Hofformen
Durch Größe, architektonische Eigenheiten und Baumaterialien manifestierte Ausdrucksformen von Kräften und Einflussgrößen auf die Gestalt landwirtschaftlicher Anwesen, zu deren wesentlichsten folgende Punkte gehören:
- bäuerliche Wirtschaftsweise (funktionelle Betrachtung)
- Betriebsgröße (Kleinstbetriebe, Güter)
- Traditionsgebundenheit (handwerkliche Bautraditionen)
- Sozialverhältnisse
- obrigkeitliche Einflüsse mit Bauvorschriften
- natürliche Einflüsse durch Relief, vorhandenes Baumaterial (Naturstein-, Ziegel-, Blockhaus- oder Fachwerkbauten), Klima
- Stammesbindungen (Niedersachsenhaus, Fränkisches Gehöft u.a.) - aber: einseitige ethnographische Zuordnungen werden heute überwiegend abgelehnt.
Für Mitteleuropa allein werden zwischen 16 (Schröder, 1974) und 42 (Gebhard, 1982) Formtypen unterschieden. Entsprechend groß ist auch eine beklagenswerte Definitionsvielfalt mit unzähligen Überschneidungen.
Als erste Annäherung: Von Einheitshaus / Einfirsthof / Einbauhaus / Einhaus / -hof spricht man, wenn alle Funktionen unter einem Dach vereinigt sind, im Falle einer Trennung von Mehrbauhof oder Gehöft.
Einheitshäuser | |
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Einheitshäuser mit Längsteilung (Aufteilung innen parallel zur Längsseite) Friesische Haustypen: | |
Eiderstädter Haubarg | in Marschen der Nordsee; größte Bauernhausform; "Vierkant" mit vier Hauptpfosten im Zentrum für Heuspeicherung; Dach bis 15 m hoch; tief herabreichend, ursprünglich Strohbedeckung; Vierkant umgeben von Ställen, Kammern und Abstellräumen unter gleichem Dach. Wohnteil z.T. erst später angefügt; Fehlen von Tenne und Getreidespeicher |
Friesisches Gulfhaus | eng mit Haubarg verwandt; durch Anfügen weiterer Vierkante gestreckter als Haubarg; in der Mitte der vom EG bis zum Dach reichende Gulf für Heu-, aber auch Getreideernte; an Schmalseiten und z.T. Hinterseite Ställe; vorn angefügt Wohnteile mit Diele, Küche und Stuben. Bei beiden Typen relativ geringe Holzverwendung. |
Niederdeutsches Einhaus (ehemals Niedersächsisches Haus) | Verbreitung von Küste bis Mittelgebirgsrand (Kernraum Lüneburger Heide, Oldenburg, Unterweser); Ausdehnung mit Kolonisation längs der Ostseeküste |
Längsdielenhaus (Langhaus) | vier tragende Eckpfosten und giebelseitige große Einfahrt; mittlere Diele als Dreschtenne; seitlich Stände für Vieh; darüber Speicherraum; Verbreiterungen durch Seitenschiffe (Kübbungen) unter herabgezogenem Dach (Dreihallenhaus); in Kübbungen Ställe, Kammern, Vorratsräume; an hinterer Schmalseite Fleet (Querdiele) mit ursprünglich offener Feuerstelle; später Einbau von Wohnstuben und eigenem Wohnteil an Schmalseiten |
Vierständerhaus | Verbreiterung und Verstärkung des Längsdielenhauses mit vier Ständern an Schmalseiten, besonders in Getreidebaugebieten zur Vergrößerung des Speicherraums |
Ostelbische Formen: | |
Längsdielenhaus | in Brandenburg und Pommern mit schmaler Mitteldiele, seitlichen Wohn- und Stallräumen, im Dachgeschoß Erntespeicher; kleiner als Niederdeutsches Einhaus |
Laubenhaus | in Hinterpommern, Ostpreußen, Schlesien, Wartheland |
Einheitshäuser mit Querteilung (Innenaufteilung parallel zur Querseite): | |
