Lexikon des Agrarraums

Kurt G. Baldenhofer

Zuckerrohrplantage in Australien

Agrobiodiversität

Agrobiodiversität, auch Agrarbiodiversität bezeichnet alle Komponenten der biologischen Vielfalt, die für Ernährung und Landwirtschaft sowie das Funktionieren der Agrarökosysteme von Bedeutung sind. Der Begriff schließt zusätzlich alle biologische Vielfalt in Agrarlandschaften mit ein - also nicht nur Nutztiere und -pflanzen.

Dazu gehören:

Die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung von Lebewesen erfolgt im Rahmen von Nutzungssystemen, die in unterschiedlicher Art und Intensität in umgebende Ökosysteme eingebettet sind. Die genutzten Lebewesen stehen daher mit denen der natürlichen Ökosysteme in Verbindung und erbringen so ihre Leistungen. Beispiele hierfür sind durch Bodenlebewesen bewirkte Bodenfruchtbarkeit, durch natürliche Feinde reduzierte Schaderreger oder Bestäubung von Pflanzen durch Insekten.

In engem Zusammenhang zur Agrobiodiversität steht die Vielfalt von Bewirtschaftungs- und Produktionsformen, denn anders als bei der biologischen Vielfalt im Allgemeinen sind viele Bestandteile der Agrobiodiversität auf menschliche Aktivität zwingend angewiesen. Was nicht aktiv genutzt - z. B. angebaut, gehalten, aber auch verarbeitet, gekauft oder gegessen wird, ist letztlich vom Aussterben bedroht.

Wichtige Einflussfaktoren auf die Biodiversität der Agrarlandschaft

Wichtige Einflussfaktoren auf die Biodiversität der Agrarlandschaft

Die derzeitige landwirtschaftliche Praxis wirkt sich negativ auf die Biodiversität vieler Artengruppen aus. Die Ursachen des Biodiversitätsverlustes sind vielfältig, wirken zusammen und verstärken sich wechselseitig. Daher ist die Analyse komplex und es muss das Gesamtsystem betrachtet werden, um die Ursachen für den Biodiversitätsverlust zu ermitteln.

Quelle: BüL

Entstehung

Im Unterschied zur natürlichen biologischen Vielfalt entstand die Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt unter Einflussnahme des Menschen. Mit Beginn der Landwirtschaft vor etwa 10.000 Jahren begann der Mensch mit der Domestikation von Wildpflanzen und Wildtieren, später auch von Fischen. Durch das über Jahrtausende währende Zusammenwirken von Kulturpflanzen, Nutztieren, den verschiedensten standörtlichen Bedingungen und der Einflussnahme des Menschen durch Auslese und Züchtung entstand so eine große Sorten- und Rassenvielfalt. Schätzungen zufolge gibt es z. B. allein bei Reis weltweit etwa 100.000 Sorten. Die meisten der heute bedeutenden Kulturpflanzen und Nutztiere wurden ursprünglich in anderen Gebieten der Erde domestiziert als sie heute genutzt werden. Wichtige Domestikations- und Vielfaltszentren sind die Regionen des fruchtbaren Halbmondes (Naher Osten), Mittelamerika, Nord-Ost-Amerika, die Andenregion, Südostasien und der Mittelmeerraum, die nach dem russischen Botaniker N. I. Wawilow benannten Vavilov-Zentren.

Bedeutung

Eine hohe Agrobiodiversität sichert die zukünftigen Lebensgrundlagen des Menschen, da durch sie ein breiter Genpool zur Nutzung zur Verfügung steht. Die Konzentration auf wenige Hochleistungsrassen, -arten oder -sorten birgt hingegen Ertragsrisiken z.B. durch geringe Krankheitsresistenz oder Umwelttoleranz sowie die Gefahr der Inzuchtdepression, d. h. eines Absinkens von Vitalität, Fruchtbarkeit oder Leistung. Mit dem Verlust an genetischer Vielfalt gehen Optionen für zukünftige Züchtungsarbeit unwiederbringlich verloren. Das erschwert die Anpassung an unvorhersehbare Krankheitsgefahren oder sich ändernde Umweltbedingungen wie den Klimawandel. Darüber hinaus bedeutet er den Verlust von kulturellem Erbe.

