung von Landwirten und Nichtlandwirten. Viele Kleinbauern suchen eine Neben- oder Zuerwerbstätigkeit, so dass in den Realteilungsdörfern (z.B. in Süddeutschland) häufig ein reichhaltiges Handwerk und Gewerbe ausgebildet ist. Es erscheint fast konsequent, daß in diesem innovations- und gewerbefreundlichen Umfeld auch die Industrialisierung einen günstigen Ansatz fand.

Als Beispiel die Verbreitung in Baden-Württemberg:

Realteilung galt im mittleren Neckarraum von Heilbronn im N bis nach Tuttlingen im S und vom Ostrand des Schwarzwaldes bis zu einer östlichen Linie, die etwa von Mergentheim über Backnang, Göppingen, Münsingen, Sigmaringen bis Überlingen reicht. Sie galt außerdem im Oberrheintal und im Kraichgau.

Im größeren Teil des Schwarzwalds und im östlichen wie südlichen Teil des Landes wurden die landwirtschaftlichen Betriebe geschlossen vererbt. In den Randgebieten und in den früheren Kreisen Lörrach und Heidenheim waren Mischformen des Erbrechts maßgebend, die heute in weiten Teilen des früheren Realteilungsgebiets übernommen werden. Die weite Verbreitung der Freiteilbarkeit bewirkte eine starke Zersplitterung der LN in Baden-Württemberg.

Da die Aufteilung bei jedem Erbgang stattfindet, nimmt von Generation zu Generation die Kleinparzellierung der Flurstücke zu. Das Ergebnis dieser Zersplitterung ist eine Vielzahl kleiner Parzellen, die zunehmend ineffizient zu bewirtschaften sind. Die Folge ist oft eine Neuordnung der Feldflur in Form von Flurbereinigungen und freiwilligen Zusammenschlüssen. Durch das Bestreben der Landwirte große Schläge zu bewirtschaften, werden vielfach Flächen getauscht bzw. zusammengelegt. Für den Betrachter sind dann auch in einem typischen Realteilungsgebiet die zugrundeliegenden kleinen Flurstücke nicht mehr erkennbar und vermitteln eine scheinbar normale Flächenstruktur.

Eine weitere Folge dieser Struktur ist ein hoher Anteil an Nebenerwerbslandwirten, die nebenbei ein Handwerk betreiben oder in der Industrie tätig sind.

Die Industrialisierung des Landes im 19. Jahrhundert hatte ihre Schwerpunkte in den Realteilungsgebieten: kleine Betriebsgrößen erzwangen den Zuerwerb. Die weite Streuung der Industrie ermöglichte die enge, für Baden-Württemberg charakteristische Symbiose von Landwirtschaft und Industrie. Diese Verbindung gewährte einen wichtigen Rückhalt in Krisenzeiten. Im Hegau und dem Bodenseeraum beispielsweise liegt Realteilung insbesondere in Altsiedelgebieten wie dem Bodenseeuferstreifen vor (kleinparzellierte, schmalstreifige Fluren, fortgeschrittene Angleichung der Betriebsgrößen, dichtbebaute, z.T. ummauerte Dörfer). Bei Intensivkulturen warfen die immer kleiner werdenden Betriebseinheiten noch ausreichenden Lebensunterhalt ab (z.B. Hagnau, Sipplingen).

Vergleicht man die Verdichtungszonen nach dem Landesentwicklungsplan mit der Verteilung nach dem Vererbungsrecht, fällt auf, dass die Anerbengebiete weitgehend ländlich geprägt sind, während die Verdichtungszonen Baden-Württembergs sich hauptsächlich mit dem Realteilungsgebiet in Deckung bringen lassen.

(s. a. Erbrecht)

Pfeil nach linksRauweideHausIndexRebbergPfeil nach rechts