Oberdeutsches Einhaus | Aufschließung von der Trauf- nicht von der Giebelseite; Wohnteil, Scheune und Stallungen nebeneinander unter einem Dach; Speicherraum z.T. auch im Dachgeschoß; Wohnteile mit Querflur, Trennung von Küche und Stube, z.T. auch zweigeschossig; Steinmaterial bei Wohnung und Stall, Scheune und Heuboden z.T. aus Holz und Fachwerk; früher Strohdach, in Gebirgsgebieten Holzschindeln (Landerndach); Verbreitung: dt. Alpenvorland, Schwäbische Alb, westliches Rheinisches Schiefergebirge |
Wohn-Stall-Haus (Unterländer, gestelztes Haus) | auch hier Vereinigung von Wohnteil, Stall und Scheune unter einem Dach, jedoch mit Wohnung über dem Stall; letzterer mit Steinwänden, darüber z.T. Fachwerkgerüst (Stelzung im eigentlichen Sinn); meist kleinbäuerlicher Typ; Verbreitung im mitteldeutschen Gebirge von Saargebiet bis Hessisches Bergland, bes. im Neckarland, auch Bodenseegebiet, vertreten auch im Mittelmeerraum und in den Westalpen; bes. in Gebieten der Realteilung und des Weinbaus |
Schwarzwaldhaus | mit Wohnteil an Frontseite, dahinter (zum Hang) Ställe, darüber durch ganzes Haus Speicherraum unter tief herabgezogenem Dach; manchmal auch Wohnteil und Scheune (Heuboden) im Obergeschoß über dem Stall im Untergeschoß; Aufschließung von Traufseite; Unterteil aus Stein, darüber Holzaufbau, Holzveranden an Wohnteil; bei Anbau an Berg Hocheinfahrt in Scheuer; verschiedene Unterarten (Heidenhaus, Kinzig- und Gutachtalhaus) |
Ostbayerischer Langbau | Mehrstöckiger Bau mit vorderem Wohnteil, dahinter Tenne und Ställe (unten) und Scheune (oben). Steinsockel und Holzaufbau, umlaufende Holzgalerien; Eingang an Giebelseite; relativ flaches Dach; ursprünglich Schindeln mit Steinbeschwerung; Verbreitung in Oberbayern und Ostalpen (bes. Salzburg, Tirol) |
Lothringer Haus | mit Querteilung und traufseitiger Aufschließung; enge, oft lückenlose Aufreihung an Dorfstraßen, flach geneigtes Dach |
Mehrbauhöfe (Gehöfte) | |
Ungeregelte Form: | |
Haufen- oder Streuhof | Trennung der Gebäude nach Funktionen mit Wohn-, Ausgedinghaus, Speicher, Ställen, Scheune, Backofen u.a.; manchmal 20 und mehr Gebäude; Altform! Vorkommen z.T. noch in Nordeuropa, den Alpen, SO-Europa, Mitteleuropa; auch der Zwiehof (Paarhof) der Alpen wird dazugerechnet. |
Geregelte Form: | |
Mitteldeutsches Gehöft (ehemals Fränkisches Gehöft) | regelmäßige Anordnung der Wohn- und Wirtschaftsgebäude um den Hof; weitest verbreitete Form von Ober- und Mittelrheingebiet bis östlich der Weichsel, auch in Nordfrankreich, Niederösterreich und Burgenland; bes. häufig in fruchtbaren Getreidebaugebieten mit vielseitiger Wirtschaft |
Untertypen nach Anordnung der Gebäude: | |
Streckhof | hintereinandergeschaltete Gebäudeteile in einer Linie |
Zweireiher | zwei parallel stehende Gebäudereihen |
Zweiseithof | mit rechtwinklig stehenden Gehöftteilen, bei Verbindung der Teile mit gleicher Firsthöhe Zweikanthof; Bezeichnung auch als Haken- oder Winkelhof |
Dreiseithof | mit drei Gebäudeteilen um den Hofplatz; Vorderseite oft durch Mauer oder Zaun mit Tor abgeschlossen; sehr starke Verbreitung im mittleren Deutschland, Regelform in den deutschen Siedlungsgebieten Siebenbürgens; Dreikanthof bei gleichlaufender Firstlinie |