Verlust von Agrobiodiversität

Von den ca. 340.000 Pflanzenarten auf der Erde sind rund 30.000 für den Menschen potenziell nutzbar, rund 7.000 werden derzeit in irgendeiner Weise vom Menschen genutzt. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich das Spektrum genutzter Kulturpflanzenarten und besonders der genutzten Sorten stark reduziert. Heutzutage spielen für die menschliche Ernährung weltweit nur rund 150 Arten eine bedeutendere Rolle. Mit nur 30 Pflanzenarten wird derzeit nahezu der gesamte Kalorienbedarf der Weltbevölkerung erzeugt, sie liefern 95 % der pflanzlichen Nahrungsmittel. Die Ernten von nur drei "Haupternährern" - Weizen, Reis und Mais decken 50 % des weltweiten Energiebedarfs der Menschheit.

Besonders in Industrieländern wie Deutschland werden alte Sorten kaum noch angebaut. Schätzungen zufolge beläuft sich hier die Generosion seit Beginn des 20. Jahrhunderts auf über 90 %. Ähnlich verhält es sich bei den Nutztieren: weltweit sind in den vergangenen hundert Jahren 1.000 der anerkannten 6.500 Nutztierrassenarten ausgestorben. Die Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) warnt vor dem Aussterben von 2.000 weiteren hoch bedrohten Rassen und macht darauf aufmerksam, dass derzeit sogar Woche für Woche im Schnitt zwei Rassen verschwinden.

In der ersten Dekade des neuen Jahrtausends waren etwa die Hälfte der globalen Eier- und zwei Drittel der Hühnerfleischproduktion industrialisiert, und nur noch zwei Unternehmen lieferten das genetische Material für Legehennen und vier für Masthähnchen. (Gura, S.) Die FAO schätzt, dass die meisten kommerziellen Züchtungen auf nur vier Rassen bzw. Linien basieren. Bei Schweinen ist die unternehmerische Konzentration in der Tiergenetik weniger weit fortgeschritten, aber die globale industrielle Schweineaufzucht beruht auf nur fünf Rassen. Auch bei Rindern nimmt die Vereinheitlichung des genetischen Materials mithilfe der künstlichen Befruchtung immer weiter zu, denn ein Bulle kann bis zu 1 Mio. Nachkommen zeugen.

In den Entwicklungsländern gibt es kaum eigene Züchtungen, sondern immer mehr Importe aus Industrieländern, wodurch sich die genetische Verdrängung von an ihr Habitat angepassten Tieren durch stark inputabhängige Züchtungen fortsetzt.

Die Gründe für den Verlust von Agrarbiodiversität sind vielfältig. Die moderne Landwirtschaft hat durch Intensivierung, Rationalisierung, Spezialisierung und Konzentration der Produktion maßgeblich zur Verringerung der biologischen Vielfalt bei Kultur- wie bei Wildpflanzen in Deutschland beigetragen. Wirkungen auf die biologische Vielfalt sind dabei von den Veränderungen bei Düngung, Pflanzenschutz, Fruchtfolgen und Flurbereinigung ausgegangen. Besonders die Nivellierung der Anbausysteme sowie der Einsatz von einigen wenigen Hochleistungssorten führte zum Artenverlust. Alte Sorten sind oftmals nicht oder nicht mehr geschützt und damit nicht mehr handelbar. Der Austausch des Saatguts und die notwendige züchterische Weiterbearbeitung der Sorten wird hierdurch wesentlich eingeschränkt. Neben dem Sortenschutz bedingt auch die Einhaltung von Produktionsstandards und die Teilnahme an Qualitätsmanagementsystemen eine Vereinheitlichung der angebauten Sorten und Bewirtschaftungsweisen.

Fördermöglichkeiten

Der Erhalt der Agrarbiodiversität wird im Rahmen von Agrarumweltmaßnahmen finanziell unterstützt. Landwirtschaftliche Betriebe, die In-situ (im natürlichen Lebensumfeld) oder On-farm (Erhaltung auf Bauernhöfen, Archehöfen, in Freilichtmuseen u.ä.) Erhaltungsmaßnahmen durchführen, können an den Agrarumweltprogrammen der Länder teilnehmen.

Weitere Informationen:

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