Vierseithof | von Gebäuden allseitig umschlossen; Vierkanter bei gleichlaufender Firstlinie |
Hofhaus des Orients sowie das Patiohaus der Mittelmeergebiete und spanisch bzw. portugiesisch kolonisierter Überseegebiete | |
speziell sozial bestimmte Typen: | |
Seldner- und Kötterhaus | in Dorfrandgebieten mit meist kleinen Wohn- und Wirtschaftsräumen, häufig nur Erdgeschoss |
Gutshöfe und Herrenhäuser | umfangreiche Gebäude, angeschlossene Verarbeitungsbetriebe, Landarbeiterhäuser, Parks |
Viele Hof- und Gehöfttypen sind mit bestimmten Betriebsgrößen verbunden und entstanden, wie z. B. die Einhausregionen Württembergs mit Betriebsverkleinerungen im Rahmen der Realteilung. Auch physische Faktoren wie Boden- und Klimaverhältnisse, Vegetation, Gestein und Baugrund hatten Einfluss auf die Hofgestaltung. Weitere Faktoren sind u. a. Wirtschaftsweise, Anbauprodukte, Erwerbscharakter, kulturelle Leitbilder, Agrarstruktur und rechtliche Normen. Seit Jahrzehnten haben auch Faktoren wie fortschreitende Technisierung, Erfolge in der Pflanzen- und Tierzucht, agrarpolitische und wirtschaftliche Zwänge starke Auswirkungen auf Gestalt und Nutzung traditioneller wie auch neuer Höfe.
Zu diesen Vorgängen gehören:
- Dreschtennen und Scheunen sind überflüssig geworden, besonders seit der Mähdrusch allgemein üblich ist.
- Stallscheunen verloren in vielen Gebieten an Bedeutung, weil Viehfutter großenteils siliert und immer seltener als Heu neben oder über den Ställen gestapelt wird.
- Pferdeställe, die am längsten unmittelbar mit der Wohnung verbunden blieben, sind verschwunden, erfahren andererseits unter Freizeitgesichtspunkten verschiedentlich eine Wiederbelebung.
- Das übrige Vieh verlor - außer im ökologischen Landbau - in zahlreichen Gebieten seine einstige Bedeutung für die Nährstoffversorgung von Acker und Grünland. Es wird in erster Linie zur Milch- und/oder Fleischproduktion gehalten, auf die sich manche Betriebe spezialisierten, während andere fast ganz ohne Ställe auskommen.
- Der Bedarf an Maschinen- und Geräteschuppen wuchs dagegen und konnte nur teilweise durch Umwidmung von Scheunen und anderen Wirtschaftsräumen befriedigt werden.
- Konservierend, andererseits auch zerstörend wirkt der Fremdenverkehr auf dörflich-bauliche Besonderheiten.
Die Hofform zusammen mit anderen gewachsenen Formelementen der ländlichen Kulturlandschaft verleihen dieser ihre unverwechselbare Identität. Ihre weitmögliche Bewahrung ermöglicht es den Bewohnern, sich mit ihrem Wohnort zu identifizieren, Heimatgefühl zu entwickeln.
Moderne, neuangelegte Gehöfte der Industrieländer entziehen sich überwiegend einer Klassifizierung. Es sind i.d.R. nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten durchplante Anlagen, die Arbeitswege kurzhalten und weitgehende Mechanisierung erlauben. Es erfolgt allgemein eine Nachahmung städtischer Bauformen und die Verwendung ortsfremder Baustoffe mit dem Ergebnis eines oft disharmonischen Bildes.
Weitere Informationen:
- Schwarzwaldhäuser von gestern für die Landwirtschaft von morgen (U. Schnitzer, Landesdenkmalamt B.-W. 1989)
- Bauernhaustypen (Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland)